Redebeitrag für den Ostermarsch Ellwangen am 16. April 2022

 

- Sperrfrist:16. April 2022, Redebeginn: 11 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

"Rettet den Frieden – Die Waffen nieder!“

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Bislang kaum bekannte Ortsnamen erweitern nun die Liste übel klingender Lokalitäten, die man mit den schlimmsten Kriegsverbrechen in Verbindung bringt. Im ukrainischen Butscha hat die russische Armee mindestens 400 Zivilisten auf grauenvolle Art und Weise ermordet. Vom Fahrrad geknallt, andere gefesselt und gezielt hingerichtet. Tagelang säumten verkohlte und verwesende Leichname die Straßen. Niemand hier, der sich nicht mit Abscheu wendet. Wen wundert´s, dass nun auch in unserem Land immer mehr Menschen diesen Gräueln mit militärischer Gewalt ein Ende machen und mit Waffen und Granaten dreinhauen wollen.

Einmal mehr erleben wir in diesen Tagen, wie ein Krieg die dumpfesten Triebe in den Menschen entfesselt, die sadistische Lust, andere zu schänden, zu quälen und zu massakrieren. Kein Krieg in der Menschheitsgeschichte, in dem nicht marodierende Truppen eine Schleppe der Grausamkeit und des Entsetzens hinter sich her ziehen. Man wollte ja lange nicht wahrhaben, welche Schandtaten die angeblich so ehrenhafte Deutsche Wehrmacht bei ihren Feldzügen verübt hatte.

Keine Frage, Kriegsverbrecher müssen gefasst und vor Gericht gestellt werden. Dass in einem Krieg solche Verbrechen geschehen, wundert mich allerdings gar nicht. Warum? Weil der Krieg selbst ein Verbrechen ist. Ein Krieg bricht nicht einfach aus, wie uns der deutsche Sprachgebrauch glauben machen will. Er kommt nicht schicksalhaft über uns – im Gegenteil: Jeder Krieg wird ver-brochen. Und dieses Verbrechen wird, wie auch im jüngsten Fall, propagandistisch und logistisch vorbereitet, geplant und gezielt vorangetrieben. Nun sterben einmal mehr Tausende auf beiden Seiten einen völlig sinnlosen Tod, auch russische Mütter weinen um ihre gefallenen Söhne. Gespenstisch ragen die Gerippe zerstörter Häuser in den Himmel. Überlebende suchen in den Trümmern nach ein paar Habseligkeiten, um dann zu fliehen und aufzubrechen in eine ungewisse Zukunft. Wer aushält, rennt beim Geheul der Sirenen um sein Leben. Weinende Kinder in Bunkern und U-Bahn-Schächten, klagende Frauen und verzweifelte, auch wütende Männer. Kein Ende in Sicht. Immer lauter wird nun der Ruf nach Waffen und schwerem Gerät, um die Aggressoren zurückzuschlagen.

Der Krieg – das schlimmste Scheusal der Menschheitsgeschichte – ist auch in Europa auf die Bühne zurückgekehrt. Wir glaubten ihn schon auf Dauer in der Mottenkiste entsorgt, haben die systematischen Vorbereitungen, das Säbelrasseln der Kriegstreiber und ihre Vorgänger-Kriege nicht wahrnehmen wollen. Der Krieg ist übrigens nicht mehr der alte, schon der war schlimm genug. Er wurde zwischenzeitlich mit einem furchtbaren Arsenal neuer Waffen aufgemotzt. In den Kammern lauern atomare Sprengköpfe und giftige Granaten. Nicht auszumalen, was dann geschieht, wenn ein Irrer den „Roten Knopf“ drückt. Da genügt schon ein Versehen, und wir alle verglühen in einem atomaren Inferno oder müssen jämmerlich ersticken. Mir scheint: Das Überleben der Menschheit hängt gegenwärtig nur noch am seidenen Faden einer Befehlsverweigerung. Und ich hoffe und bete zu Gott, dass im Ernstfall verantwortliche Militärs verweigern, was ihnen Idioten befehlen.

Mein Ekel, meine Abscheu, mein Zorn, meine Empörung gilt denen, die diese Todesmaschinerie in Ost und West konstruiert und den Marschbefehl gegeben haben. Statt sich nach der friedlichen Revolution die Hand zur Versöhnung und zum vertrauensvollen Miteinander zu reichen, wurden die Militärblöcke aufgerüstet und ausgeweitet, so dass man sich nun Aug in Aug waffenstarrend gegenübersteht. Und gleichzeitig gräbt sich die gesamte Menschheit mit ihren Rüstungsausgaben das Wasser ab, denn „Rüstung tötet auch ohne Krieg!“ Sie verursacht Not und Elend der Armen und mordet Kinder durch Unterernährung. Was wäre das für ein Leben – für alle acht Milliarden Menschen auf diesem Planeten – wenn wir nicht rüsten, sondern aufbauen und entwickeln würden. Wenn man nicht 100 Milliarden verpulvern, sondern damit den Pflegenotstand beenden, die Armut überwinden und den Umweltschutz voranbringen würde. Statt dessen knallen nun die Sektkorken in den Rüstungsbuden und bei den Waffenhändlern.

In jedem Fall geht es um Macht-Hemisphären, die man gewaltsam erweitern will, und niemals um Werte. Das war schon bei den Kreuzzügen so. Wer Leben niedertrampelt, den Grundwert des Lebens missachtet, mit dem kann man keine anderen Werte erkämpfen oder verteidigen.

Völker zu unterjochen, Gebiete zu erobern, Machtblöcke zu bilden um den Preis, dass zahllose Menschen sinnlos sterben müssen und Zehntausende zu Krüppeln werden, dass man Wohnraum zertrümmert, Natur und Kultur gleichermaßen schändet, ist ein Rückfall in die Un-Menschlichkeit, an Primitivität und Dekadenz nicht mehr zu überbieten. „Wir sind zu Tieren geworden, zu Mördern, wir haben aufgehört, Menschen zu sein“, schreibt der Rekrut Erich Maria Remarque über seine Erfahrungen im Zermürbungskrieg an der Westfront des 1. Weltkriegs. Jeder Krieg ist ein Verrat an der Menschwerdung. Als Christ füge ich dem hinzu: Damit schlagen wir Gott ins Gesicht, der uns nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat.

Wer Krieg führt, leugnet die Menschlichkeit. Selbst hirnlos geworden, missachten die Kriegstreiber, dass wir als Menschen Herz und Verstand zu eigen haben.

Vielen Dank.

 

Paul Schobel ist ehem. Leiter der Kath. Betriebsseelsorge Diözese Rottenburg-Stuttgart und lebt in Böblingen.