Redebeitrag für den Ostermarsch Aschaffenburg am 3. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Wie sollen wir Fluchtursachen benennen und angehen?

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

nur einige Aspekte zur Realität Flucht möchte ich heute darlegen. Realitäten, zu denen ich einen Bezug habe.

Medienberichte überschütten uns.– Zahlen und Tabellen können uns sowohl eine Bewunderung entlocken oder, je nach Aussagekraft, schockieren. – Eine Zahlenflut kann uns ebenso in eine Distanz bringen, besonders in Fällen, bei denen wir nicht selbst betroffen sind. So ist das verständlicherweise bei den Wirklichkeiten von Unrecht und Leid.

Also sollten wir besser keine Bilder mehr von Flüchtenden sehen und besser keine Begegnungen mit Asylsuchenden wagen? Viele denken doch: Es sind die Anderen, die für Kriege verantwortlich sind und schließlich habe ich in meinem Alltag genug zu
schaffen.

Persönliche Verweigerungen gibt es genug, wenn Flucht zum Thema wird. Anders hingegen denkt und handelt Pia Klemp auf den Rettungsbooten für Flüchtlinge im Mittelmeer. Sie schreibt: Das Beiboot fährt nochmal raus, um nach Leichen zu suchen, die sie auch finden. Die meisten sinken zum Grund und bleiben dort auch. Das Meer schert sich nicht um ihre Pässe, es nimmt vorurteilsfrei auf. … Das letzte, was wir für sie tun können, ist sie zu einer Nummer im System zu machen.

Wir siehst Du die Kollateralschaden von Krieg von Menschenverachtung und von politischer Ungerechtigkeit?

Im Interview bekennt Pia Klemp, dass ihr Einsatz bei Seenotrettung, nicht in erster Linie eine humanitäre Aktion sei, sondern ein antifaschistischer Kampf! -Was soll denn das bedeuten? Ich meine, Frau Klemp legt den Finger in die Wunde von ungerechten gesellschaftlichen Verhältnissen, für die die Regierungen Verantwortung zusammen mit den wirtschaftlich Mächtigen haben. Pia legt ihre Finger in die Wunde eines Wirtschaftens, das tatsächlich über Leichen geht. Ein Beispiel sind die Ertrunkenen im Mittelmeer.

Einige Hinweise möchte ich zu Nordafrikas machen, das seit Jahren von Flüchtenden überquert wird. Wir hören von den Profiteuren in Libyen, von Menschenschindern, die sich an den Flüchtlingen vergehen. Armut und Perspektivlosigkeit ist das große Thema, wenn ich die jungen Leute sehe, die den langen Marsch in Richtung Mittelmeer treten, um sich dann, nach Bezahlung, in ein überfülltes Boot quetschen zu lassen.

Fluchtursachen als Verbrechen sind zum einen in den politischen Eliten der Länder Afrikas zu finden und sie werden befeuert durch Wirtschaftsinteressen der nördlichen Länder, die Landstriche in Afrika aufkaufen, wo seltene Rohstoffe lagern. Wirtschaftliche Abhängigkeit zeigt sich hierbei als eine Form der Kriegsführung.

Ein Beispiel von Geld und Rüstungseinkäufen: Algerien, wo ich mich einige Zeit aufhielt, erfreut sich immer noch über Erdölvorkommen und über entsprechende Deviseneinnahmen. Jürgen Gräßlin berichtete von diesem Land Nordafrikas, dass in den  letzten Jahren in gigantischem Ausmaß schweres Kriegsgerät aus Deutschland eingekauft wurde. - Wozu dieses immense Anhäufen von Waffen? … wahrscheinlich um die eigene Bevölkerung in Schach zu halten und Stärke gegenüber dem Nachbar
Marokko zu demonstrieren. Dabei ist doch das explodierende Bevölkerungswachstum der letzten Jahrzehnte in Nordafrika der Schlüssel der politischen und wirtschaftlichen Misere. – Afrikanische Verhältnisse können wir zu verstehen suchen, doch die dortige Bevölkerung muss eigenen Wege des Widerstands und der Befreiung finden. – Für uns aber sollte die Kritik an unserer eigenen deutschen Politik hochgehalten werden. – Kleine gelungene Praxisbeispiele von Kooperation liefern manche kirchliche Partnerschaften, so zwischen Würzburg und Mbinga in Tansania. Austausch von Fachleuten, Ausbildungsförderung und regionale Entwicklungsprojekt motivieren gerade die jungen Menschen aus den südlichen Ländern. Bildung und Friedenspolitik gehen für mich Hand in Hand. Kirchliche Projektförderung reicht jedoch nicht. – …. Und wenn schließlich wieder flüchtende Menschen in Europa ankommen - und sie werden weiterhin kommen - dann sollten wir uns künftig, was die Aufnahme und Integration betriffen, als ein verlässliches Europa und als ein guter Kooperationspartner Deutschland erweisen.

Ich schließe mit einem Aufruf zum Umdenken und zu einem anderen Handeln. Er entstammt dem Philosophen Emmanuel Levinas. Er verweist auf unsere Schuldigkeit, vom Einzelnen bis in die Leitungspersonen von Politik und Wirtschaft; darin heißt es in kurzen Sätzen: Wer sich vom Anderen ein fertiges Bild macht, degradiert ihn zur Sache – die nötigenfalls auch aus dem Weg geräumt werden kann. – Offensein für den Anderen – es darf nicht auf dem Altar einer selbstherrlichen Vernunft geopfert werden.1

Wir alle dürfen, sollen und müssen einen Weg gehen für Frieden schaffen ohne Waffen. Viel steht auf dem Spiel. Ich danke Euch für die Aufmerksamkeit.

 

Ludwig Stauner ist ehem. Kath. Betriebsseelsorger.

 

Anmerkungen:

1 Störig, Kleine Weltgeschichte der Phil., S. 625.