Redebeitrag für den Ostermarsch in Traunstein am 30. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Wir befinden uns in einer Welt, in der auf internationaler Ebene fast keine Regeln mehr gelten, in einer Welt der Anarchie, und das seit einem Vierteljahrhundert. Eine ganze Welt­region ist verwüstet, einige Staaten fast unregierbar, sog. failed states. Auch innerhalb mancher Gesellschaften herrscht deshalb Anarchie. Völkerrechtsbrüche sind Alltag. Der Westen untergräbt mit den Wirtschaftskriegen sogar etwas, das auch im Interesse einer kapitalistischen Weltwirtschaft sein müsste, möchte man meinen. Nämlich Regeln, auf die man sich beim Warenhandel und Geldtransfer verlassen kann.

Der Westen anerkennt eine Regierung, die durch einen Staatsstreich an die Macht gelangt ist – ich meine die Ukraine – und hindert diese Regierung nicht, Teile der eigenen Bevölke­rung zu bombardieren, die das neue Regime nicht akzeptieren wollten.

Der Westen lässt Israel Jahrzehnte lang freie Hand, die Palästinenser zu unterdrücken. Ein eigener Staat ist für sie leeres Versprechen geblieben. Was Wunder, dass Israel sich dann mit Terror konfrontiert gesehen hat. Terror ist nichts anderes als Gewalt ohne Regeln.

Israel selbst missachtet alle Regeln, auch die, die man für Kriege vereinbart hat, kämpft selbst in Krankenhäusern weiter. Vielleicht stimmt ihr Vorwand, dass auch dort Kämpfer der Hamas untergeschlüpft sind. Das ist halt die regellose Welt, die man sich geschaffen hat. Es gelten keine Konventionen mehr. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Gaza sind völlig rechtlos. Der UN-Generalsekretär muss hilflos zusehen, wie Hilfslieferungen für die Verhungernden blockiert werden.

Auf diplomatische Initiativen unserer Regierung warte ich vergebens. Vorrang hat hierzu­lande die Unterdrückung palästinensischer Proteste.

Das Ausbleiben diplomatischer Initiativen gilt ebenso für den Krieg in der Ukraine. Man sagt, mit Putin könne man nicht verhandeln. Aber es hat Möglichkeiten der Verständigung gegeben. Leider hat man 2015 hingenommen, dass die Vereinbarungen von Minsk gebro­chen wurden, mit denen der innerukrainische Krieg hätte beendet werden können. Man hat die diplomatische Note, in denen Russland 2021 eine gemeinsame Sicherheitsarchi­tektur vorgeschlagen hat, in den Wind geschlagen. Man hat die Verhandlungen über einen Waffenstillstand kurz nach der Invasion im April 2022 abgebrochen.

Man spricht von Solidarität mit der Ukraine. Aber die wird mit jedem Tag weiterem Krieg weiter zerstört. Um die unbefristete Fortsetzung des Krieges zu rechtfertigen, erzählt man uns, Russland bedrohe Europa. Deshalb braucht es angeblich Waffenlieferungen und nochmals Waffenlieferungen. Man sagt: so lange wie nötig. Das ist reichlich vage und hört sich an wie die Reaktion auf eine Naturkatastrophe. Was heißt „so lange wie nötig“?

Damit nicht genug. Um der Bedrohung zu begegnen, winkt uns eine gewaltige Hochrüs­tung. Mindestens zwei Prozent vom BSP sollen dafür verwendet werden. Engere Zusam­menarbeit mit der Rüstungsindustrie ist angesagt. Ein militärisch-industrieller Komplex ist im Kommen. Das lässt eine unfriedliche Zukunft befürchten.

Die USA, eine wirtschaftlich angeschlagene militärische Supermacht, will sich auf die Ein­dämmung des Rivalen China konzentrieren. Deshalb sollen die Europäer die Schwächung Russlands übernehmen.

Wir steuern auf einen neuen Kalten Krieg zu. Dabei bräuchte es Kooperation und Dialog über alle Interessengegensätze hinweg, um die ökologische Katastrophe zu verhindern. Die Kriege treiben uns im Gegenteil darauf zu. Jeder Panzer, jeder Marschflugkörper trägt zum Treibhauseffekt bei, von der Rüstungsproduktion gar nicht zu reden.

Es ist grotesk. Gerade in dieser Situation ist die Friedensbewegung schwach. Die Frage, wer ist schuld am Ukrainekrieg? spaltet uns. Die einen sagen: Man hat Russland zu sehr provoziert. Die anderen sagen: Das ist lächerlich. Russland ist imperialistisch. Ich frage mich, ob man in dieser rechtlos gewordenen Welt die Schuldfrage noch stellen kann. Im Fall Israel ist der Protest eingeschüchtert durch den Antisemitismusvorwurf. Und viele Um­welt- und Klimaschützer sind sich anscheinend nicht darüber im Klaren, dass die Kriege alle Klimaziele zur Makulatur machen.

Immerhin lese ich, dass dieses Jahr wieder mehr Ostermärsche durchgeführt werden. Aber am meisten Hoffnung setze ich auf die Regierungen und Völker im globalen Süden. Sie haben die sog. „wertebasierte“ Politik des Westens satt. Mit ihrer Hilfe könnte wieder eine gemeinsame Sicherheitsordnung etabliert werden. Denn es liegt in ihrem Interesse. Das ist der notwendige Rahmen für ihre nachholende Entwicklung, die der Westen lang blockiert hat.

Also nicht aufgeben! Mit allen Widerständigen der Welt gemeinsam für Frieden!

Vielen Dank.

 

Prof. Georg Auernheimer ist emeritieter Professor für Interkulturelle Pädagogik.