Redebeitrag für den Ostermarsch in Krefeld am 1. April 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freunde, liebe Freundinnen,

"Was wird aus unserer Demokratie?" Ich bin gebeten worden, zum Thema: Was wird aus unserer Demokratie? etwas zu sagen.

In den paar Minuten, die mir hier zur Verfügung stehen, ist nur eine subjektive Einschätzung möglich.

Die versuche ich jetzt. Das ist vielleicht nicht immer konsensfähig, ist aber eine – meine – freie Meinungsäußerung und damit auch ein wichtiger Bestandteil von Demokratie. Und das müsst ihr jetzt aushalten.

Wir stehen hier vor dem Hannah Arendt Gymnasium.

Vor jetzt fünf Jahren wurden die beiden Schulen Arndt-Gymnasium und Fichte-Gymnasium zusammengelegt und der Stadtrat beschloss den neuen Namen Hannah Arendt Gymnasium. Allerdings glaube ich nicht, dass dieser Beschluss in der aktuellen hysterischen politischen Situation noch einmal so gefasst würde.

In heutiger Sicht würde sie, die als Jüdin vor den Nazis fliehen und in die USA emigrieren musste, eher als Antisemitin betitelt werden.

Am 18. Dez. 2023 erschien in der britischen Zeitung Guardian ein Artikel unter dem Titel: „Hannah Arendt würde sich heute in Deutschland nicht für den Hannah-Arendt-Preis qualifizieren.“ Ich zitiere aus dem Artikel, der vorrangig um die Preisverleihung des Hannah-Arendt-Preis an die russisch-amerikanische Wissenschaftlerin Masha Gessen geht.

Dieser Artikel wirft schon ein deutliches Schlaglicht auf die politisch-kulturelle Situation in Deutschland.

Ich zitiere aus dem Guardian einige Auszüge zu Hannah Arendt:

„Hannah Arendt würde sich nicht für den Hannah-Arendt-Preis qualifizieren. Ihre Lesungen würden heute in Deutschland wegen ihrer politischen Position zu Israel und ihrer Meinung zum zeitgenössischen Zionismus, dem sie von 1942 bis zu ihrem Tod 1975 kritisch gegenüberstand, abgesagt werden. Als jüdische deutsche Frau, die 1933 nach ihrer Verhaftung aus Deutschland fliehen musste ...Arendts Schriften über Deutschland, die von der Gestapo beschlagnahmt wurden, wären umstrittener als Gessens eigene. Der Vergleich aus Gessens Aufsatz, der so viel Aufsehen erregte, erinnert stark an eine Passage aus Arendts Briefwechsel, den Arendt 1955 aus Jerusalem an ihren Ehemann Heinrich Blücher schrieb, und der weitaus vernichtender ist:

Arendt schrieb:

„Die Galut-und-Ghetto-Mentalität ist in voller Blüte. Und die Idiotie liegt jedem vor Augen: Hier in Jerusalem kann ich kaum spazieren gehen, weil ich sonst um die falsche Ecke biegen und mich „im Ausland“, also auf arabischem Gebiet, wiederfinden könnte. Im Grunde ist es überall das Gleiche. Darüber hinaus behandeln sie die Araber, die noch hier sind, auf eine Weise, die allein ausreichen würde, um die ganze Welt gegen Israel zu sammeln.“

Der Guardian schreibt weiter:

„In der Kultur der deutschen Erinnerungspolitik wird der Holocaust als singulär behandelt; es wird als historische Ausnahme verstanden. Und diese Ausnahmementalität von der Geschichte hat zur Folge, dass der Holocaust gänzlich aus der Geschichte herausragt, was es der deutschen Regierung ermöglicht, sich für eine bedingungslose Unterstützung des Staates Israel einzusetzen, ohne politische Verantwortung dafür zu übernehmen, was diese Unterstützung bedeutet. Mit anderen Worten: Die deutsche Regierung nutzt die Erinnerung an den Holocaust als Rechtfertigung für ihre Unterstützung Israels, unabhängig davon, was Israel dem palästinensischen Volk antut.“

Und weiter:

„Die vielleicht größte Ironie der heutigen Realität besteht darin, dass die Rhetorik des deutschen „Anti-Antisemitismus“ dazu benutzt wird, den Massenmord an der palästinensischen Bevölkerung zu rechtfertigen, während dies tatsächlich dazu führt, dass der Antisemitismus zunimmt und die Sicherheit der jüdischen Bevölkerung überall unsicherer wird.

Deutschland muss seinen (unverbindlichen) Beschluss widerrufen. Damit es nicht weiterhin zensiert, was Menschen über den Staat Israel sagen dürfen und was nicht. Damit es nicht zur moralischen Mitschuld an Verbrechen gegen die Menschlichkeit zwingt. Es sollte nicht gesagt werden müssen, aber vielleicht muss es immer wieder gesagt werden, dass es nicht antisemitisch ist, den Staat Israel zu kritisieren.“

Soweit der Guardian. Es drängt sich die Frage auf, warum ein solcher Artikel in England erscheint und nicht in Deutschland. Sind RP und WZ dazu nicht in der Lage oder will man das nicht denken, geschweige denn schreiben?

Soweit zu Hannah Arendt und der Antisemitismus-Rhetorik der Bundesregierung.

Damit komme ich zur Kriegs-Rhetorik der Bundesregierung.

Ein zentraler Satz, der seit einiger Zeit immer wieder zu hören ist, lautet:

„Russland darf nicht gewinnen!“

Das sagt der größte Teil der Presse von Bild bis zur Süddeutschen. Und das sagt unsere Bundesregierung. Und wenn die das sagen, dann ist das so, dann ist das richtig und keine Volksverhetzung.

Wenn ich aber sagen würde, wohlgemerkt im Konjunktiv und damit schon mit der Schere im Kopf: „Die Nato darf nicht gewinnen!“

Darf ich das? Gehe ich damit nicht diverse Risiken ein?

Werde von der Polizei und dem Staatsschutz ins Visier genommen, riskiere als Künstler Auftrittsverbote, als Lehrer und Hochschullehrer meine Anstellung und Berufsverbot, werde ich im besten Fall nur als rechtsoffen und Putin-Versteher beschimpft?

Man merkt, mit freier Meinungsäußerung ist es gar nicht mehr so weit her.

Aber bevor ich mich damit beschäftige, wohin wir uns entwickeln, muss ich sehen, wo wir stehen. Und da sieht es gar nicht so gut aus. Es ist ein schleichender Prozess, von vielen, vielleicht den meisten nicht als bedrohlich wahrgenommen.

Da überlegt unsere Innenministerin, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zu beschneiden. Es gibt aktuell einen"Entschließungsantrag der Parteien der Regierungskoalition" mit 51 geforderten Maßnahmen.

Die Presse von Taz über die Süddeutsche bis hin zum Spiegel hat sich in einer Art vorauseilendem Gehorsam weitgehend selbst gleichgeschaltet.

Diskurs und Meinungsvielfalt in den Medien wie auch an den Hochschulen werden unterdrückt. Die ARD gibt zum Thema Ukraine Krieg eine interne Handlungsanweisung heraus mit Vorschriften für den Sprachgebrauch für Mitarbeitende.

Die Freiheit der Kunst wird eingeschränkt. Für alle die sich den neuen Sprachregelungen verweigern. Aber, wer erinnert sich noch?, als 2022 beim Brecht-Festival in Augsburg eine faschistische ukrainische Gruppe auftreten durfte. Das war Freiheit der Kunst und freie Meinungsäußerung aus einer anderen Perspektive.

Und zum Fall Julian Assange muss ich nichts weiter ausführen. Damit kommen wir im schlimmsten Fall zu einer Art finaler Lösung der Journalismusfrage und damit der Frage der freien Meinungsäußerung und der Demokratie.

Wir haben als links und als pazifistisch denkende Menschen immer gesagt, wir verteidigen nicht diesen Staat, aber wir verteidigen unsere Demokratie gegen Aushöhlung und Abbau.

Was aber nach meiner Wahrnehmung seit vier Jahren sich entwickelt, das hat eine ganz andere, eine viel bedrohlichere Qualität.

In diesen vier Jahren hatten bzw. haben wir drei Krisen:

  • Die Corona Pandemie ab November 2019
  • Den Ukraine Krieg
  • Den Israel Gaza Konflikt
  • In all diesen Krisen haben sich die Veränderungen in ähnlicher Weise und auf drei Ebenen vollzogen.

Ich bin kein Corona Leugner und auch kein sogenannter Querdenker.

Die Erfahrungen aber in dieser Zeit waren bedrückend. Allein das Hinterfragen der Sinnhaftigkeit der sogenannten Maßnahmen führte schon zu Zerwürfnissen in Freundschaften und Familien, zu Denk- und Sprechverboten.

Ähnlich bei der Ukraine Krise. Wie schnell war man da ein Putin Versteher?

Und inzwischen bei leiser Kritik an der israelischen Regierung ein Antisemit.

Schockierend fand und finde ich die Erfahrung, wie plötzlich unsere eigenen politischen Zusammenhänge auseinander brachen, sie keinen Halt mehr boten.

Einige von euch werden das miterlebt haben, wie nur die Frage nach den Ursachen des Einmarschs der russischen Truppen in die Ukraine, gestellt von der Sprecherin des Krefelder Friedensbündnis, von Ingrid Vogel, dazu führte, dass ihr ein Verantwortlicher das Mikrofon aus der Hand riss: „Das wollen wir hier nicht hören!“

Oder wie der politische Geschäftsführer der DFG-VK die Aktiven, die das Wagenknecht-Schwarzer-Manifest und die dann folgende große Demo in Berlin richtig fanden, als „rechtsoffen“ beschimpfte.

Und das gegen Mitglieder die zum Teil seit Jahrzehnten aktiv waren und sind für Frieden, Abrüstung und Antifaschismus. Ich finde das beschämend.

Es geht ein Riss durch die Friedensbewegung.

Und dieser Riss geht durch die ganze Gesellschaft.

Ausgegrenzt werden die, die Dinge hinterfragen, die nach den Ursachen z.B. für den Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine oder nach den Ursachen, dem Hintergrund, den Umständen und den Folgen des Massakers der Hamas fragen.

Ausgegrenzt werden aber auch die, die andere Wege suchen, die nicht nur dem Staat Israel sondern auch dem palästinensischen Volk ein Existenzrecht zubilligen, die das Abschlachten sowohl in der Ukraine als auch in Gaza beenden wollen, die Verhandlungen und Frieden suchen.

Die öffentliche Meinung wird manipuliert durch Falschmeldungen, Intransparenz und Unterdrücken von Informationen mit gleichzeitiger Diffamierung aller Fragenden und Andersdenkenden.

Einige Beispiele:

Corona

Anfang März kam die neue Ständige Impfkommission zu ihrer ersten kontinuierlichen Sitzung zusammen. Mehr als zwei Drittel der Stellen wurden vom Gesundheitsministerium überraschend und gegen den Willen des Gremiums neu besetzt – in intransparenter Weise und mit Personen, die zum Teil der Pharmaindustrie oder der Bundesregierung nahestehen. Impfempfehlungen sollen künftig zügiger beschlossen werden. Nachfragen blockt das Ministerium ab. Ich fragte mich damals zur Zeit der Corona Pandemie: „Was geht hier vor?“ Mir kam das vor wie eine gigantische Notstandsübung. Wie ein Manöver. Wie weit konnte man gehen? Was war die Bevölkerung bereit mit zu tragen, wie weit konnte man Grundrechte einschränken?

Ukraine Krieg

Wer für Waffenstillstand und für Verhandlungen ist wird in die Nähe der AfD gerückt. Warum haben die Medien seit 2014 zwar über separatistische Bestrebungen und angebliche „grüne Männchen“ im Donbass aber so gut wie gar nicht z.B. über das Verbot der russischen Sprache und über den Beschuss der Zivilbevölkerung des Donbass durch ukrainisches Militär berichtet mit weit über 10.000 Toten? Warum nicht über die exorbitante Steigerung des Beschusses eine Woche vor Einmarsch der russischen Truppen? Ich zitiere einige Zahlen zu den von der OSZE-Beobachtermission aufgezeichneten Explosionen: Im gesamten Jahr 2021 explodierten 24.477 von ukrainischen Truppen auf den Donbass abgeschossene Granaten. Das waren pro Woche 470 Explosionen. Vom 16. - 22. Februar 2022, also genau eine Woche vor dem Einmarsch der russischen Truppen waren es 8.096 Explosionen – und das in nur einer Woche. Das entspricht einer Steigerung um 1.623 %. Mit dieser massiven Steigerung rechtfertigte Russland unter Bezug auf § 51 der Charta der Vereinten Nationen den Einmarsch in die Ukraine. Warum akzeptiert die Bundesregierung wortlos, dass der SPD-Fraktionsvorsitzende Mützenich auf einer Todesliste der ukrainischen Regierung auftaucht? Und zum Beispiel die massenhaften Umbenennungen von Straßen und Plätzen nach faschistischen Personen in ukrainischen Städten, über die kaum berichtet wird. So die Umbenennung einer der Straßen in Kiev, die in Richtung Babyn Yar führen, wo die größte sogenannte „Einzelmordaktion“ der Nazis unter Mithilfe von ukrainischen Kollaborateuren stattfand. 33.000 Menschen wurden hier ermordet. Umbenannt wurde die Straße nach Roman Schuchewytsch, nach Stepan Bandera der zweite Mann der faschistischen ukrainischen OUN, die mit den deutschen Nazis zusammen arbeitete. All dies ist bekannt, Bundesregierung und Medien wissen davon. Weit überwiegendes Schweigen dazu. Es mutet an wie ein Schweigekartell. Warum?

Israel Gaza Konflikt

Der größte Teil der Medien manipuliert die öffentliche Meinung durch klare Parteinahme für die israelische Regierung oder durch Unterdrücken von Informationen. Wer fragt, wieso die Angreifer trotz eindeutiger Warnungen ihren Angriff durchführen konnten? Und das an der am besten bewachten Grenze auf der Erde. Die Pläne der Hamas waren bekannt. Hat man es so geschehen lassen, weil man einen Vorwand suchte? Wieso war das israelische Militär erst nach 7 oder sogar 9 Stunden vor Ort? Wieso wird uns immer erzählt, die Angreifer hätten ca. 1200 Menschen getötet? Das israelische Militär selbst hatte erklärt, die eigenen Soldaten hätten in (wörtlich) „exzessivem
Umfang“ israelische Menschen getötet? Auch hierüber kaum ein Wort in unserer Qualitätspresse. Inzwischen muss Deutschland sich rechtfertigen vor dem internationalen Strafgerichtshof wegen des Vorwurfs der Unterstützung des Genozids am palästinensischen Volk. Wer die Dinge hinterfragte, wer nach Ursachen oder Unstimmigkeiten fragte oder eine abweichende Meinung vertrat, wurde und wird in einer sich ins absurde steigernden Spirale von Diffamierungen versucht, mundtot gemacht zu werden. Von Corona Leugner über Schwurbler zu Querdenker, Verschwörungstheoretiker, umstritten sein, Putin-Versteher und Antisemit bis hin zum Lumpenpazifisten. Wie weit ist es vom „Lumpenpazifisten“ zum „Volksschädling“? Der Bundesregierung und ihrer Vertreter sind demokratische Grundsätze und die „wertebasierten“ Prinzipien des Grundgesetzes offensichtlich egal. „Was meine Wähler denken ist mir egal!“ so unsere Außenministerin. Die Mehrheit der Bevölkerung ist eindeutig gegen weitere Waffenlieferungen und für Verhandlungen und Waffenstillstand. Das interessiert die Bundesregierung nicht. Wir erleben eine kafkaeske, an Georg Orwell erinnernde Verdrehung der Sprache, was gleichzeitig verräterisch ist. „Bomben bringen Frieden.“ (Baerbock) und Göring-Eckardt: „Kriege einfrieren führt nicht gerade zum Frieden. Das gefährdet Frieden.“ Georg Orwell: „Krieg ist Frieden.“ Und noch einmal der Guardian: „Angesichts des Bösen ist moralische Komplexität notwendig. Was Arendt mit Banalität (des Bösen, JG) meinte und argumentierte, es sei die Unfähigkeit, sich die Welt aus der Perspektive eines anderen vorzustellen, war, dass die Menschen über Nacht den radikalen Wandel der moralischen Normen mitgemacht hatten, der „Du sollst nicht töten“ in „Du sollst töten“ verwandelte, ohne zu hinterfragen. Und der Preis dieses Mangels an Urteilsvermögen war Menschenleben.“

Der Titel meines Vortrags war: Was wird aus unserer Demokratie?

Ich bin normalerweise ein optimistischer Mensch. Aber hier muss ich sagen: Ich weiß es nicht.

Prof. Rainer Mausfeld sagte in einem aktuellen Vortrag zum Thema: Demokratie am Abgrund? „Wir sind schon einen Schritt weiter.“ Wolfgang Schäuble und Joachim Gauck sagten: „Die Demokratie muss vor dem Volk geschützt werden.“ Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es um unsere Demokratie nicht gut bestellt ist. Und wir müssen uns dazu verhalten. Wir müssen die Manipulationen der Sprache entlarven. Die Dinge beim Namen nennen. Wir dürfen nicht den falschen Begriffen auf den Leim gehen. Nicht das Trennende suchen sondern das was uns verbindet. Wobei ich noch einmal betone, dass uns mit Rechten wie der AfD nichts aber auch gar nichts verbindet. Wir müssen unsere gemeinsamen Ziele verfolgen. Und was mir besonders wichtig ist: Wir dürfen nicht kriegstauglich werden sondern wir müssen uns der Kriegsbereitschaft verweigern. Wir müssen friedenstauglich und wehrkraftzersetzend sein!

 

Jo (Josef) Greyn ist aktiv bei der DFG-VK.