Redebeitrag für den Ostermarsch Ulm am 16. April 2022

 

- Es gilt das gesprochen Wort -

 

Sehr geehrte Friedensfreunde und Friedensfreundinnen,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

Es freut mich sehr, dass wir hier heute so zahlreich versammelt sind.

Der Krieg in der Ukraine hat vielen Menschen die Gefahr und das Leid, die von einer kriegerischen Auseinandersetzung ausgehen, wieder lebhaft ins Bewusstsein gebracht.

In solchen Zeiten sollten wir uns zweierlei bewusst halten:

1) das Feuer nicht mit Feuer bekämpft werden kann – Aufrüstung und Waffen schaffen keinen Frieden!

Und 2) sollten wir uns erinnern, dass der Krieg nicht in eine mehr oder weniger lange Friedenszeit hineinbrach – wofür man natürlich den eurozentristischen Blick von unserem Kontinent lösen muss – sondern dass er schlimmerweise ein weiterer von vielen ist und all die Jahre Tausende Menschen durch Waffen, und besonders auch durch deutsche Waffen, starben.

Zuallererst möchte ich hier den Krieg im Jemen ins Gedächtnis rufen, der von den Vereinten Nationen als die schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt benannt wird.

Seit dem Kriegsbeginn im Jahre 2015 starben über 380.000 Menschen durch kriegerische Handlungen und die Folgen des Krieges im Jemen.

Wenn man mit den bisherigen Toten in den ersten zwei Monaten des Ukrainekriegs rechnet, müsste dieser über 10 Jahre dauern um so ein katastrophales Ausmaß zu erlangen wie der Krieg Jemen.

Obwohl 2018 eigentlich einen Waffen-Exportstopp an die Länder der im Jemenkrieg beteiligten Koalition verhängt wurde, wurde dieser nur auf Saudi-Arabien limitiert und nur mit Schlupflöchern umgesetzt.

Tatsächlich wurden dem im Jemenkrieg beteiligten Land Ägypten, unter dem schrecklichen Diktator und Verbündeten al-Sisi, im letzten Jahr Rüstungsexporte im Wert von über 4,5 Milliarden Euro genehmigt – was Ägypten zum größten Abnehmer deutscher Waffen im Jahr 2021 machte und einen Großteil der Verdoppelung der Waffenexporte an nicht-NATO-&-nicht-EU-Ländern ausmachte.

Und schaut man auf die Top 10 der Empfänger von Waffenlieferungen in den letzten 5 Jahren so finden sich dort auch Saudi Arabien, dem Anführer der Koalition im Krieg gegen die jemenitische Bevölkerung, und Katar, das der Koalition zu Beginn angehörte und nun wohl die Rebellen unterstützt.

Gar nicht hierin mit-einbezogen werden beispielsweise Geschäfte, wie die einer südafrikanischen Tochter des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall, wobei eine ganze Munitionsfabrik in Saudi-Arabien eröffnet wurde.
Und auch das, auch in Ulm ansässige, Rüstungsunternehmen Hensoldt schaffte es seine optische Systeme über Südafrika nach Saudi Arabien zu verkaufen.
Damit bestückte Drohnen töten im Jemen!

So löchrig werden die deutschen Waffenexport-richtlinien gelassen.

Doch damit nicht genug: die eigentlich für Klimaschutz bekannt-sein-wollende grüne Partei

ist ja nun im Zuge des Versuches, die russisch-europäischen Wirtschafts-Verflechtungen zu entwirren, zum Fürsprecher von Flüssiggas als Übergangslösung geworden.

Dieses, gegenüber Pipeline-Gas viel emissions-belastetere Gas-Produkt soll nicht nur aus der extrem umweltschädlichen Fracking-Extraktion in den USA und Kanada kommen.

Nein, Habeck war kürzlich bei den im Jemen zündelnden Golfstaaten zu Besuch, um besonders von Katar Flüssiggas zu kaufen. Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde eine Wasserstoff-Partnerschaft begründet, die vorerst auch auf blauen Wasserstoff zurückgreifen soll. Dieser wird aus Gas hergestellt und ist somit, wie auch Greenpeace bezeugt, alles andere als grün.

Selbst wenn diese Schritte zum Flüssiggas-Ausbau, wie versprochen, zu einem langfristigen Wechsel zu erneuerbaren Energien führen,

wird der scheinbare humanitäre Ansatz, Russland mit Geldentzug für seinen Angriffskrieg zu bestrafen, als Doppelmoral und parteiische hybride Kriegsführung entlarvt,

wenn die Kohle an die autoritären Golfstaaten mit ihrem ebenso blutigen Krieg umgeleitet wird.

Zudem strotzt dieser selbst-verpasste humanitäre Anstrich nur so vor Rassismus, da scheinbar nur Europäer*innen und Europäer es wert seien, sie durch Sanktionen zu schützen.

Bleiben wir kurz bei Rassismus und Doppelmoral: Es ist sehr zu begrüßen, dass nun eine riesige Offenheit besteht und Ressourcen frei gesetzt werden um ukrainische Geflüchtete aufzunehmen.

Doch schreit die Ungerechtigkeit zum Himmel, wenn wir uns erinnern, wie keine Fluchtwege für Menschen aus Afghanistan geschaffen wurden

und wie viele Geflüchtete jedes Jahr im Mittelmeer daran sterben, in Europa ein Leben in Würde versuchen zu wollen

- und wie viele von ihnen in Libyen in Sklaven-Lagern von, durch die EU ausgestatteten, Milizen verrotten, ausgebeutet und missbraucht werden.

Obwohl der Langzeit-Herrscher Libyens, Muammar Gaddafi, nicht wie gewünscht mit den europäischen Vorstellungen der Migrationskontrolle kooperierte, hielt sich die Migration von Afrika über das Mittelmeer vor seinem Sturz in Grenzen.

Denn bevor die USA, Frankreich und Großbritannien Libyen vökerrechtswidrig zerbombten und einen völkerrechtswidrigen Regime-Change durchführten, war dies das Land Afrikas mit dem höchsten pro-Kopf-Einkommen und einer blühenden Wirtschaft, in das viele Menschen aus ärmeren Regionen Afrikas zum Arbeiten kamen.

Doch nicht nur für die dortigen Bewohner und festsitzenden Geflüchteten hat die angebliche „Befreiung“ durch den Westen nichts gutes gebracht.

Die Waffen des besiegten libyschen Militärs, und sicher auch einige der vom Westen für die Rebellen importierten Waffen, verteilen sich seitdem durch die Sahelzone und eskalieren bestehende Konflikte.

Nachdem der gewählte Präsident Malis Amadou Toumani Touré im Jahr 2013 kurz vor Wahlen, in denen er nicht mehr kandidiert hätte, von Generälen weggeputscht wurde, ließen sich die Franzosen gerne von dieser nicht-demokratisch-legitimierten Übergangsregierung in das Land einladen, um eine Militärintervention gegen die mit Gaddafis Waffen zurückkehrenden Touareg zu starten.

Bald waren die Touareg von Islamisten vertrieben, gegen die die Franzosen zusammen mit dem malischen Militär und den Touareg kämpften. Neben Frankreichs offensiv kämpfender Operation Barkhane, sind dort über die UN-Mission MINUSMA Militärs aus verschiedensten Ländern – darunter auch 1000 deutsche Soldaten&Soldatinnen stationiert. Zusätzlich bildete die EU bis vor wenigen Tagen die malische Armee aus, wobei auch hunderte weitere Bundeswehrausbilder und -ausbilderinnen beteiligt sind bzw. waren. Zusätzlich wurde 2020 noch die Spezialkräfte-Mission TaskForce Takuba angeleiert, wodurch Frankreich mehr andere europäische Länder in den offensiven Kampf im Sahel integrieren wollte.

Doch diese Militarisierung von außen hat die Gegend nicht befriedet. Im Gegenteil: es gründeten sich immer mehr islamistische Gruppen, die sich auch in die anderen Gegenden Malis und in die Nachbarländer wie Burkina Faso und Niger ausbreiteten.

Ein Grund dafür könnte zum Beispiel die Ablehnung der französischen Truppenpräsenz sein, die von der Bevölkerung zunehmend als Besatzung angesehen wird.

Dies war auf vielen Schildern der Demonstrierenden gegen den korrupten Präsidenten Ibrahim boubacar Keita im Jahr 2020 so zu lesen.

Die Landbevölkerung des austrocknenden Sahels fühlt sich sicher auch beraubt, wenn von den nahegelegenen Gold- und Uranminen Massen an wertvollem Material weggekarrt wird, während für sie dabei nichts abspringt.

Zudem ethnisierten sich die Konflikte,

da in der Dürre-geplagten Gegend Ressourcenkämpfe zwischen Ackerbau-betreibenden Gruppen und zB den Viehtreibenden Fulani ausbrechen, die die Islamisten für ihre Rekrutierung zu nutzen wissen.

Dies führte immer wieder zu Progromen von zB. Milizen Bambara-sprechender Ackerbauer und dem malischen Militär an Fulani-Dörfern.

Ähnlich dürfte dies auch bei der Attacke des malischen Militärs letzte Woche sein, in der, Gerüchten zufolge mit russischen Wagner-Söldnern, 300 Terroristen neutralisiert worden sein sollen – zwischen denen höchst wahrscheinlich auch Zivilisten waren. Das ist schrecklich, aber eine Fortführung des Kampfes wie ihn zuvor die Franzosen mit dem malischen Militär zusammen führten.

Auch da gab es Massaker an der Zivilgesellschaft wie zum Beispiel den Angriff eines französischen Hubschraubers auf eine Hochzeitsgesellschaft im zentralmalischen Bounti zu Beginn letzten Jahres.

Aus angegebenen 30 neutralisiertern Terroristen wurden nach einer Untersuchung der Vereinten Nationen 19 Zivilisten und zwei Bewaffnete mit Verbindungen zu islamistischen Gruppen.

Dies geschieht immer wieder im Kampf gegen den Terror. Wir erinnern uns an die Bombardierung zweier Tanklaster in Kunduz in Afghanistan, die der deutsche Oberst Klein befehligte, wobei über 140 Menschen starben – fast alle davon Zivilisten.

Die von den amerikanischen Bomber-Piloten vorgeschlagenen Tiefflüge zur Warnung wurden damals von Klein abgelehnt.

Vor Gericht wurde er, der seine Entscheidung durch ungenannte Geheimdienstquellen entschuldigte, von Fehlverhalten freigesprochen und mittlerweile zum Brigadegeneral befördert.

Krieg bleibt Menschenverachtend und ist zu ächten

und besonderes müssen wir uns dafür einsetzen, dass UNSERE gewählten Politiker UNSEREN moralischen Vorstellungen gerecht werden.

Denn im Gleichschritt mit führenden Politikern und den großen Medienhäusern Russland oder Putin als Agressor zu verurteilen ist nicht schwer – wenn auch natürlich richtig.

Doch genauso müssen wir die Doppelmoral anprangern, wenn nur die Kriegsverbrecher aus Russland als solche benannt werden und Kriegsverbrecher aus Saudi-Arabien oder den Vereinigten Emiraten dafür hofiert werden, oder Kriegsverbrechen der USA oder sogar aus den eigenen Reihen entschuldigt oder unter den Teppich gekehrt werden.

Zudem können wir uns die gerade wieder aufkochende Blockkonfrontation und die damit verbundene Rüstungsspirale weder als Land noch als Menschheit leisten!

Da die NATO schon fast 20 mal soviel Geld in Rüstung und Militär stecken wie Russland, gibt es keinen Grund warum Deutschland so aufrüsten müsste, wie es gerade getan wird - und schon lange getan wurde.

Seit dem Jahr 2000 haben sich die deutschen Rüstungsausgaben verdoppelt.

Das Argument der kaputt gesparten Bundeswehr ist Augenwischerei! Doch mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden auf vier Jahre würde alleine Deutschland mehr Geld fürs Militär ausgeben als Russland. Das ist überzogen!

Wofür es hingegen sehr wohl sehr viel Bedarf für Ausgaben gibt, ist die Bekämpfung des Hungers auf der Welt und der Klimakatastrophe!

Seit Jahren steigen die Zahlen der Hungerleidenden wieder. Alleine auf dem afrikanischen Kontinent sind wohl 380 Millionen Menschen vom Hunger bedroht.

Mit den durch den Ukrainekrieg steigenden Preisen für Treibstoff, Dünger und Lebensmittel wird sich diese Situation noch verschärfen.

Doch während die Taschen der Rüstungsunternehmen mit vollen Händen gefüllt werden, wurden die Hilfsorganisationen auf der Geberkonferenz für den Jemen mit nur einem Drittel der verlangten 3,9 Milliarden abgespeist, auf der Geberkonferenz für Afghanistan kam gerade mal die Hälfte der benötigten 4,4 Milliarden zusammen.

Das ist eine Schande!(!)

Die Milliarden scheinen ja da – und Peanuts – zu sein, im Angesicht des Sondervermögens!

Die wichtigste und weitsichtigste Investition in globale Sicherheit wären jedoch massive Hilfen für Klima-Anpassungsmaßnahmen im globalen Süden und ein konsequente Dekarbonisierung.

Wie wir im Sahel und auf dem Mittelmeer sehen, sorgt der Klimawandel jetzt schon für blutige Kriege und Massen an Vertriebenen.

Nehmen wir die Herausforderungen unserer Zeit an und erteilen wir ihrer Kriegstreiberei eine Absage.

Schluss mit dem Tot-Rüsten,

Milliarden für Aufforstung und Dämme an den Küsten!

Vielen Dank!

 

Pablo Flock ist aktive bei der Informationsstelle Militarisierung (IM) in Tübingen.