Redebeitrag für den Ostermarsch Heidelberg am 3. April 2021

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Zur Militarisierung und Aufrüstung der EU

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

am Anfang der europäischen Geschichte steht ein Gewaltakt. Der Mythos berichtet, Göttervater Zeus, in Gestalt eines Stieres, entführte die Tochter des phönizischen Königs mit Namen Europa. Am Anfang der europäischen Geschichte: Gewalt, Patriarchat und Macht.

Wo steht Europa im Jahr 2021? Wird Europa noch immer von dem Stier Zeus dominiert? Oder ist der Stier gezähmt? Kurzfristig könnte es so aussehen. Im Jahr 2012 wurde der Europäischen Union (EU) der Friedensnobelpreis zugesprochen! Und
zugleich heftig kritisiert. Lange Zeit wurde sogar von einer ZivilMacht Europa gesprochen. Die Realität war und ist eine völlig andere. Mit großer Macht und viel Geld wird die Militarisierung der EU vorangetrieben – die Militär Macht Europa!

Spätestens seit dem Beschluss im Jahr 2016 entwickelte die EU eine neue Globalstrategie für Sicherheit und Verteidigung. Mit folgenden Zielen:

  • Das Streben, sich gegenüber China, Russland und den USA auch als globale und sicherheitspolitische WeltMacht zu präsentieren. (In einer Ära zunehmender „Konkurrenz großer Mächte“, so die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2019)
  • Gemeinsam neue Waffen zu entwickeln, weltweit Militär zu entsenden und Rüstung weltweit zu verkaufen.
  • Dies alles läuft fast völlig vorbei an der öffentlichen Diskussion in der Europäischen Union. Es läuft im Verborgenen.

Wie kam es zum „Abschied“ der einstmals viel gepriesenen „ZivilMacht Europa“? Die EU betont immer wieder, neben ihren militärischen Einsatzmöglichkeiten, auch die zivilen. Die Praxis zeigt ein anderes Bild. Hier besteht eine klare Asymmetrie zugunsten der militärischen Kapazitäten.

Fünf Beispiele für die Orientierung auf eine MilitärMacht Europa:

1. Wenige Monate nach dem Brexit-Referendum 2016 wurden die Grundlagen für ein militärisches EU-Hauptquartier (mit Auslandseinsatzpolitik) geschaffen. (Zur Info: Großbritannien trat damals eher als „Militarisierungsbremsklotz“ auf und war vehementester Kritiker autonomer EU-Sicherheitsstrukturen / GB hatte sich stets gegen eine EU-Globalstrategie der „Hard Power“ ausgesprochen, dafür sei ausschließlich das Transatlantische Bündnis zuständig.)

2. Im Juni 2017 wurde der militärische Planungs- und Koordinierungsstab für EU-Auslandseinsätze (MPCC) beschlossen.

3. Auch der deutsch-frz. Freundschaftsvertrag von Aachen 2019 zeigt eine eindeutige Stoßrichtung: die Stoßrichtung einer verstärkten und integrierten Militarisierung der EU.

4. Im Dezember 2019 erklärte dann der frz. Ministerpräsident Macron die US-dominierte NATO für „hirntot“. Seither verfolgt er die Stärkung der „EU-First“-Policy. (Sinngemäß kommentierte Macron, auch ein NATO-freundlicher US-Präsident Biden
sei keine Hilfe, die EU-Interessen in einer konfrontativeren Weltordnung durchzusetzen.)

5. Im Haushaltsvorschlag der Kommission für 2021-2027 wurden erstmals 5,8 Mrd. Euro für eigene EU-Budgetlinien vorgelegt, für „Militärische Mobilität“ (1,5 Mrd. Euro), 7,014 Mrd. Euro für den Europäischen Verteidigungsfonds (EVF) sowie für militärisch relevante Weltraumprogramme (13,202 Mrd. Euro). (Dezember 2020)

Über diese Maßnahmen wird ganz klar die Herausbildung eines europäischen Rüstungskomplexes vorangetrieben. (W&F: Wagner, Demirel)

"Neben dem institutionalisierten Kerneuropa hat Frankreich mit der Europäischen Interventionsinitiative (E12) eine von EU und NATO unabhängige Spielart eines militärisch aktiven Kerneuropa geschaffen.“ Nicht nur Frankreich, auch Deutschland sind mit ihrer Entschlossenheit „militärische Schrittmacher für andere EU-Staaten“. (Roithner)

„Wer Frieden will, muss sich rüsten!“ (so der O-Ton von Cathrine Ashton, 2013 als damalige EU-Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik) Die Frage ist nur – mit welchen Instrumentarien rüsten? Mit zivilen oder militärischen? Ganz eindeutig ist das letzte Jahrzehnt von Appellen zur gemeinsamen EU-Aufrüstung geprägt.

Ich erinnere:

Der von der Friedensbewegung kritisierte Vertrag von Lissabon (EUV) sah bereits 2007 vor, dass sich „die Mitgliedsstaaten verpflichten (…) ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“ (Art. 28a, 3)

Im Nov. 2017 wurde schließlich ein EU-Verteidigungs-Aktionsplan (EVF) vorgelegt, der den Rüstungsmarkt stärken sollte. Der Aktionsplan wurde zum „Europäischen Verteidigungsfond!“ sowie für Europäische militärische relevante (zudem extrem
kostspielige) Weltraumprogramme (für 13,202 Mrd. Euro) für den Haushalt 2021-2027 weiterentwickelt. Das Ziel dieses Fonds ist es, „den Mitgliedsstaaten zu helfen, das Geld der Steuerzahler effizienter auszugeben.“

Nachfolgend nenne ich 3 vertragliche Regelungen, die eine zentrale Rolle bei der EU-Militarisierung
spielen:

1) Bereits 2007 sah der Vertrag von Lissabon die ständig strukturierte Zusammenarbeit (engl. PESCO) vor. PESCO bedeutet eine „regelmäßige reale Aufstockung der Verteidigungshaushalte“. PESCO ist ein klares Zeichen der Militarisierung der EU. Konkret wurden in diesem Rahmen bislang 47 Projekte ins Leben gerufen, wie z.B. die Eurodrohne oder ein neuer EUKampfhubschrauber. Hier geht es um Aufrüstung und die Vorbereitung von Kriegen! Erstmals besteht zudem mit einer partiellen Aufhebung des Konsensprinzips die Möglichkeit, rüstungsunwillige Staaten mit weitreichenden Sanktionsdrohungen zu überziehen.

2.) Mit CARD ist eine weitere Rüstungsinitiative zu nennen: Die „Koordinierte Jährliche Überprüfung der Verteidigung“ (engl. CARD) soll strategische Rüstungsprojekte festlegen, ihre Umsetzung im Rahmen von PESCO anstoßen und so die Bündelung der einzelstaatlichen Rüstungsfähigkeit vorantreiben.

3.) Die sog. Europäische Friedensfaszilität (EFF) ist explizit und bewusst außerhalb des Haushaltentwurfs der EU angesiedelt, um nicht in Konflikt mit Art. 41 (2) (=Finanzierungsverbot von militärischen Mitteln!) zu geraten. (Denn aus rechtlichen
Erwägungen ist sie kein offizieller Teil des Haushaltes.) Stattdessen wird der Etat parallel zum EU-Haushalt mit Geldern von Einzelstaaten aufgefüllt. (Deutschland trägt 25 % des Haushaltes der Europ. Friedensfazilität!) Dazu zählen weltweite Militäreinsätze von Dritten, die im Interesse der EU sind. 

Das ist ein weiteres Merkmal einer EU-Militärmacht!

Die EU hat sich zu einem rüstungspolitisch relevanten Faktor entwickelt. Sie koordiniert, verstärkt, sammelt Steuergeld für EU-Rüstungsprojekte. Sie ist pro-aktiv an der Steigerung von Rüstungsexporten beteiligt. Rüstungskonzerne sitzen mit am Tisch.
Eine ständig bewegliche Drehtür zwischen EU-Institutionen, nationalen Regierungen und der Rüstungsindustrie? (Roithner) Zum Schluss ein Zitat des Wiener Friedens- und Konfliktforschers Thomas Roithner: Positiv sei, „dass Deutsche und Franzosen nicht mehr aufeinander schießen, sondern kooperieren.“ (…) Doch das Ziel „wäre nicht nur, dass Deutsche und Franzosen nicht mehr aufeinander schießen, sondern, dass sie nicht gemeinsam auf andere schießen.“ (Roithner, W& F, S. 19) Gemeint sind EU-Einsätze im Ausland.

Mein Resümee:

Der Militärhaushalt der EU ist nicht nur rechtlich fragwürdig,

  • der militärisch-industrielle Komplex der EU erstarkt, während Sozialpolitik, Klimapolitik und eine humane Flüchtlingspolitik zu sehr auf der Strecke bleiben.

Mein Appell an die Antikriegs – und Friedensbewegung:

  • Dem zunehmenden europäischen Militarisierungsprozess müssen wir unbedingt mehr Beachtung schenken.
  • Die Militarisierung bzw. Aufrüstung der EU muss kontinuierlich öffentlich thematisiert werden!
  • Nur so besteht die Chance, auch in der breiten Bevölkerung mehr Bewusstsein für die Militarisierung der EU zu wecken und die Mythen der Militarisierung, sie sei dem Frieden förderlich, zu entzaubern!

Mein Appell an eine deutsche EU-Friedenspolitik, die diesen Namen verdient:

Stellen sie konsequent die bewährten zivilen Instrumentarien in der Europäischen Union sicher:

  • Maßnahmen der Krisenprävention,
  • Maßnahmen zur Zivilen Konfliktbearbeitung und
  • Maßnahmen zur Friedensförderung,
  • eine konfliktsensible Entwicklungszusammenarbeit,
  • eine faire Handels- und Klimapolitik
  • sowie eine ernsthafte Menschenrechtspolitik.

Dafür – davon bin ich überzeugt – lohnt sich unser aller Einsatz! Auch und gerade im beginnenden Bundestagswahlkampf.

Der „Stier der Militarisierung“ muss endlich und endgültig gezähmt werden! Europa muss eine echte ZivilMacht werden! Ich danke für Euer Zuhören.

 

Renate Wanie ist Mitglied im Heidelberger Friedensratschlag und delegiert im Friedensbündnis Heidelberg.

 

Quellen:

  • Wagner, Jürgen / Demirel, Özlem Alev: Eu-Militär-Haushalte. Schritte über den Rubikon. In: Wissenschaft und Frieden, 1/2021, S. 14-16
  • Roithner, Thomas: Schrödingers Sicherheitsautonomie. Die EU zwischen Zivilmacht und Militärmacht. In: Wissenschaft und Frieden, 1/2021, S. 17-19
  • Roithner, Thomas (2020): Verglühtes Europa? Alternativen zur Militär- und Rüstungsunion. Vorschläge aktiver Friedenspolitik. myMorava
  • Haydt, Claudia/Wagner, Jürgen (2018): Die Militarisierung der EU Der unaufhaltsame Weg der EU zur Großmacht. Edition Berolina, Berlin