Redebeitrag für den Ostermarsch Jagel am 15. April 2021

 

- Sperrfrist:15. April 2022, Redebeginn: 14 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

ich wurde gebeten Euch auf dem heutigen Ostermarsch, hier vor dem Militärflugplatz in Jagel in etwa fünfzehn Minuten über die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) und den Atomwaffen-Verbotsvertrag vorzutragen. Vielen Dank für die Einladung, ich freue mich sehr über diese Möglichkeit. Mein Name ist Jochen Rasch und engagiere mich bei ICAN Hamburg.

Was ist die Lage?

Wir reisen auf einem vermutlich einzigartigen, wunderschönen blauen Planeten mit einem großen Artenreichtum, den Schönheiten der Natur und dem kulturellen Reichtum einer wechselvollen zigtausendjährigen Entwicklungsgeschichte menschlicher Zivilisationen durch das Weltall. Doch zugleich ist diese unsere gemeinsame planetare Existenz durch rund 15.000 einsatzbereite Atomwaffen grundlegend und vollumfänglich gefährdet. Rund 1.800 dieser Atomsprengköpfe werden zudem ständig in höchster Alarmbereitschaft gehalten und sind sofort abschussbereit.

Schon ein regionaler Atomkrieg, beispielsweise zwischen Indien und Pakistan, bei dem deutlich weniger als ein Prozent des globalen Atomwaffenarsenals zum Einsatz käme, würde durch Einbringung von Staub und Ruß in die Atmosphäre zu einer weltweiten Klimaabkühlung und damit verbunden zu Ernteausfällen führen. Bis zu zwei Milliarden Menschen wären dadurch von Hunger bedroht.

Bei jedem Stellvertreterkrieg, bei dem Atommächte gegnerisch Partei ergreifen, besteht die Gefahr der Eskalation vom begrenzten konventionellen Waffeneinsatz bis hinauf auf die Ebene des allgemeinen atomaren Krieges.

Wie wird das Problem verstanden?

Eine politische Antwort auf die Gefahr ist längst gefunden. Ein Blick in das geltende Völkerrecht weist einen Ausweg. Im Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag von 1970 verpflichten sich alle vertragsschließenden Staaten, also insbesondere auch die Atommächte USA, Russland, Frankreich, China, Großbritannien mit Artikel VI zur Abrüstung in redlicher Absicht. Des Weiteren haben sich damit diese Staaten bereits vor fünf Jahrzehnten verpflichtet, einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer Kontrolle zu verhandeln. Das ist bisher leider noch nicht geschehen. Alle fünf Jahre finden in der UNO in New York Konferenzen zur Überprüfung des Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrags statt. Doch seit einigen Jahren sind die Verhandlungen festgefahren. Alle Atomwaffenstaaten modernisieren derzeit ihre Arsenale und kommen ihrer Abrüstungsverpflichtung nicht nach.

Kritik der Sicherheitslogik

Die Verhandlungen zwischen den Regierungen sind auch deshalb so verfahren, weil auf dieser Ebene häufig sicherheitslogisch gedacht wird. In den Worten des Friedensforschers Reinhard Mutz:

„Wenn Regierungen Abschreckung sagen, … . Dann meinen sie den konkreten außenpolitischen Gegner, der abgeschreckt werden soll, die eigenen Interessen zu beeinträchtigen. Dessen militärische Kapazität erscheint als bedrohlich, dort allein wird der Abschreckungsbedarf gesehen. Denn der Gegenseite ein vergleichbares Abschreckungsbedürfnis zuzusprechen, hieße ja Zweifel einräumen an der eigenen friedenspolitischen Integrität.

Diese Haltung hat Folgen. Wenn die Aggressivitätsvermutung prinzipiell zu Lasten des Gegners geht, dann muß man ihm auch zutrauen, bei sich bietender Gelegenheit den aggressiven Akt wirklich zu riskieren. Nicht unbedingt den globalen Krieg, aber vielleicht den regionalen Übergriff oder die örtliche Grenzverletzung. Also ist es zweckmäßig, ihm auf jeder Stufe der Waffenleiter gleichzukommen, besser: zu übertreffen. Im Namen der Abschreckung, versteht sich.

Und schon steht das Rechtfertigungsmuster für konfrontatives Rüsten. Das ist die verhängnisvollste Konsequenz des Abschreckungsdenkens, daß es einen Sättigungsgrad militärischer Stärke nicht kennt.“

„Bisher galt als allgemein anerkannt, daß in einem politischen Konfliktverhältnis Frieden nur miteinander möglich ist. Niemand kann allein Frieden haben. Sicherheit hingegen erstrebt man man voreinander.“
Soweit seinerzeit der Friedensforscher Reinhard Mutz.

Sicherheitslogisch wird also nur an die eigene potenzielle Bedrohtheit die vom anderen ausgeht gedacht.

Versuch einer Friedenslogik

2007, mit der Gründung der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) wurde der Versuch unternommen, Bewegung in die festgefahrene Lage atomarer Abrüstung zu bringen, durch eine andere Perspektive auf das Problem.

Friedenslogisch ist die Gewalt die stattfindet oder bevorsteht das Problem, unterschiedslos wem sie droht oder angetan wird. Die Handlungen orientieren entsprechend auf Gewaltprävention und Gewaltabbau. Deshalb wurden durch ICAN die Gewalt, die von Atomwaffen ausgeht, also die unmenschlichen Folgen der Herstellung, der Erprobung, der Drohung mit und des Einsatzes von Atomwaffen in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit und der Problematisierung gestellt

Wie immer benötigt es aktives engagiertes, kultivierendes und weltweit solidarisches Eingreifen von Menschen, um diesen wichtigen Erkenntnissen und der Vernunft des Völkerrechts Geltung zu verschaffen. Das geht durch öffentlich ausgetragenen argumentativen Streit und mit zivilen Ungehorsam, von politischer Bildung bis in die Popkultur hinein – gegen die Unvernunft in Militär, Rüstungsindustrie und Regierungen sowie ihren Thinktanks.

Der Atomwaffen-Verbotsvertrag

Nach zehnjähriger intensiver Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit wurde am 7. Juli 2017, also an dem Tag, an dem in Hamburg G20 stattfand, auf einer UNO-Konferenz von 122 Staaten der Atomwaffen-Verbotsvertrag beschlossen und in die UNO-Vollversammlung eingebracht. An dem Prozess beteiligten sich insbesondere Überlebende der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, die geschädigten und vertriebenen Einwohner:innen der Südseeinseln auf denen Atomwaffen jahrzehntelang getestet wurden, verantwortungsvolle Ärzt:innen, Wissenschaftler:innen und Friedensaktivist:innen aus der ganzen Welt und später auch zahlreiche Diplomat:innen.

Der Atomwaffen-Verbotsvertrag betont, dass die humanitären Folgen eines Einsatzes von Atomwaffen katastrophal wären. Die Opfer, sowohl die der Einsätze als auch der Atomtests und die überproportionale Auswirkung auf indigene Völker und auf Frauen werden anerkannt. Die Vergeudung von Ressourcen für Atomwaffen wird verurteilt. Das Ziel des Vertrags ist die vollständige Abrüstung und eine atomwaffenfreie Welt. Deshalb verbietet der Atomwaffen-Verbotsvertrag in Artikel 1 den Einsatz von oder die Drohung mit Atomwaffen; Besitz, Lagerung und Erwerb, Entwicklung, Erprobung und Herstellung; Transfer, direkte und geteilte Verfügungsgewalt und Stationierung von Atomwaffen sowie jegliche Unterstützung verbotener Aktivitäten. Die vertragsschließenden Länder verpflichten sich zur Umsetzung des Atomwaffen-Verbotsvertrags in nationaler Gesetzgebung.

Der Atomwaffen-Verbotsvertrag trat am 22. Januar 2021 in Kraft. Mittlerweile haben ihn 86 Staaten unterzeichnet und 60 Staaten ratifiziert. Die Länder des globalen Südens haben entscheidenden Verdienst am Zustandekommen des Atomwaffen-Verbotsvertrags, doch auch ein Deutschland sehr ähnliches Land, nämlich Österreich hat den Prozess maßgeblich mit vorangebracht und den Atomwaffen-Verbotsvertrag mit ratifiziert.

Und Deutschland?

Um den Beitritt zum Atomwaffenverbot vor allem in den NATO Ländern und Atomwaffenstaaten zu erreichen, ruft ICAN Städte und Gemeinden dazu auf, sich dem ICAN-Städteappell anzuschließen. Städte sind als mögliche Angriffsziele durch Atomwaffen besonders betroffen und sollten sich deshalb in die Diskussion einmischen. Übrigens rangiert der Militärflugplatz in Jagel vermutlich weit oben auf der Liste potenzieller Ziele, werden hier doch die Tornado-Piloten ausgebildet, also auch diejenigen Bundeswehrpiloten, die im Kriegsfall die in Büchel gelagerten US-Atombomben mit ihren deutschen Tornados ins Ziel bringen würden.

In Deutschland haben sich bereits 137 Städte und Gemeinden – darunter z.B. Flensburg, Neumünster und Bad Oldesloe – sowie die vier Bundesländer Bremen, Berlin, Rheinland-Pfalz und Hamburg dem ICAN-Städteappell angeschlossen. Dieser lautet:

„Unsere Stadt/unsere Gemeinde ist zutiefst besorgt über die immense Bedrohung, die Atomwaffen für Städte und Gemeinden auf der ganzen Welt darstellen. Wir sind fest überzeugt, dass unsere Einwohner und Einwohnerinnen das Recht auf ein Leben frei von dieser Bedrohung haben. Jeder Einsatz von Atomwaffen, ob vorsätzlich oder versehentlich, würde katastrophale, weitreichende und lang anhaltende Folgen für Mensch und Umwelt nach sich ziehen. Daher begrüßen wir den von den Vereinten Nationen verabschiedeten Vertrag zum Verbot von Atomwaffen 2017 und fordern die Bundesregierung zu deren Beitritt auf.“

Nach zwei Jahren intensiver Überzeugungsarbeit in der Bevölkerung, in den politischen Parteien und unter den Abgeordneten hat die Hamburgische Bürgerschaft am 12. Februar 2020 mit den Stimmen von DIE LINKE, der SPD, den GRÜNEN und der CDU, bei Enthaltung der FDP und gegen die AfD die Unterstützung des ICAN-Städteappells beschlossen.

Zuvor hatten wir, die Aktiven von ICAN und der Friedensbewegung, in vielen Einzelgesprächen mit Mandatsträger:innen schon eine Mehrheit der Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft für die Unterzeichnung des ICAN-Abgeordnetenappells gewonnen, womit die Mandatsträger:innen die Annahme des Atomwaffen-Verbotsvertrags ausdrücklich als einen entscheidenden Schritt zur Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt begrüßen. Sie teilen die tiefe Sorge über die katastrophalen humanitären Auswirkungen jeglichen Gebrauchs von Atomwaffen und erkennen die dringende Notwendigkeit an, diese unmenschlichen und abscheulichen Waffen abzuschaffen. Und sie geloben als Abgeordnete, auf die Unterzeichnung und die Ratifizierung dieses bahnbrechenden Vertrags durch die Bundesrepublik Deutschland hinzuwirken, da sie die Abschaffung von Atomwaffen als hohes, globales öffentliches Gut begreifen und als einen wesentlichen Schritt zur Förderung der Sicherheit und des Wohls aller Völker.

Streit um die Anschaffung der F-35 Atombomber

In der aktuellen politischen Auseinandersetzung können wir auf diesen Vorarbeiten aufbauen. Denn die Bundesregierung will bis zu 35 Tarnkappenbomber vom Typ F-35 kaufen und aus dem Bundeswehr-Sondervermögen von 100.000.000.000 Euro finanzieren. Mit diesen Flugzeugen sollen deutsche Pilot:innen künftig die neuen US-Atombomben vom Typ B61-12 einsetzen können.

Die neuen Atombomben sollen ab 2023 in Europa stationiert werden und auch die in Büchel gelagerten Atombomben ersetzen. Die B61-12 hat eine variable Sprengkraft, ein steuerbares Heckleitwerk, soll zielgenauer sein und die Fähigkeit besitzen, unterirdische Bunker zu zerstören.

Flugzeuge werden 30–40 Jahre eingesetzt. Sollten die F-35 für Atomwaffen ausgerüstet werden, würde Deutschland vermutlich für weitere Jahrzehnte an der „atomaren Teilhabe“ und der völker- rechtswidrigen Drohung mit Atomwaffen festhalten.

Mit den neuen Atombomben wird suggeriert, dass ein räumlich begrenzter Atomkrieg führ- und gewinnbar sei. Damit sinkt die Hemmschwelle für ihren Einsatz. Deutschland bleibt dadurch ein potenzielles Ausgangsland für einen Atomkrieg, aber auch ein klares Angriffsziel.

Die Anschaffung neuer Atombomber und Stationierung neuer Atomwaffen wären die umfassendste atomare Aufrüstung in Deutschland seit über 30 Jahren. Gerade in einer Zeit, in der Krieg in Europa geführt wird, sollten wir kein atomares Wettrüsten beginnen, sondern auf einen Waffenstillstand und Deeskalation hinarbeiten.

Atomwaffen töten unterschiedslos Hunderttausende. Wer mit ihnen droht und den Einsatz vorbereitet, droht damit, Massenmord an Unschuldigen zu begehen. Das darf nie wieder geschehen.

Was können wir tun?

Deshalb sollten wir die bereits überzeugten Abgeordneten an ihr ICAN-Gelöbnis erinnern und mit ihnen gemeinsam das Gespräch mit den lokalen Bundestagsabgeordneten suchen. Denn die Grundgesetzänderung für das 100.000.000.000-Euro-Paket erfordert eine 2/3-Mehrheit der Abgeordneten des deutschen Bundestages und jede Stimme dagegen zählt und ist zugleich ein aktiver Beitrag für das Gelingen der im Sommer 2022 stattfindenden UNO-Konferenzen zum Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag als auch zum Atomwaffen-Verbotsvertrag. Wir entscheiden über unser aller Zukunft hier und jetzt.

Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit. Für Fragen stehe ich Euch gerne gleich noch zur Verfügung. Weitere Infos findet Ihr auch auf der Homepage www.ican.hamburg.

 

Jochen Rasch ist aktive bei der ICAN Gruppe in Hamburg.