Redebeitrag für den Ostermarsch Gummersbach am 16. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

„’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre,
Nicht schuld daran zu sein!“

Liebe Freundinnen und Freunde,

das Kriegslied von Matthias Claudius ist fast 250 Jahre alt. Auch heute ist wieder Krieg, Krieg in Europa. Und viele fühlen sich wie damals Claudius fassungslos und ohnmächtig angesichts des Elends, der Toten, der Zerstörungen.

Wieder einmal haben Hass, Nationalismus und Großmachtstreben über Vernunft und Menschlichkeit gesiegt. Der brutale Überfall der russischen Armee auf die Ukraine und die Kriegsverbrechen, die dort verübt werden, sind durch nichts zu rechtfertigen. Sie sind eine Schande für Russland und ein Verbrechen gegen die in der UN-Charta festgehaltenen Werte der Menschheit. Den Angriffskrieg der russischen Armee als „Kampf gegen Nazismus“ zu rechtfertigen ist eine Verhöhnung der sowjetischen Soldaten – und das waren Russen, Ukrainer, Kasachen und noch mehr Seite an Seite – eine Verhöhnung dieser Soldaten, die im zweiten Weltkrieg gegen Nazi-Deutschland gekämpft haben, die gemeinsam Auschwitz befreit haben und und die schließlich unter großen Opfern gesiegt haben.

Was sollen wir als Friedensbewegte in dieser Situation tun und sagen? Ist es richtig, von einer „Zeitenwende“ zu sprechen, in der wir unsere pazifistische Einstellung revidieren müssen?

Leider sind die Zeiten nicht neu, leider ist es nicht der erste Krieg, der nach 1945 in Europa geführt wird. In den 1990er Jahren fanden auf dem Balkan brutale Kriege nach dem Zerfall Jugoslawiens statt. An dem völkerrechtlich zumindest umstrittenen Eingreifen der Nato mit Luftangriffen auf Serbien waren auch deutsche Soldaten beteiligt, bei den aus der Luft geführten Kämpfen gegen serbische Panzer kam Uran-Munition zum Einsatz.

Und leider ist der Überfall auf die Ukraine nicht der einzige Krieg, der heute auf der Erde tobt: Im Jemen führt seit Jahren unter anderem Saudi-Arabien einen Krieg mit schrecklichen Verlusten für die Zivilbevölkerung, in vielen afrikanischen Staaten  herrschen Kriege, es drohen Hungersnöte. Hunger droht auch in Afghanistan, wo die USA und ihre Verbündeten, zu denen auch Deutschland gehörte, erst nach über 20 Jahren erkannt haben, dass die Konflikte dort mit militärischen Mitteln nicht zu lösen sind.

Wir haben bei jedem Ostermarsch der vergangenen Jahre gegen die Kriege auf der Welt protestiert, wir haben gemahnt, dass Konflikte – zwischenstaatliche wie innerstaatliche – nicht mit Gewalt gelöst werden können. Sollen wir an dieser Haltung etwas ändern?

Nachdem die Welt durch das atomare Wettrüsten der USA und der Sowjetunion in den 1980er Jahren vor der nuklearen Vernichtung stand, gelang es durch Verhandlungen und vertrauensbildende Maßnahmen die Zahl der Atomsprengköpfe deutlich zu reduzieren, es wurden Abkommen zur Abrüstung und gegenseitiger Kontrolle geschlossen. Doch den Militärs und den Rüstungskonzernen gelang es, durch immer neue Entwicklungen die Abkommen zu unterlaufen – Tarnkappen-Bomber, die das gegnerische Radar austricksen, modernisierte Atomwaffen, die mit kleinerer Sprengkraft größere, schrecklichere Wirkung haben, Drohnen, die mehr und mehr automatisch töten. In den letzten Jahren wurden die wichtigsten Abkommen aufgekündigt, die US-Regierung unter Trump hatte daran einen bedeutenden Anteil. Und wir, die Friedensbewegung, waren nicht stark genug, das zu verhindern.So wurde die Abrüstung des nuklearen Alptraums nicht zu Ende gebracht, so bleiben die Atomwaffen eine Bedrohung für die ganze Welt und diejenigen, die sie besitzen, fühlen sich so unangreifbar, dass sie militärische Überfälle wagen – wie jetzt die russische Regierung.

Doch weder Russland noch die Ukraine werden den Krieg militärisch für sich entscheiden können. Es wird am Ende Verhandlungen geben müssen. Warum nicht sofort damit beginnen statt weiter zu töten und zu zerstören?

Ich möchte noch einmal auf mein Eingangs-Zitat zurückkommen: „’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre, Und rede Du darein!“ beginnt das Kriegslied.

Für Matthias Claudius war der Krieg ein Schicksal, dem die Menschen ausgeliefert waren. Hilfe war nur von Gott zu erwarten. Wir heute haben mehr Mut und deshalb auch Macht, wir müssen uns nicht auf Gottes Engel verlassen, wir müssen uns wehren und gemeinsam dem Treiben der Mächtigen Einhalt gebieten! Besondere Hochachtung gebührt dabei denen, die das in einem autoritären Regime tun!

Die Menschheit kann sich diesen Krieg nicht leisten. Sie kann sich keinen der Kriege, die zur Zeit geführt werden, leisten, sie kann sich sich überhaupt keinen Krieg leisten! Der Klimawandel stellt die Menschheit vor Herausforderungen, die sie nur gemeinsam meistern kann. Die Naturgesetze, denen die menschgemachte Erderwärmung folgt, lassen nicht mit sich verhandeln. Wir und vor allem unsere Kinder und Enkel haben nur dann eine Chance, wenn wir uns einigen, wenn wir den Kriegs- und Großmachtplänen der alten Männer entgegentreten, wenn wir weltweit gemeinsam daran arbeiten, dass der Reichtum gerecht verteilt wird, wenn wir unseren Energieverbrauch reduzieren und gemeinsam die fossile Verbrennung stoppen.

Also lasst uns dem Krieg „wehren“ und „dareinreden“! Denn wenn wir das nicht tun, dann sind wir mit schuld daran!

Wir fordern die sofortige Einstellung der Kämpfe und den sofortigen Rückzug der russischen Soldaten aus der Ukraine.

Wir fordern die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Ziel einer europäischen Friedensordnung, in der keine Grenzen gewaltsam verschoben werden und die Sicherheit aller geachtet wird.

Wir wollen keine Aufrüstungs-Festlegung im Grundgesetz, wir brauchen das Geld für Bildung, für bezahlbare Wohnung, für Gesundheit und zum Aufbau einer nachhaltigen, ressourcenschonenden Infrastruktur.

Wir fordern die Abrüstung aller Atomwaffen weltweit!

 

Gerhard Jenders ist aktiv bei der FI Gummersbach.