Redebeitrag für den Ostermarsch Chemnitz am 15. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Sehr geehrte Damen und Herrn, liebe Friedensfreunde

Jeden Tag werden wir mit Bildern von Opfern in der Ukraine in den Medien überflutet. Aber es gibt eine Erkenntnis, die schon sehr alt ist: „Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer.“ Aischylos (525-456 v.Chr), griechischer Dichter

Im Fachjargon der Militärs nennt man das heute psychologische Kriegsführung. Die Medien werden „gebrieft“, d.h. ausgerichtet. Man muss einen klaren Kopf bekommen.

Es ist eine Zäsur in der Weltlage, eine regelrechte Weltkrise. Dies ist in Bezug auf die Weltwirtschaft, auf die Umwelt, auf die Flüchtlingskrise. Es droht ein atomarer Weltkrieg, er wird regelrecht vorbereitet. Eine solche Situation haben wir alle noch nicht erlebt. Das will verarbeitet werden.

Unmittelbar nach Kriegsausbruch beschlossen die Deutschen Wissenschaftsorganisationen, alle Projekte mit russischen Wissenschaftlern zu beenden. Damit war auch die Finanzierung dieser Wissenschaftler ausgesetzt. Und wir starteten eine Erklärung „Nein zum Krieg - Wissenschaftler für internationale Völkerfreundschaft“, die inzwischen in Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Russisch veröffentlicht ist. https://offene-akademie.org/2022/03/19/no-to-war-scientists-for-internat...

In diesem heißt es: „Wir verurteilen den Angriff Russlands auf die Ukraine und den barbarischen Krieg, der gegen die Bevölkerung auf ukrainischen Boden geführt wird. Wir sind solidarisch mit den Opfern der Aggression, aber auch mit den Opfern in anderen Kriegen wie in Afghanistan, Irak, Jemen, Gaza und Syrien, über die öffentlich kaum gesprochen wird. Wir lehnen auch die provokative Ausweitung der Nato mit forcierter Stationierung von Truppen und Angriffswaffen an der Grenze Russlands ab.“

Es gab viel Diskussion und auch Gegenmeinungen. Z.B.

„Das ist genau die russische Propaganda ... Diese Aufrüstung der NATO (die auch ich nicht für richtig halte) ist eine Reaktion auf die Aufrüstung … Russlands. Mit dieser Formulierung wird Ursache und Reaktion vertauscht.“

Doch wer wann wie viel gedreht hat, wer nur reagiert hat, wer mehr Verbrechen begangen hat, darüber können wir lange streiten. Beide Seiten sind reaktionär. Der eigentliche Kern ist, ich zitiere Karl Liebknecht:

Die eigentlichen Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen Oben und Unten.

Dies ist aus der Zeit, als er sich zu Beginn des ersten Weltkriegs gegen die Kriegskredite wandte, und die Lage hat heute manche Parallelen.

Unsere Erklärung hat inzwischen etwa 80 Unterstützer aus 13 Ländern sowie drei Kontinenten. Aber nicht alle Befürworter können das unterschreiben, da es ein zu großes Risiko für sie ist oder es ihnen ihr Arbeitsverhältnis untersagt. Das trifft nicht nur auf Russland zu, sondern auch auf zwei Unterstützer aus Deutschland und einen den USA. Von vielen, die nicht antworten, wissen wir es nicht.

Wir wenden uns gegen Chauvinismus und aggressiven Nationalismus. Unsere Erklärung sagt: Wir wollen eine Welt des Friedens und der Freundschaft zwischen den Völkern dieser Welt.

Karl Liebknecht sagt auch: Diesem System keinen Mann und keinen Groschen! Er sprach erst nur für eine Minderheit. Die SPD unterstützte die Kriegskredite. Aber die Haltung wurde zur Haltung der Mehrheit. Die Revolutionen, zuerst in Russland, dann in Deutschland, haben den Krieg beendet.

Die Medien erwecken den Eindruck, dass es nur zwei Parteien gibt. Doch es gibt noch eine dritte Kraft. Das ist der Friedenswille der Masse der Menschen weltweit. Sie wollen keinen Atomkrieg.

Menschen aus allen Schichten, viele Jugendliche, gingen in den letzten Wochen gegen diesen Krieg auf die Straße. Der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff hat die Teilnehmer der Ostermärsche als "fünfte Kolonne Wladimir Putins" bezeichnet. Es ist dieselbe Sprachwahl und derselbe Chauvinismus wie in Russland unter Putin.

Die Sichtbarkeit des Friedenswillens der Masse der Menschen weltweit ist in den Medien gering. Aber sie ist die Kraft zur Verhinderung eines atomaren Weltkriegs. Die Arbeiter international sind dabei die wichtigste Kraft. Arbeiter sind in international tätigen Konzernen beschäftigt und kennen die Arbeit ihrer Kollegen aus anderen Ländern. Welche Wirkung hätte es, wenn weltweit Generalstreiks zur Beendigung dieses Krieges stattfinden würden? Es gab auch die ersten Streiks. Weißrussische Arbeiter verweigerten die Arbeit an Bahnstrecken für Russlands Nachschub. Transportarbeiter in Italien verweigerten die Verladung von Waffen an die Ukraine. Ebenso in Griechenland, wo der Generalstreik auch in Verbindung mit dem Protest gegen die Nutzung des Lands als Drehscheibe für Waffenlieferungen der Nato steht.

Eine weltweite neue Friedensbewegung ist im Entstehen.

Wissenschaftler können dem Kampf der Menschen dienen, gerade auch durch ihre internationale Vernetzung und durch ihr Ansehen in der Öffentlichkeit.

Hier gab es noch eine weitere Auseinandersetzung. Soll man das Wort „Imperialismus“ sagen? Ich verwende diesen Begriff ganz bewusst. Ich habe auch immer China und Russland als neuimperialistische Länder bezeichnet.

Eine Zuschrift: „Nur zur Richtigstellung: Deutschland war unter Hitler imperialistisch ... Seitdem Deutschland in der Nato ist, gibt es das nicht. Deutschland hat seit dem Krieg kein Land mehr imperialistisch überfallen.“

Was ist Imperialismus? Ist es nur zutreffend für die Länder, die einen Angriffskrieg führen?

Der Imperialismus hat die Merkmale

  • 1. Lenin: „Der Imperialismus ist das monopolistische Stadium des Kapitalismus.“
  • 2. Der Kapitalexport ist ein wesentliches Merkmal des modernen Imperialismus.
  • 3. Die Verschmelzung von Industriekapital mit dem Banken- und Handelskapital zum Finanzkapital. Etwa 500 größte Konzerne bestimmen heute die Geschicke der Welt.
  • 4. Die Rolle des Staates, der zum Dienstleister der internationalen Monopole degradiert wurde.“

Dies sind vier Merkmale des Imperialismus bzw. der imperialistischen Länder. Die Verkürzung auf den, der gerade angreift, ist deshalb unzulässig und falsch. Imperialismus ist ein wissenschaftlicher Begriff.

Die Herausbildung und Entwicklung einer Reihe neuer imperialistischer Länder bildet die Grundlage der allgemeinen Tendenz der imperialistischen Kriegsvorbereitung.

Wenn man dieses klar hat, kann man die jetzige Entwicklung verstehen. Wer sie nicht klar hat oder gar auf Russland und China als „antiimperialistische“ Länder gesetzt hat, ist entsetzt und gelähmt.

Auch wer geglaubt hat, mit Diplomatie, mit „europäischer Friedensordnung“ und dergleichen, wo sich insbesondere Deutschland als großer Vermittler ausgibt, sei die Welt friedlicher geworden, der erlebt jetzt eine tiefe Enttäuschung. Oder er schlägt sich gar auf die Seite der Nato, weil Russland diese Illusion zerstört hat.

Wir leben in einer Welt, in der die Mehrheit der Menschen heute unter unwürdigen Verhältnissen leben muss. 80 Millionen Menschen sind auf der Flucht. 800 Millionen Menschen leiden Hunger. Es sollen mehr werden. Die Zustände auf dieser Welt sind schreiend. Ich möchte auch die Frage aufwerfen, ob nicht der Imperialismus dafür verantwortlich ist, dass wir am Beginn einer Umwelt- und Klimakatastrophe stehen. Ist sein Fortbestehen mit der menschlichen Zivilisation überhaupt vereinbar?

Daher möchte ich auf Prof. Jean Ziegler, lange Zeit tätig für die UNO im Bereich Welternährung und ein entschiedener Kämpfer gegen die ungerechte Weltordnung, eingehen. Er sagt: Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind – und das auf einem Planeten, auf dem zum ersten Mal in der Geschichte der objektive Mangel überwunden ist, unser Planet wird mit Nahrung überflutet. Das Problem ist aber der Zugang zu Nahrung. „Jedes Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet.“

Jean Ziegler wurde vor zwei Jahren in einem Spiegel-Interview provokativ gefragt: Sie wollten ja die Gesellschaft ändern, sie sprechen sich sogar für Revolution aus. Geht es denn nicht, seit Trump, rückwärts? Nein, hat Jean Ziegler gesagt. Die Masse der Menschen auf diesem Planeten ist positiv und voller Empathie. Aber es steht eine enorme Zuspitzung bevor, zwischen der Masse der Menschen der Welt und der ungerechten Weltordnung. „Der Aufstand des Gewissens wird kommen“, sagt er.

Lassen wir uns jetzt nicht beeindrucken! Es wird jetzt schneller gehen.

Es ist gerade in solchen Zeiten, wo die Wogen hoch hergehen, auch notwendig, nachzudenken. Wem nutzt das? Wer verdient daran? Was sind die Triebkräfte für die drohende Umweltkatastrophe, für die schreienden sozialen Gegensätze, für den Krieg? Ich möchte Sie alle bitten, diese Diskussion in aller Besonnenheit zu führen. Gehen wir sachlich und solidarisch miteinander um. Entscheidend sind überzeugende Argumente.

Ein III. Weltkrieg muss durch den Kampf der Völker, durch eine weltweite Friedensbewegung in enger Verbindung mit dem Kampf der Arbeiterklasse verhindert werden! Diese ist international verbunden und steht im Gegensatz zum Kapital, welches diesen Krieg für eine Interessen führt. Aktiver Widerstand gegen die akute Gefahr für den Weltfrieden!

Können wir es uns noch leisten, dass für den Profit von internationalen Konzernen, für den Profit von Rüstungskonzernen Städte ausradiert werden? Ja. Ich habe ein Feindbild.

Masters of War

Platz  Name                   Land        Umsatz mit Waffen 2020 in Mrd. US-Dollar

1      Lockheed Martin Corp. USA   58,21

2      Raytheon Technologies USA  36,78

3      Boeing                     USA    32,13

4     Northrop Grumman Corp. USA 30,42

5    General Dynamics Corp. USA 25,84

6    BAE Systems  GB    24,02

7    NORINCO Group China 17,93

8    AVIC    China  16,98

9   CETC  China    14,61

10 L3Harris Technologies USA  14,19

11  Airbus Europa       11,99

12  CASIC China    11,87

13  Leonardo  It       11,16

14  Thales F        9,05

15  Huntington Ingalls Industries  USA  8,25

Quelle Handelsblatt 6.4.22

Das sind die Hauptprofiteure. Als ich diese Tabelle das erste Mal anlässlich des Irak-Kriegs zitierte, war unter den ersten 10 noch kein chinesischer. Auch 2012, bei der Aktualisierung, noch nicht.

Rheinmetall hat es ist mit mehr als 4 Mrd Rüstungsgeschäft nicht unter die ersten 15 gebracht. Auch für sie ist es das große Geschäft:

„Rheinmetall-Schweiz-Chef Oliver Dürr hat seine Mitarbeitenden dazu angehalten, endlich schneller zu produzieren. Der Rheinmetall-Aktienkurs hat sich seit dem Angriff der Russen auf 207 Euro verdoppelt“ i (Handelszeitung 13.4.22)

Zu den Masters of War gibt es ein Lied von Bob Dylan, er schrieb es in einer Zeit, als junge Menschen im Vietnamkrieg verheizt wurden: Ihr da oben, ihr Herrn der Kriege, wie lange werdet ihr das noch mit der Menschheit machen können? Wie ich oben gesagt habe, es gibt eine dritte Kraft: Die Völker der Welt: Und Ihr da, in Euren Hochhäusern, hinter Euren Schreibtischen, ihr Masters of War! Frei übersetzt heißt es am Schluss:

Die Völker der Welt,

„Und mit ihren Händen graben sie euer Grab

und bleiben dran stehn, bis der Teufel euch hat!“

 

Prof. Dr. Josef Lutz ist Professor für Leistungselektronik und elektromagnetische Verträglichkeit an der TU Chemnitz.