Redebeitrag für den Ostermarsch Heidelberg am 8. April 2023

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

„O Gottes Engel wehre und rede Du darein!
S’ist leider Krieg, und ich begehre
Nicht Schuld daran zu sein.
Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blass,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Dieser Auszug vom Kriegsgedicht von Matthias Claudius (1778) setzten die Erziehungswissenschaftlerin Marianne Gronemeyer und der Theologe und Soziologe Reimer Gronemeyer an den Anfang ihres Manifestes der 80-jährigen „Die Stimme der Kriegskinder zum Krieg in der Ukraine“.

Sie erheben ihre Stimme nicht, wie sie schreiben, „weil wir vor Altersweisheit strotzen, sondern weil wir die Erfahrung des Krieges, die sich uns in den Bombennächten einprägte, ein Leben lang mit uns herumgetragen haben.

Das Wort ‚Krieg‘ (heute) ist in aller Munde, und es ist beängstigend, wie geschmeidig es sich in das tägliche Sammelsurium der Nachrichten einfügt, als sei ‚Krieg‘ ein Gegenstand wie jeder andere.

Unsere Vorstellungen vom Krieg, entstehen nicht aus den wirkmächtigen Bildern, die uns auf unseren kleinen und großen Bildschirmen aufgetischt werden. Sie tauchen, ob wir wollen oder nicht, auf aus unseren leibhaftigen Erinnerungen und können nicht Ruhe geben.
Unsere Erfahrung vom Kriegsgeschehen reicht über die Kindheitserlebnisse nicht hinaus, aber das genügt, um uns mit den getöteten, verwundeten und verängstigten Kindern in der Ukraine verbunden zu fühlen und es macht es uns unmöglich, über ihre Leiden hinwegzusehen.“

„Je länger dieser Krieg dauert, desto mehr wird ihr Leben von ihren Kriegserfahrungen beherrscht sein, sie werden, wie wir, Kriegskinder sein. Sie haben keine Stimme, um das Schweigen der Waffen und den Weg der Verhandlungen einzufordern. Wir tun das an ihrer statt.“

Solidarität

Seit dem brutalen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist die überwältigende Solidarität mit den Menschen dort und den Geflüchteten ungebrochen. Natürlich ist es richtig und wichtig, die Ukraine vielfältig zu unterstützen. Da der russische Einmarsch ein gravierender Bruch des Völkerrechts darstellt, ist seine Ablehnung moralisch und rechtlich völlig konsequent: eine Parteinahme für Gerechtigkeit, Völkerrecht und die Ablehnung militärischer Gewalt.

Aber welche Unterstützungsmaßnahmen sind die richtigen, welche sind problematisch oder sogar gefährlich?

Es setze zunächst ein Bewaffnungsreflex ein, einem Denk- und Handlungsmuster der Kriegslogik folgend, wie es die IPPNW beschreibt.

Inzwischen hat sich militärische Gewalt als Mittel von Politik wie selbstverständlich ins Alltagsbewusstsein der Bevölkerung eingenistet und wird in Teilen der Politik und weiten Teilen der Medien als alternativlos propagiert.

Befürwortung militärischer Unterstützung sowie die Ablehnung eines Waffenstillstands und von Verhandlungen (zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt) wird mit der unbedingten Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und Argumenten wie "Der Angreifer darf nicht belohnt werden" oder "Das Täter-Opfer-Verhältnis darf nicht umgekehrt werden" begründet. Russland muss bestraft werden und darf nicht gewinnen.

Wir, die gegen Waffenlieferungen, für Waffenstillstand und sofortige Verhandlungen plädieren, tun dies ebenfalls aus Solidarität. Denn jeder weitere Tag Krieg bedeutet mehr unsägliches Leid und Zerstörung, mehr Flüchtlinge, Verwundete und Tote.

Für uns ist es unerträglich, zu erleben, das „ohne alles Bedenken, ohne Trauer, ohne entsetztes Innehalten die große Tradition der Friedensstifter für indiskutabel erklärt wird.“ So formulieren es die Verfasser*innen im Manifest der 80-Jährigen. Gigantische Summen fließen in die Aufrüstung, in die Tötungsindustrie und alle anderen Themenfelder wie Klima, Umwelt, Gerechtigkeit, Hunger werden hintenangestellt.

Wir werden als naiv, empathielos, als Verräter oder Komplizen von Putin hingestellt. Und die „anderen“, das andere Lager- oft pauschal als „Kriegstreiber“ beschimpft.

Hinhören, Ängste, Unsicherheit und die Verzweiflung teilen, ein gemeinsames Suchen und Ringen um Wege und Lösungsansätze, sind bisher kaum möglich.

Es muss uns gelingen, uns von vereinfachenden Denkmustern Schwarz-Weiß, Gut-Böse, Feind-Freund abzuwenden. Es braucht ein rhetorisches Abrüsten in den Köpfen und Herzen. Wir dürfen uns nicht auch der Kriegslogik unterwerfen: rechthaben und „gewinnen“ um jeden Preis.

Weltordnungskrieg

Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ist kein bilateraler, sondern ein Stellvertreter- und Weltordnungskrieg. Die Fortsetzung des Krieges kann deshalb – so Peter Wahl, Gesellschaftswissenschaftler und Mitbegründer von Attac. nicht auf den russischen Einmarsch am 24. Februar 2022 reduzieren werden und ihn quasi als singuläres Ereignis verabsolutieren, das als alleinige Ursache alles Weitere bestimmt. Die passende Maxime für eine solche Haltung wäre: Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe die Welt darüber zugrunde.

"Gewinnen um jeden Preis" bedeutet, so der Sozialpsychologe Welzer, dass man „sein Handeln vom Aggressor aufzwingen lässt. Es sind stattdessen Handlungsspielräume zu schaffen, die Möglichkeiten für ein Ende der Gewalt eröffnen.“

Der Krieg verursacht inzwischen gigantische materielle und humanitäre Kosten vor allem in der Ukraine, aber auch weltweit. Die Gefahr eines dritten Weltkriegs mit einer atomaren Eskalation droht.

Friedensgebot der UN-Charta

Zwar ist richtig, dass die UN-Charta Angriffskriege verbietet. Aber wenn ein Krieg dennoch ausgebrochen ist, gebietet sie:

Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.

D.h. Die Verpflichtung zu friedlichen Lösungen von Konflikten besteht nicht nur, um Kriegen vorzubeugen, sondern auch, um Wege aus Kriegen heraus zu finden.

Deutschland liefert Waffen und bildet ukrainische Soldaten aus. Wir sind beteiligt und in der Verantwortung.

Verhandlungen zur Leid-Minderung

Es muss alles Menschenmögliche versucht werden, das Sterben und das Leiden so bald wie nur irgendwie möglich zu beenden, oder auch nur einzudämmen. Und dazu können Verhandlungen beitragen, auch zum jetzigen Zeitpunkt. Auch wenn moralisch betrachtet die Ukraine mit ihren Vorbedingungen im Recht sein mag, aus einer pragmatischen Perspektive sind die bisher gestellten Vorbedingungen auf beiden Seiten unerfüllbar und einzig dazu gemacht, Verhandlungen zu verhindern, so der OSZE-Berater und Mediator, Wolfgang Sporrer.

»Man kann Verhandlungsbereitschaft auch herbeiverhandeln. Das ist erfolgversprechender als der Plan, Frieden herbei zu bomben.« so drückt es Heribert Prantl aus.

Friedensprozess statt Endresultat

Sporrer fordert einem Friedensprozess und plädiert dafür, erst einmal die Lücke zu schließen, die in allen Friedensforderungen kommt: Nämlich das Leiden der Menschen zu mildern. Er schlägt vor Verhandlungen zu kleinen, konkreten Vorhaben zu führen und gangbare Schritte zu gehen. Das muss ohne Vorbedingung passieren. Und es braucht seiner Meinung nach einen beiderseits anerkannten Mediator, am besten eine Person aus den Reihen der UN oder der OSZE. (Magie des Prozesses, d.h. dass im Prozess große Chancen liegen, Bewegung in auch festgefahrene Situationen zu bringen)

Hass und den Krieg gründlich verlernen

Antje Vollmers, Ex-Vizepräsidentin des Bundestags, Grünen-Politikerin hat vor ihrem Tod am 15. März in diesem Jahr einen Essay veröffentlicht, “Was ich noch zu sagen hätte“, Vermächtnis einer Pazifistin.

Antje Vollmers wollte eine Welt der Abrüstung. Sie stand für den unbedingten Willen zum Gespräch, zur Vermittlung, zur Berücksichtigung und Nutzung aller Versöhnungschancen.

Zum Abschluss der Essay schreibt sie: „Der Hass und die Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion ist tief verwurzelt in der Menschheit, gerade in Zeiten großer Krisen und existentieller Ängste. Heute aber gilt: Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planeten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption.“

Den Frieden gewinnen

Die kolumbianische Vizepräsidentin Francia Márquez sagte bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz "Es ist nicht gut, weiter darüber zu streiten, wer in einem Krieg verliert und wer gewinnt. Wir haben alle verloren, und wer in einem Krieg verliert, ist die Menschheit. Es geht nicht darum, sich an der Seite von einer der Kriegsparteien zu positionieren, also nicht darum, Russland oder die Ukraine zu schlagen. Wir sind gegen den Krieg, denn der Krieg hat die Menschheit immer zerstört".

"Alte Richtlinien zur Militarisierung des Lebens" passen nicht zu den Bedürfnissen der Welt. Wir brauchen eine neue Weltordnung, die das Leben in den Mittelpunkt stellt“.

 

Heidi Flassak ist aktiv beim Netzwerk Care Revolution Rhein-Necker und beim Heideberger Friedensbündnis.

 

Quellen: