Redebeitrag für den Ostermarsch Heidelberg am 30. März 2024

 

- Sperrfrist: 30.03., Redebeginn: ca. 12 Uhr -
- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreund*innen,

ich spreche heute hier als Theologe, als Pfarrer der evangelischen Kirche zu euch. Und erlaubt mir, ein paar grundsätzliche Gedanken aus ethischer und theologischer Sicht beizutragen.

Es gibt in der Bergpredigt Jesu die sogenannte goldene Regel: sie lautet so: So wie ihr von den Menschen behandelt werden wollt, so behandelt sie auch. Das sei eine Regel, meint Jesus, mit der man gut durchs Leben kommt, mit der man festen Boden unter den Füssen hat, wenn man schwierige Fragen ethisch beurteilen soll.

Diese goldene Regel gibt es übrigens in allen Weltreligionen, in der einen oder anderen Fassung.

Es gibt sie im Judentum, das ja im Kern eine Religion der Nächstenliebe ist. Die Tora gipfelt in dem Satz: du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.

Diese goldene Regel gibt es im Islam, der im Kern eine Religion der Barmherzigkeit ist.

Es gibt sie im Buddhismus, der das Leiden und Mitleiden mit aller Kreatur in den Mittelpunkt stellt. Und es gibt sie im Hinduismus. Die Liebe gilt als die Zusammenfassung aller wichtigen Gebote und Regeln in der Bhagavadgita.

Was könnten die Menschen aus allen Religionen mit diesen Maßstäben und Leitlinien zum Frieden in der Welt beitragen! Wie anders sähe die Welt aus, wenn die Menschen einfach nur die Kernbotschaft ihrer jeweiligen Religion befolgen würden. Und da ich sicher bin, dass nicht jede Person hier auf Neckarwiese eine religiöse Überzeugung teilt. Auch der Humanismus kennt die goldene Regel. Sie erinnert an den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant.

Und nun werfen wir einen Blick in die Kriege dieser Welt und sehen, wie wenig davon umgesetzt wird. Was haben die jungen Männer der Hamas am 7. Oktober gedacht und gefühlt, als sie Hunderte von israelischen Menschen, junge Leute, die einfach nur tanzen wollten, massakriert haben? Hat das irgendetwas mit der Religion der Barmherzigkeit zu tun, wie es der Islam in seinem Zentrum ist?

Welche Gebote aus der Tora beherzigen die israelischen Politiker, die den Gazastreifen in eine Hölle verwandelt haben und die Menschen dort verhungern lassen? In der Tora gibt es dazu keinerlei Anhalt.

Und gilt die goldene Regel nicht auch für die orthodoxen Popen aus Russland, die den Krieg gegen die Ukraine abgesegnet haben und Putin mit ihren Gebeten zur Seite stehen?

Es sind gottlose Kriege, der hier und dort geführt werden. Und der Himmel weint über den Gräbern im Gazastreifen, in Israel, in der Ukraine und Rußland.

Und die Kirchen in unserem Land? Sie schweigen dazu, sie haben keinen besseren Rat als alle unsere Politiker*innen, die meinen, mehr Waffen brächten irgendwann den Frieden. Ich bin enttäuscht von den Äußerungen der kirchenleitenden Personen in der evangelischen Kirche in den letzten 2 Jahren. Unter den wenigen Stimmen, die sich gegen weitere Waffenlieferungen und für Verhandlungen aussprechen ist nur der Friedensbeauftragte der EKD, Bischof Friedrich Kramer aus Sachsen. Er hält als einziger die Fahne des Friedens hoch und verweigert sich dem Kriegsgeheul unserer Medien.

Warum ist das so?

Ich glaube, weil viele Menschen den Krieg unterschätzen. Sie verkennen die Eigendynamik und Eigenmacht des Krieges. Der Krieg hat seine eigenen Gesetze. Wer sie nicht vorher schon studiert hat und sie kennt, und einen klaren Standpunkt hat, der verfällt dem unheimlichen Sog, den jeder Krieg auslöst. Krieg macht blind. Krieg polarisiert. Er täuscht uns und gibt vor, eine gute Sache zu sein, ein gerechter Krieg. Der Krieg vernebelt unsere Hirne und schiebt die Vernunft zur Seite.

In seiner Polarisierung kennt er nur zwei Seiten: Die Bösen und die Guten. Dazwischen gibt es nichts. Und der Krieg meint, man könne die Bösen ausschalten, indem die Guten alles in die Waagschale werfen, was sie an Waffen haben. Aber sagte nicht schon Immanuel Kant:

„Der Krieg ist darin schlimm, dass er mehr böse Leute macht, als er deren wegnimmt.“

Die Logik des Krieges geht nicht auf! Sie ist nämlich eine Unlogik. Israel ist der irrigen Meinung, sie könne die Hamas im Gazastreifen besiegen, ein für allemal. Aber wird der brutale und völkerrechtswidrige Einsatz nicht Tausende traumatisierte Menschen hinterlassen. Junge Menschen, die dann nichts im Sinn haben, als Rache zu üben für den brutalen menschenmordenden Einsatz?

In der kirchlichen Welt gibt es zur Zeit eine Stimme, die immer wieder zur Vernunft ruft und Friedensperspektiven anmahnt. Das ist die Stimme des Papstes. Als Lateinamerikaner und Weltbürger ist er nicht gefangen in der eurozentrischen Sicht der Kirchenleute, die den Russland-Ukraine Konflikt einseitig beurteilen.

Er schaut von außen auf die Welt und teilt eher das Urteil der Menschen in Lateinamerika oder Asien, die eben ganz anders über den Krieg zwischen Russland und der Ukraine denken als wir.

Er sieht auch die Mitverantwortung des Westens und der NATO. Natürlich ist Hauptschuldige für den Krieg vom 22. Februar 2022 Putin. Aber der Westen hat eine Mitverantwortung.

Der Papst wurde ja jetzt wegen eines Interviews in unseren Medien in der Luft zerrissen. Hat er wirklich die Ukraine zur Kapitulation aufgefordert? Man muss dieses Interview genau lesen:

Die Frage des Journalisten lautet: „In der Ukraine gibt es diejenigen, die den Mut zur Kapitulation, zur „weißen Fahne“ einfordern. Andere wiederum meinen, dies würde die Stärksten legitimieren. Was denken Sie?“ Die Antwort des Papstes lautet: „Das ist eine Interpretation, das stimmt. Aber ich denke, dass der Stärkere derjenige ist, der die Situation betrachtet, an die Menschen denkt und den Mut zur „weißen Fahne“, zum Verhandeln hat. Und heute kann man mit Hilfe der Internationalen Mächte verhandeln; es gibt einige. Das Wort „verhandeln“ ist ein mutiges Wort. Wenn man sieht, dass man besiegt wird, wenn die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben zu verhandeln. Man mag sich schämen, aber wie viele Tote wird der Krieg am Ende haben? Und es wird noch schlimmer enden. Man sollte rechtzeitig verhandeln und ein Land finden, das ein Vermittler sein kann. Man soll sich nicht schämen zu verhandeln, bevor es zu spät ist.“

Und der Papst ergänzt noch: Verhandlungen sind keine Kapitulation

Ich lese seine Aussagen so, dass er zu Verhandlungen und Frieden aufrufen will, nicht zu einer Kapitulation der Ukraine. Er hat dabei die Gefahr sich fortsetzender Eskalation im Blick.

Die heftigen Reaktionen der Empörung dem Papst gegenüber machen für mich klar, wie stark in der Öffentlichkeit eine reine „Militärlogik“, eine Kriegslogik Platz gegriffen hat und Einfluss nimmt auf den öffentlichen Diskurs.

Das tragische an dem Krieg in der Ukraine ist ja: Es stimmt ja nicht, dass Putin nicht bereit gewesen wäre zu Verhandlungen, wie in der Öffentlichkeit behauptet wird.

Es gab ja schon einen Monat nach Kriegsbeginn Verhandlungen. Es gab den Versuch einer Einigung zwischen der Ukraine und Russland. Verhandelt wurde auf türkische und israelische Vermittlung in Istanbul. In diesen Verhandlungen legte die Ukraine am 29. März 2022 ein Positionspapier vor, das die Neutralität der Ukraine und Sicherheitsgarantien vorsieht. Der Status der Gebiete der Krim, Sewastopol und die beiden Separatistengebiete im Osten sollten innerhalb von 15 Jahren in bilateralen Verhandlungen geklärt werden. Nach übereinstimmenden Berichten der an der Vermittlung Beteiligten scheiterte die Vereinbarung am Einspruch der USA und Großbritanniens.

Das heißt aber auch, der Westen trägt eine Mitverantwortung dafür, dass der Krieg nach dem 29. März 2022 bis heute weitergegangen ist und Tausende von Opfern gefordert hat. Das ist bitter!

Machen wir uns darum in der Öffentlichkeit dafür stark, dass die Stimmen, die Verhandlungen jetzt fordern, noch lauter werden.

Sagen wir nein zu weiteren Waffenlieferungen.

Weigern wir uns, kriegstüchtig zu werden, werden wir friedenstüchtig!

Vielen Dank!

 

Dietrich Becker-Hinrichs ist Ev. Pfarrer in Bretten und Vorsitzender der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden.