Redebeitrag für den Ostermarsch Rhein-Ruhr in Wattenscheid am 17. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Schön, dass ihr nach Wattenscheid gekommen seid. Wir brauchen dringend Verstärkung. Wir sind nämlich, sagte der FDP-Mann Graf Lambsdorff in der Wochenzeitung Die Zeit die „fünfte Kolonne Wladimir Putins“ und das gleich „politisch und militärisch“. Kennt ihr den Begriff „5. Kolonne“? Den hat der faschistische General Franco geprägt. Er lag 1936 nach seinem Putsch gegen die Republik mit vier Kolonnen vor Madrid und konnte die Stadt zunächst nicht erobern. Da behauptete er, er hätte noch eine 5. Kolonne, also eine Untergrundarmee, in Spaniens Hauptstadt und die werde der ersten demokratisch gewählten Regierung den Garaus machen.

Also, Putins geheime Kämpfer, wo sind eure Waffen? Statt Panzern sehe ich nur Fahrräder. Und du da auf dem Kindersitz: Wo hat Mama ihre Kalaschnikow versteckt? Und die Milchflasche – ist da Benzin drin?

Ganz schön lächerlich, diese Vorstellung. Aber solche Attacken hat der Ostermarsch schon oft erlebt. Auch unserem Wirtschaftsminister gefallen unsere Forderungen nicht. Laut Spiegel ist er der Meinung, dies sei nicht die Zeit für Pazifismus. Was denn? Ohne Ende weiterbomben? So etwas von dem Vertreter einer einstigen Friedenspartei zu hören, finde ich sehr verstörend.

Als ich vor Wochen gefragt wurde, ob ich euch hier in Wattenscheid begrüßen möchte, habe ich gerne zugesagt. Erstens, weil ich seit dem ersten Ostermarsch 1960 oder 61 von Lünen nach Dortmund an vielen Ostermärschen teilgenommen habe, aber noch nie reden durfte (*smile*). Zweitens weil ich in dieser Stadt seit gut 40 Jahren Kinder mit Deutschunterricht quäle und mich hier ein paar Leute kennen. Und drittens: Wenn es mal gerade nicht stürmte und regnete, waren die Ostermärsche immer eine fröhliche Sache, ganz egal, ob am Ende in Dortmund 500 oder 20.000 Leute ankamen. Ja, und viertens: Wir hatten bei der Anfrage noch keinen Krieg in Europa.

Ich weiß nicht, wie es euch ging, als US-Geheimdienste meldeten, Russland werde einen Krieg beginnen. Ich habe es nicht geglaubt. Denn bis dahin hatten die US-Geheimdienste immer gelogen, wenn die USA in den Krieg ziehen wollten. Vor den Bombenangriffen auf Hanoi haben sie von einem Angriff der Vietnamesen auf ein US-Schiff im Golf von Tonkin berichtet, der nie stattgefunden hatte. Beim 1. Angriff auf den Irak wollten sie in der Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien angeblich die Demokratie retten. Vor dem 2. Krieg galt es, so die USA, Saddam Hussein daran zu hindern, gegen die Kurden Massenvernichtungswaffen einzusetzen – die es gar nicht gab. Wer 3 x lügt – ihr kennt den Spruch. Aber diesmal hatten die Geheimagenten der USA ausnahmsweise die Wahrheit gesagt – und auch mich getäuscht.

Die schrecklichen Bilder dieses Krieges bekommen wir seitdem viele Stunden täglich auf allen Kanälen zu sehen. Sie erzeugen Mitleid und Empörung und eine Welle der Hilfs- und Spendenbereitschaft, wie ich sie in diesem Land noch nicht erlebt habe. Den Ukrainern gegenüber sind die Behörden plötzlich freundlich und aufgeschlossen: Die bekommen sofort ein Visum, dürfen sich in der EU frei bewegen und sofort arbeiten – manche Syrer haben darauf sieben Jahre gewartet.

Ja, dieser Krieg ist so brutal, wie es Kriege sind. Schulen und Krankenhäuser darf man nicht beschießen - das hat man uns sogar bei der Bundeswehr eingebläut. Und wenn einige Städte in der Ukraine jetzt so aussehen wie Köln, Dortmund oder Wattenscheid nach dem 2. Weltkrieg, dann frage ich mich nicht nur fassungslos, wie viele Jahre es braucht, das alles wieder aufzubauen. Am meisten tun mir die Menschen leid, die da ums Leben gekommen sind oder ihre Liebsten verloren haben – egal ob es Russen, Ukrainer oder die Einwohner/innen von Lugansk und Donezk sind, die seit acht Jahren von der Ukraine aus beschossen wurden. (Dorthin hat sich meines Wissens noch kein westlicher Journalist zu einem Frontbericht getraut.)

Dazu kommen jeden Abend Talkshows, in denen angebliche oder echte Experten darüber schwätzen, ob Putin nur größenwahnsinnig oder völlig Banane sei. Und manche Moderatoren können es offenbar gar nicht abwarten, dass die NATO endlich mit den härtesten Mitteln zuschlägt - um den Krieg zu beenden. Welche Folgen das für den Frieden im restlichen Europa haben könnte, wird wegdiskutiert. Stattdessen drängen viele dieser „Experten“ darauf, immer mehr Waffen immer schneller nach Kiew zu liefern. Wer darauf aufmerksam machen will, dass dieser Krieg eine Vorgeschichte hat, bei der die EU- und NATO-Staaten nicht besonders gut wegkommen, wird gleich als ignoranter „Putinversteher“ diffamiert.

Dieses antirussische Dauerfeuer in den Medien wirkt inzwischen bei manchen Menschen wie eine Gehirnwäsche. Es gibt Berichte, dass russische Ladenbesitzer bedroht werden. Künstlern werden Engagements entzogen, weil sie sich weigern, Putin einen Mörder zu nennen. Die Firma Haribo wird denunziert, weil sie weiterhin Süßigkeiten nach Russland liefert. Steuern wir auf ein Klima zu, das an Nazi-Kampagnen mit dem Motto „Kauft nicht bei Juden“ erinnert? Ich befürchte es.

In jedem Krieg, so heißt es, sterbe die Wahrheit zuerst. Das beginnt damit, dass man Russland vorwirft, eine lange Periode des europäischen Friedens beendet zu haben. Aber es ist keine 33 Jahre her, dass US- und Bundeswehr-Flugzeuge drei Monate lang Serbien bombardiert haben. Brücken, Kraftwerke, Fabriken wurden zerstört – eine Bombe traf sogar die Botschaft Chinas. Der Grund: Das ehemalige Jugoslawien war bereits auf diesen Staat reduziert und die Serben weigerten sich, der muslimischen Provinz Kosovo die Loslösung zu gestatten. In deutschen Medien hießen die Separatisten im Kosovo zunächst „Terroristen“, ein paar Tage später „Freischärler“ und zum Schluss „Freiheitskämpfer“, die man unterstützen musste.

Das Wort „Völkerrecht“ war in den Medien und von unseren Politikern damals nicht zu hören. Stattdessen verloren die Grünen ihre politische Unschuld. Außenminister Fischer vom Bündnis 90/Die Grünen nannte die Bombardierung Belgrads als das letzte Mittel, eine „humanitäre Katastrophe“ zu verhindern – und wurde dafür auf einem Landesparteitag noch heftig kritisiert.

Ich kann mich auch nicht erinnern, dass in „unserem“ Fernsehen Bilder zu sehen waren, die vom dem Leid zeugten, das die Serben erlitten. Der Begriff „Sanktionen“ tauchte ebenfalls nicht auf.

Was nun ist Wahrheit? Die Propaganda der Ukrainer ist auf jeden Fall wirksamer als das, was Putin und Lawrow unerschütterlich aus ihren Büros heraus verkünden. Von digitalen Medien machen sie, so scheint es, kaum Gebrauch. Ganz anders die Regierung in Kiew. Bei ihren Besuchen in zerstörten Dörfern haben sie immer ein paar Kameraleute dabei. Und die liefern die passenden Fotos und Filme: Zerstörte Wohnblocks und Krankenhäuser, tote Männer, süße Kinder und traumatisierte Frauen. Kann sein, dass alles so stimmt. Aber manchmal kommen mir Zweifel.

Da gibt es z. B. eine Luftaufnahme von einem Schützenpanzer sowjetischer Bauart. Gezielte Schüsse töten einen Radfahrer. Ein Hoheitszeichen an diesem Fahrzeug war (zumindest im TV)? nicht zu erkennen. Wer saß wirklich darin? Selenskyi behauptete mehrfach, dass seine Truppen viele russische Fahrzeuge erbeutet hätten.

Dann ein Panzerwagen auf fast leerer Straße, Schüsse nach rechts und links. Eine längere Filmaufnahme durch eine verschmutzte Windschutzscheibe. Auch hier habe ich kein Hoheits- oder Kennzeichen entdecken können. Ist das wirklich Russen da vorne? Merken sie nicht, dass sie auf der fast leeren Straße verfolgt werden?

Dann das Bild eines gefesselten Toten. An seinem Arm leuchtet eine weiße Armbinde. Ein Bürgermeister hat in einem Interview erklärt, russische Soldaten hätten den Dorfbewohnern geraten, mit einer solchen Armbinde zu signalisieren, dass sie unbewaffnet sind. Kurz zuvor hat Selenskyj auf Nachfrage erklärt, „Verräter“ und „Kollaborateure“ würden „ihre Strafe bekommen“. Sagt uns das was? Waren da vielleicht die ukrainischen Spezialtrupps am Werk, die Spione aufstöbern sollen?

Wahrheit? Politiker meinen, wir müssten den Ukrainern helfen, ihre Freiheit und die Demokratie zu verteidigen. Deshalb beschwören die Legende von der friedlichen Maidan-Revolte, mit der „moskautreue“ Politiker weggeputscht und „westlich orientierte“ ins Amt geschoben wurden. Dass gleichzeitig in Odessa ein Gewerkschaftshaus angesteckt wurde, in dem mindestens 20 Menschen starben, ist längst vergessen. Als Täter werden die Mitglieder des profaschistischen Asow-Regiments vermutet – aufgeklärt wurde das Verbrechen offenbar nie. Selenskyj und seine Crew haben diese Freiwilligen mehrfach als gute „Patrioten“ gelobt.

Den ganzen Ukrainekrieg kann man unmöglich in wenigen Minuten erklären. Vieles liegt im Dunkeln und ich habe – wie ihr - auch nur die öffentlichen Quellen zur Verfügung. Vermutlich ziehen viele auch ganz andere Schlüsse daraus. Ich bin aber derselben Meinung wie Sevim Dagdelen (Bochumer MdB der Linken), dass weitere Waffenlieferungen diesen Krieg und das Morden nur unnötig verlängern und dass unbedingt Verhandlungen geführt werden müssen.

Frau Baerbock ist da anderer Auffassung. Sie redet neuerdings davon, dass „wir“ der Ukraine zum Sieg verhelfen müssen. Nun, eine naive Rechnung am Rande: Den 200.000 ukrainischen Soldaten stehen rund 2 Millionen russische gegenüber. Glaubt Frau B. etwa, dass jeder ukrainische Soldat zehn Gegner töten müsse und dass dann Frieden herrsche? Im Moment sieht es angesichts der Forderungen der Ukraine ganz danach aus, dass die ukrainische Führung zu einem langen Stellvertreter-Krieg für die NATO bereit ist. Doch wie immer das ausgehen mag: In diesem Krieg wird es wie üblich nur einen Gewinner geben, nämlich die Rüstungsindustrie.

Auch deshalb muss dieser Ostermarsch weitergehen. Und guckt zum Himmel hinauf: Petrus ist in diesem Jahr auf unserer Seite!

Vielen Dank.