Redebeitrag für den Ostermarsch in Emden am 30. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Vorwort:

Ich bedanke mich für die freundliche Begrüßung und Einladung, hier sprechen zu dürfen. Und ich sage es gleich vorweg: was ich sagen werde, sage ich nicht für oder gegen eine Partei. Ich weiß um die Zerrissenheit auch dort. Was ich sage, sage ich aus rein inhaltlichen Gründen, weil es meiner Meinung jetzt gesagt werden muss!

Denn, Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

die vielen Toten, Verstümmelten und ihre Angehörigen lassen mir einfach keine Ruhe mehr. Zehntausende in Israel/Palästina, Hundertausende in der Ukraine und Russland, Soldaten, Zivilisten, Kinder… Die Toten und ihre Angehörigen lassen mir auch deshalb keine Ruhe mehr, weil mein ganz persönliches Steuergeld täglich mithilſt beim Töten. Seit Jahrzehnten liefern alle unsere Regierungsparteien Israel Waffen, auch U-Boote aus Kiel und Emden. Den Palästinensern liefern wird dagegen das Verbandsmaterial für ihre Krankenhäuser und sind auch noch stolz auf die Hilfe. Und da wundern wir uns noch, wenn diese zynische Doppelzüngigkeit jetzt fürchterlich hochkocht? Urteilen wir lieber über uns selbst, als über die, die sich auch durch unsere „Vorarbeit“ nun gegenseitig zerfleischen.

In der Ukraine ist unser Land nach den USA größter Waffenlieferant geworden. Der Tod ist seit langem wieder ein „Meister aus Deutschland“. (P. Celan) Es sei ja „alles nur für den Frieden“, hämmert uns die Propaganda auf allen Kanälen ein. Aber was geschieht wirklich?

Wir erleben z.Zt eine in der deutschen Nachkriegsgeschichte lange schon geachsene, aber durch den Ukrainekrieg nun akut angeheizte, beispiellose Militarisierung des Denkens und Handelns in Politik, Kirche und Gesellschaſt. Aus der doppelten Nachkriegsweisheit „Nie wieder Faschismus!“ UND! „Nie wieder Krieg!“ ist ein „Wir-müssen-jetzt-und-in-Zukunſt-Krieg-führen-um- Frieden-und-Freiheit-zu-schützen!“ geworden. Ein Widerspruch in sich selbst!

Jede Kriegslogik und Kriegsführung ist das Ende von Wahrheit, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit. Welche Gewalt auch immer, die zum Angriff und leider auch die zur Verteidigung erzeugt immer nur weitere, endlose Gewalt. Aber die Waffengläubigen an allen Fronten können oder wollen das nicht einsehen!

Uns alle treibt heute die tiefe Sehnsucht nach Frieden auf die Straße, da bin sicher. Aber von welchem Frieden reden wir? Frieden ist und bleibt von seinem Wesen her ein ständiges „Wagnis“ der gewaltfreien und damit verwundbaren Begegnung mit meinem Gegner, auch und gerade mit meinem Feind. Friede kann niemals mit Waffen gewonnen oder „gesichert“ werden! „Frieden ist das Gegenteil“ von jeder Form militärischen Sicherheitsdenkens. (D. Bonhoeffer) Wir können Sicherheit immer nur mit dem Gegner und Feind wagen und aufbauen, durch eigene gewaltfreie Vorleistungen, die Vertrauen stiſten, aber niemals mit Gewaltmitteln, die weiter nur Angst und Schrecken erzeugen.

Aber ich denke, darum geht es schon lange nicht mehr bei unserem politischen Führungspersonal. Lasst mich das an drei Beispielen aufzeigen:

Wie unser Verteidigungsminister längst zum Kriegsminister mutiert ist, haben wir soeben von Michael Schunk gehört. Wir wollen ihn und uns alle darum nochmal an das wegweisende und höchstverbindliche Vorwort unseres Grundgesetzes erinnern, auf das er für uns alle seinen Eid geschworen hat! „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraſt seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ (Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland)

Uns alle nun „kriegstüchtig“ (B.Pistorius) machen zu wollen, ist von daher ein Angriff auf die demokratische Friedensordnung unserer Gesellschaſt, ganz Europas, ja, der Welt - und zugleich ein Verrat an der Seele seiner eigenen Partei, die doch immer schon wusste, dass die Zeche jedes Krieges vor allem wieder die kleinen Leute zahlen, während die Kriegsherren und ihre Finanziers sich wie eh und je in warmen Kissen wälzen.

Als zweites höre ich unseren Bundespräsidenten sagen, wir sollen den Vereinigen Staaten jetzt „nicht in den Arm greifen“, (F.-W. Steinmeyer) wenn sie jetzt wie Russland völkerrechtswidrige Streubomben einsetzen. Ja, wir haben richtig gehört! Das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland fordert Regierung und Volk zur Duldung eines klaren Rechtsbruches auf, der den Krieg noch grausamer und den Frieden noch unwahrscheinlicher macht! Noch mehr: Er ruſt uns alle zur Missachtung des Grundgesetzes auf, denn das Völkerrecht ist untrennbarer Bestandteil unserer Verfassung! Darum frage ich ernsthaſt: Kommt die Gefahr für Frieden und Demokratie z.Zt. wirklich nur von Rechtsaußen wenn unser demokratisch gewähltes Führungspersonal selber die gültige Rechts- und Friedensordnung Stück für Stück schreddert?

Schließlich unser Bundeskanzler. Eine kleine Gruppe von besorgten friedlichen Demonstranten gegen seine Militärpolitik hat er in München öffentlich als „gefallene Engel“ bezeichnet die „aus der Hölle kommen, weil sie letztendlich einem Kriegstreiber das Wort reden.“ (O.Scholz, 27.August 2023, Marienplatz München) Jener Kanzler, der bei seinem Amts-Eid vielleicht aus guten Gründen auf den Gottesbezug verzichtet hat, spielt sich nun selbst zum Gott auf, der allein genau zu wissen scheint, wer aus der Hölle kommt und wer nicht. Religion als Machtmissbrauch, wie bei Putin! Die große Keule der Moral, wenn die eigenen Argumente fehlen. Und ein Denkmuster in Schwarz-Weiß, in: wir die Guten und dort die Bösen, mit dem der Kanzler jeden demokratischen Diskurs erstickt und Volk und Partei tyrannisiert und spaltet! Das alles sind klare Anzeigen von Kriegslogik und Kriegskultur an der Spitze unserer Regierung!

Wir haben eben zurecht gehört, dass es der Westen (!) war, der ein mögliches, schnelles Ende des gegenseitigen Abschlachtens in der Ukraine schon im März 2022 aktiv verhindert hat! Sollten wir da nicht auch mit dem Wort „Kriegstreiber“ etwas vorsichtiger umgehen?

Die drei Beispiele sind keine verbalen Aussetzer mehr, das alles gehört zum System der Kriegslogik, in der unsere Regierenden parteiübergreifend schon lange gefangen sind. (Die Opposition, die sich „christlich“ nennt, übrigens noch länger!)

Die Vordenker dieser Kultur finden wir auf der Seite des Westens in den Strategiepapieren der USA aus den letzten Jahrzehnten. Selbst der NATOGeneralsekretär musste nun indirekt in einem Interview zugeben, dass die mit Russland nicht abgestimmte NATO-Osterweiterung Russland zum Krieg gegen die Ukraine provoziert hat! (J. Stoltenberg) Und dennoch hören sie mit dem Krieg nicht auf! Warum?

Die westliche Politik hat sich in weiten Teilen offenbar längst entschieden, dass die Globalisierung und der Kampf der Menschheit um die letzten Energien und Rohstoffe der Erde für unsere unersättliche Wachstumswirtschaſt nur noch mit Gewalt zu führen sei, am besten an der Seite der größten Kriegsmaschine, die die Menschheit je gesehen hat. Die USA haben im Jahr 2022 rund 800 Mrd. Dollar nur für ihr Militär ausgegeben, das zehnfache Russlands! Unter diesem trügerischen „Schutzschirm“ soll es nun in die Zukunſt gehen.

Die Ukraine ist dabei längst zum Schuldsklaven des Westens geworden. Westliche Konzerne wie BASF und Monsanto kaufen gerade die ertragsreichen Böden der Kornkammer Ukraine auf. Und der Sohn von Präsident Biden führt schon seit 2014 den größten ukrainischen Gaskonzern an. So sieht nach westlichem Muster die sogenannte „Befreiung der Ukraine“ aus. Lernt der gutgläubige aber blinde „Biedermann“ darum noch vor dem nächsten und dann vielleicht letzten Weltenbrand, dass er die „Brandstiſter“ auch im eigenen Hause hat? (M. Frisch) Das zu sagen ist kein „Anti-Amerikanismus“, auch diese Moralkeule verfängt nicht mehr. Wir sind nicht gegen Amerika, nur gegen seine eigensüchtige Machtpolitik. Das ist die schlichte Wahrheit, die aber nur wenige hören wollen, weil sie immer noch fest an diesen „Schutzschirm“ und seine Propaganda glauben. Konkret bedeutet dieser vermeintliche Schutzschirm aber für uns in Emden, dass unser Hafen weiter genutzt wird für weltweite Militäreinsatze, wie gerade beim größten NATO-Manöver der Geschichte geprobt. Damit wäre unser Emden aber nicht nur eine „Drehscheibe“ militärischer Machtpolitik, sondern künſtig auch eine hochsensible „Zielscheibe“ für jede terroristische oder staatliche Gegengewalt. Wollen wir das alles? Was sagt die Hafenwirtschaſt zu diesem selbstgemachten Gefahrenpotential? Was der Emder Rat? Die Verwaltung?

Höchst bedenklich ist bei allem: es gibt z.Zt. auch im Berliner Parlament keine wirkmächtige, gewaltfreie Friedensarbeit mehr, eine Politik, die auf Interessenausgleich, Diplomatie, Entspannung und Abrüstung setzt, auch auf eine Kultur der gepflegten Selbstkritik. In diesen Tagen kam zwar ein vorsichtiger und guter Vorschlag aus dem Parlament, den Krieg in der Ukraine doch langsam „einzufrieren“. (R. Mützenich, SPD) Aber welche Chance hat er ernsthaſt, wenn ein erklärtes Kriegsziel der USA auch darin besteht, Russland so lange wie möglich und nachhaltig zu schwächen, damit es als Konkurrent keine Chance mehr hat?

Ich bin darum gewiss, liebe Friedensfreundinnen und -freunde, wir stehen an einem Scheide-Punkt in unserer Demokratie, wo wir als friedliebende Bevölkerung unseres Landes wieder selber anfangen müssen, Demokratie und Frieden aktiv zu verteidigen. Wir müssen ein ganz neues Konzept von Frieden und Sicherheit suchen und entwickeln, damit die globalisierte Welt nicht in einem Dauerkrieg des „Jeder-gegen-jeden-und-der-Stärkste-gewinnt-am-Ende-auch-nichts-mehr“ versinkt. Wir brauchen eine neue, globale Wirtschaſtsordnung, die von Solidarität und Kooperation statt von Konkurrenz geprägt ist, eine Ordnung des „Genug für alle“. Das aber heißt eben für viele in unserem reichen Land: „Weniger ist mehr“!

Wir brauchen eine geistreiche Politik, die alle Güter dieser Welt gerecht verteilt, und die Armen der Welt kommen in allen Belangen stets vor den Börsenspekulanten! Nur Gerechtigkeit für die Armen schafft wirklich Sicherheit, Vertrauen und Frieden für alle.

Wir brauchen den Abschied vom Irrglauben eines Schutzschirms durch eine militärische Großmacht oder jetzt auch noch durch eine „europäische Atombombe“. Welch ein Irrsinn! Die Stärke Europas als Region der unterschiedlichsten Völker und Nationen war immer die Diplomatie, der politisch organisierte Ausgleich von Interessen. Warum bauen wir unsere eigene Stärke nicht weiter aus und sind auch stolz darauf?

Und wir brauchen für die Sicherung von Frieden und Demokratie eine ganz neue Form der Wehrhaſtigkeit, wehrhaſt nach innen und nach außen. Wir brauchen ein Konzept, wie es z.B. die deutsche Initiative „Wehrhaſt ohne Waffen“ (vgl. Homepage „Kurve Wustrow“) gerade entwickelt und verbreitet. Neulich hat das Emder Friedensforum einen ersten Abend zu dieser Form der sozialen Verteidigung organisiert. Es sind weitere geplant. (Wer Interesse hat, kann sie hier gleich in eine Liste eintragen und wird künſtig dazu eingeladen.)

„Wehrhaſt ohne Waffen“ ist keine naive Illusion, sondern die einzige alterna-tive Option für eine wehrhaſte und zugleich friedliche, demokratische Zukunſt hier und weltweit. Ostfriesland kann sogar eine Modell-Region werden, dieses „Wehrhaſt ohne Waffen“ mit vielen gesellschaſtlichen Playern vor Ort einzuüben. Dazu braucht es aber Menschen, die die Komfortzone aus Resignation oder Bequemlichkeit endlich verlassen. Dazu braucht es uns alle, jeden von uns! Ja, es braucht ein eigenes Opfer, es braucht Leidenschaſt, Energie und Zivilcourage gegen die zu erwartenden Anfeindungen, um gewaltfrei und wehrhaſt zugleich gegen die erklärten Feinde von Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie drinnen und draußen aufzustehen.

Wenn in der Politik weiterhin Unrecht zu Recht umgebogen wird werden wir auch über neue Formen des gemeinsamen zivilen Ungehorsams reden müssen! Natürlich gewaltfrei, was denn sonst. Aber wehrhaſt ohne Ende bis wir am Ziel sind. Proben wir endlich gemeinsam vernetzt den gewaltfreien Aufstand gegen die grassierende Kultur des Todes!

Ja, der „Friede braucht Bewegung“. (Motto Ostermarsch Ostfriesland 2024)

Er braucht vor allem, dass wir uns selbst für den gewaltfreien und gerechten Frieden wehrhaſt bewegen und organisieren! Ich denke: Wir sind es all den ungezählten Toten, uns selbst und unseren Kindern und Kindeskindern einfach - schuldig.

Ich danke Euch fürs Zuhören!

 

Bert Gedenk ist aktiv beim Emder Friedensforum.