Redebeitrag für den Ostermarsch Berlin am 16. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Ich weiß, dass jetzt alle gern bald losgehen möchten. Deswegen werde ich versuchen möglichst kurz reden. Auch wenn ich so vieles sagen möchte.

Vor kurzem haben wir in einer Gemeindegruppe wieder einmal über die 10 Gebote gesprochen. Die 10 Gebote sind ja für Juden, und dann später auch für Christen eine Richtschnur, wie Menschen gut miteinander leben können.

Wir haben überlegt, welche dieser Gebote besonders wichtig sind. Und wir waren uns ganz schnell einig, das wichtigste Gebot ist „Du sollst nicht töten.“ Wir alle waren uns einig, dass dieses Gebot das allerwichtigste ist. Eine Grundbedingung für ein gutes Miteinander in jeder Gesellschaft.

Wobei wir uns auch einig waren, dass unter dieses Gebot auch die Produktion von Waffen fällt. Deswegen ist der Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“ richtig und wichtig. In der Bibel finden wir viele Texte zum Thema Frieden: In der Weihnachtsgeschichte verkünden die Engel Frieden auf Erden. Der wohl in der Friedensbewegung bekannteste Satz steht in der Friedensvision des Propheten Jesaja: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und nicht mehr das Kriegshandwerk lernen“.

Eine Skulptur zu dieser Friedenshoffnung steht im Garten der Vereinten Nationen in New York. Es ist kein Zufall, dass sie von der Sowjetunion gestiftet wurde, dem Land, das durch den zweiten Weltkrieg 27.000 Tote zu beklagen hat. Und wo der Wunsch nach Frieden verständlicherweise riesengroß ist.

Auch zum Thema Krieg steht einiges in der Bibel. Erstaunlich finde ich das ausdrückliche Verbot, bei Kriegen Beute zu machen!

Wenn das heute noch gelten würde, gäbe es wohl kaum noch Kriege. Denn es geht doch eigentlich immer um Beute: um Bodenschätze, einschließlich Öl und Gas, um billige Arbeitskräfte, um neue Absatzmärkte, um geopolitische Interessen usw.

Nein, Krieg oder Militäreinsätze ohne Beute, das wäre wohl kaum interessant. Die USA waren die Profiteure der beiden Weltkriege. Danach waren sie wichtigste und reichste Macht der Welt. Aber die Gier der Reichen und Mächtigen ist leider unersättlich. Ich weiß nicht, wie viele Kriege und militärische Konflikte, provozierte Regime-Changes und Destabilisierung von anderen Staaten die USA inzwischen gemacht haben, es sind auf alle Fälle sehr viele.

Als Joe Biden nach seinem Amtsantritt sagte, die USA würden jetzt wieder Verantwortung für die Welt übernehmen, habe ich spontan gesagt: “Nein, bitte nicht“!

Angeblich geht es ja bei den Kriegen und Militäreinsätzen der USA und anderer NATO-Staaten immer um Menschenrechte und Demokratie. Aber in keinem der Länder, die von den westlichen Ländern in den letzten Jahrhunderten überfallen wurden, gab es dort anschließend Menschenrechte und Demokratie. Im Gegenteil.

In den 80er-Jahren gab es in Deutschland eine riesengroße Friedensbewegung. Viele Menschen hatten zu Recht Angst vor einem atomaren Krieg, der in unserem Land ausgetragen würde.

Dann kam der Fall der Berliner Mauer und der Zerfall der Sowjetunion und des Warschauer Pakts. Damit war der Kalte Krieg endlich vorbei und wir haben aufgeatmet.

Aber dann begann der Kriegseinsatz der USA im Kosovo. Leider ließ sich die damalige rot-grüne Bundesregierung von den USA überreden, da mitzumachen. Auch 1999, bei der völkerrechtswidrigen Bombardierung Serbiens, das damals mit Russland verbündet war.

Dabei wurden auch bewusst Chemiekombinate, Krankenhäuser und Schulen angegriffen und tausendfach abgereicherte Uranmunition verschossen. Das bezahlt die serbische Bevölkerung bis heute mit einer enorm hohen Krebsrate.

Es folgten weitere große völkerrechtswidrige Kriege von NATO-Staaten:

Nach der Zerstörung der Twin-Towers am 11. September 2011 in New York mit vielen Toten - was genau da geschehen ist, wissen wir leider bis heute nicht – sah die USA sich berechtigt, in Afghanistan einzumarschieren. Obwohl dieses Land nachweislich nicht an diesen Anschlägen beteiligt war.

2003 kam dann der Krieg gegen den Irak, für den es absolut keine Rechtfertigung gab, 2011 wurde Libyen überfallen und Präsident Gaddhafi getötet, der für viele afrikanische Staaten eine Hoffnung gewesen waren. Jetzt ist das Land völlig destabilisiert.

Ebenfalls 2011 begann der Krieg gegen Syrien mit dem Ziel eines Regime-Change, in dem die USA ebenfalls eine üble Rolle gespielt haben. Und auch Deutschland war beteiligt, leider.

Gegen all diese Kriege gab es Proteste von der deutschen Friedensbewegung. Aber das waren doch immer relativ wenige Menschen, die sich dafür interessierten. Diese Kriege waren ja weit weg.

Aber jetzt ist das für viele von uns Unfassbare geschehen. Russische Soldaten sind in der Ukraine eimarschiert. Und plötzlich gibt es wieder riesige Friedens-Demonstrationen, Kundgebungen und in den Kirchen Friedensgebete.

Und unmäßige Sanktionen gegen Russland, die auch uns in Westeuropa, aber besonders viele ärmere Länder hart treffen werden. Diese Sanktionen werden wieder Hundertausende elendiglich verhungern lassen, oder medizinische Behandlung nicht möglich machen. Das trifft besonders viele Kinder. So, wie das auch schon durch andere Sanktionen geschehen ist und weiterhin geschieht, z. B. im Irak und vielen anderen, den USA nicht genehmen Ländern. Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine ist eindeutig völkerrechtswidrig. Aber warum sind die Reaktionen so extrem heftiger als bei den völkerrechtswidrigen Kriegen von NATO-Staaten?

Warum werfen wir alle Prinzipien über Bord, liefern Waffen in ein Kriegsgebiet und erhöhen die Rüstungsausgaben um 100 Milliarden Euro? Obwohl dieses Geld dringend für Sozialmaßnahmen und in der Bildung gebraucht würde.

Liegt es nur daran, dass die Ukraine natürlich näher liegt als die arabischen Länder? Und dass viele Menschen bei uns durch die Geflüchteten, die zu uns kommen, jetzt erst richtig begreifen, was Krieg bedeutet? Oder liegt es daran, dass der Angreifer dieses Mal Russland ist. Und dass jetzt alle Ressentiments hochkochen, die schon durch die Nationalsozialisten, aber später auch im Kalten Krieg geschürt wurden?

Und das geht nicht nur gegen den russischen Staat. Russische Künstler dürfen nicht mehr auftreten, wenn sie nicht klar Position gegen ihren Staat beziehen. Wer hat jemals von US-Künstlern entsprechendes verlangt wegen der vielen Kriege, die ihr Land angezettelt hat?

Behinderte Sportler durften nicht an den Paralympics teilnehmen, selbst russische Katzen werden von internationalen Kämpfen ausgeschlossen.

Und hier in Berlin wurde eine internationale russische Schule angegriffen.

Viele Menschen trauen sich bei uns nicht mehr, sich in ihrer russischen Muttersprache zu unterhalten ... Woher kommt plötzlich dieser Hass?

Bei den 10 Geboten gibt es noch ein weiteres wichtiges Gebot: Du sollst nicht lügen.

Gemeint sind da nicht kleine Lügen, sondern Lügen, die anderen Menschen schaden. Und gegen dieses Gebot wird im Moment massiv verstoßen.

Bei dem Trommelfeuer von Nachrichten und Bildern aus diesem Krieg, die über uns hereinbrechen, ist es unmöglich, zu wissen, was wirklich wahr ist.

Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst, eine bekannte Weisheit. Aber ich finde, in diesem Krieg ist das extrem!

Übrigens - von dem, was westliche Länder in Serbien, in Afghanistan, im Irak, in Libyen und Syrien angerichtet haben, wissen die meisten Menschen hier wenig.

Und wenn jemand davon berichtet, wie der australische Journalist Julien Assange, wird er gehetzt und verfolgt, ohne dass das die Mehrheit der Menschen bei uns groß kümmert. Und noch etwas fällt meiner Meinung nach unter das Gebot „Du sollst nicht lügen“. Auch Verschweigen kann eine Lüge sein!

Denn dieser Krieg wäre vermeidbar gewesen. Am 19. Februar, 5 Tage vor dem Kriegsbeginn, hat Olaf Scholz Präsiden Selensky geraten, Neutralität für sein Land zu versprechen. Österreich und die Schweiz leben gut mit ihrer Neutralität. Neutralität für die Ukraine, wie Olaf Scholz das geraten hat, das wäre vernünftig gewesen. Aber Präsident Selensky hat das abgelehnt.

Wer um alles in der Welt hat ihn da so schlecht beraten?

Und wie kann er, der wahrscheinlich an einem sicheren Ort ist, ukrainische Soldaten auffordern, notfalls den Märtyrertod zu sterben? Was ist das für ein Präsident?

Ja, und warum wird nicht darüber gesprochen, wie Russland jahrzehntelang immer weiter in die Enge getrieben wurde? Und dass entgegen der Zusagen, die Gorbatschow bei den Gesprächen für ein wiedervereintes Deutschland gemacht wurden, die NATO-Osterweiterung immer weiter vorangetrieben wurde?

Dass der Westen wieder massiv aufgerüstet hat, Abrüstungsverträge gekündigt hat und dass ständig NATO-Manöver dicht an der Grenze zu Russland durchgeführt wurden usw.? Warum wird nicht darüber gesprochen, dass in der Ostukraine bereits seit 8 Jahren Krieg ist? Und dass die Versprechen für eine friedliche Beilegung des Konflikts, die die ukrainische Führung vor 7 Jahren beim Abkommen von Minsk gegeben haben, bis heute nicht eingelöst haben.

Und warum wird totgeschwiegen, dass die Ultranationalisten, Rassisten und faschistischen Kräfte seit 2014 verstärkt ihr Unwesen in der Ukraine treiben und dass sie immer mehr und immer brutaler werden?

Warum wurden die berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands nicht ernst genommen? Die Sowjetunion hat beim 2. Weltkrieg 27 Millionen Menschen verloren. Durch deutsche Soldaten! Ist es da verwunderlich, dass sie sich durch die jetzige Situation bedroht fühlen?

Dieser Krieg muss beendet werden. Möglichst schnell. Aber um Gottes Willen nicht mit noch mehr Waffen. Sondern mit Verhandlungen, in denen den Russen faire Angebote gemacht werden.

Ostern ist für uns Christen eine Zeit des Neuanfangs und der Hoffnung.

Frieden für die Ukraine und alle Völker dieser Welt, das ist meine Hoffnung. Dafür müssen wir alle einstehen.

Wir müssen aufstehen gegen die Kriegstreiber.

Wir brauchen eine große weltweite Friedensbewegung.

Und eine neue, gerechtere Weltwirtschaft. Wo es nicht in erster Linie um Profit geht.

Dafür müssen wir gemeinsam kämpfen!

Und andere davon überzeugen, dass dieser Kampf lebensnotwenig ist.

Sonst machen die Herren dieser Welt unsere Welt kaputt.

Vielen Dank.

 

Monika Auener ist Religionspädagogin und lebt in Berlin.