Redebeitrag für den Ostermarsch 2024 in Berlin am 30. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Wir müssen uns vom Wahnsinn des Krieges befreien

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich möchte Euch herzlich begrüßen und mich bei Euch bedanken, dass ihr den Mut und das Engagement zeigt, zu diesen Ostermärschen zu kommen. Auch wenn wir nicht mehr so viele sind, so seid Ihr doch das Gewissen Deutschlands, das sich gegen einen Wahnsinn wendet, dass nur mit einem militärischen Sieg ein Frieden in Europa und der Welt hergestellt werden könne.

Das hat eine ganz besondere Bedeutung für uns Menschen in der Europäischen Union. Denn nur die Europäische Union ist von so vielen Kriegen und gefährlichen Konflikten in unserer unmittelbaren Nachbarschaft bedroht. Weder die USA noch China sind in einer derartig gefährlichen geographischen Situation wie wir. Hinzu kommt, dass der größte und gefährlichste Krieg, in dem zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte Nuklearwaffen von strategischer Bedeutung sind, sich neben uns auf europäischen Boden in der Ukraine abspielt.

Und doch sind unsere verantwortlichen politischen Eliten in der Europäischen Union einer Logik des Krieges verfallen, den man nur als Wahnsinn bezeichnen kann.

Es ist der Wahnsinn einer politischen Unverantwortlichkeit in Zeiten größter Gefahr für die Menschheit

Es ist der Wahnsinn deutscher Generäle, die über Möglichkeiten des Einsatzes von Taurus Raketen nachdenken und darüber, wie eine deutsche Verantwortung dabei verschleiert werden könnte. Dass der Einsatz einer solchen Waffe, die ohne jede Vorwarnung den Kreml zerstören könnte, zu einer nuklearen Gegenreaktion führen würde, scheint bei diesen Überlegungen keine Rolle zu spielen.

Es ist der Wahnsinn eines französischen Präsidenten, der über die Entsendung von NATO-Truppen in den Ukrainekrieg nachdenkt und seines Generalstabschefs, der mit einer vorgeschlagenen Mobilisierung von 60,000 NATO-Soldaten einen gesamteuropäischen Krieg lostreten würde;

Es ist der Wahnsinn einer Bundestagsdebatte in der die Anträge der Ampel Koalition und der CDU/CSU Opposition sich nach zwei Jahren Krieg immer noch wie Kriegserklärungen lesen, ohne auch nur einen Hauch einer Bereitschaft für friedliche Lösungen erkennen zu lassen;

Es ist der Wahnsinn von Kriegsbefürwortern, die immer noch davon reden, Russland besiegen zu wollen und dabei in Kauf nehmen, dass sie damit die gesamte Ukraine zerstören;

Es ist der Wahnsinn von Grünen Politikern, die uns weismachen wollen, dass wir uns auch bei einer direkten Teilnahme in diesem Krieg gegen die Nuklearmacht Russland vor einem Nuklearkrieg nicht fürchten müssten;

Es ist der Wahnsinn einer Präsidentin der EU-Kommission, die zum 2. Jahrestag des Krieges nach Kiew reist, und Schulter an Schulter mit der italienischen Ministerpräsidentin, deren Wurzeln in der faschistischen Vergangenheit Italiens liegen, behauptet, europäische Werte zu verteidigen;

Es ist der Wahnsinn der Europäischen Union, sich von einem europäischen Friedensprojekt abzuwenden und zunehmend Milliarden an Subventionen an Rüstungsindustrien zu verteilen;

Es ist der Wahnsinn, diesen Krieg in ein drittes Jahr gehen zu lassen, wohlwissend, dass die Ukraine diesen Krieg nicht mehr gewinnen kann und dieser nur noch mehr Menschen das Leben kosten wird;

Es ist der Wahnsinn unserer verantwortlichen Politiker, die von ihrer eignen Kriegsrhetorik besessen, aus ihren warmen Stuben heraus den Ukrainern in den Schützenlöchern zurufen, weiterzukämpfen und sie so für uns sterben und leiden zu lassen.

Es ist ein Wahnsinn, dass wir Europäer nach zwei Jahren des gefährlichsten und furchtbarsten Krieges auf europäischen Boden bisher nichts zustande gebracht haben, um diesen Krieg durch Verhandlungen zu beenden.

Denn die Ukrainer sind das betrogene Volk, das für all diesen Wahnsinn mit ihrem Blut bezahlen muss. Und es sind auch wir Europäer, die von unseren verantwortlichen Politikern betrogen werden und für die Folgen dieses Krieges durch die Untergrabung des europäischen Wirtschaftsstandortes, durch den Abbau unserer Reallöhne, unserer Renten und unserer Sozialleistungen sowie durch höhere Rüstungsausgaben und immer umfangreicheren Zuwendungen für geflüchtete Ukrainer bezahlen müssen.

Aber dieser Wahnsinn geht heute weit über den Ukrainekrieg hinaus

Denn es dominiert heute der weltweite Wahnsinn zu glauben, dass Konflikte nur noch durch die Anwendung militärischer Gewalt gelöst werden können und nicht mehr durch Diplomatie;

Es ist der Wahnsinn, dass unsere Außenminister immer mehr wie Kriegstreiber klingen und nicht wie die Chefdiplomaten unserer Länder, deren Hauptaufgabe es doch sein sollte, Kriege zu verhindern und dort, wo Kriege ausgebrochen sind, nach friedlichen Lösungen zu suchen;

Es ist ein Wahnsinn, dass wir damit in Kauf nehmen, dass es heute weltweit die meisten und intensivsten Kriege seit dem Ende des Kalten Krieges gibt;

Es ist der Wahnsinn, dass wir unsere Sicherheit nur noch in immer höheren Rüstungsausgaben zu finden glauben und dass wir das durch weniger Klimaschutz, weniger sozialer Gerechtigkeit aber mit mehr Hunger, mehr Armut, mehr Flüchtlingen, mehr Migranten und mehr, ja sehr viel mehr Menschenopfern erkaufen;

Es ist der Wahnsinn zu glauben, durch immer größere Waffenexporte Demokratie und Rechtstaatlichkeit in der Welt zu fördern;

Und es ist der Wahnsinn der rasanten Entwicklung zu immer stärkeren und technologisch hoch komplexen Waffensystemen, Waffensysteme, die wir nicht einmal während des Kalten Krieges kannten und die unsere Welt und alles Leben auf der Erde in wenigen Minuten gleich mehrmals völlig zerstören könnten.

Und es ist ein Wahnsinn, dass wir in einer Zeit immer stärkerer Waffensysteme alle Verträge zu Rüstungsbeschränkungen und alle gegenseitige Überwachungs-maßnahmen dieser Verträge gekündigt haben, die wir noch während des Kalten Krieges und der Zeit unmittelbar danach abgeschlossen hatten, um die Welt sicherer zu machen.

Es ist der Wahnsinn, dass wir für eine immer perversere Rüstungsindustrie eine Welt geschaffen haben, die „frei“ von allen moralischen und menschlichen Beschränkungen ist und diese auch noch mit öffentlichen Mitteln subventionieren;

Es ist der Wahnsinn des Abbaus aller vertrauensbildenden Maßnahmen, die einst darauf abzielten, sich gegenseitig zu versichern, dass es keine Überraschungsangriffe geben würde.

Es ist der Wahnsinn, dass unsere heutige Waffentechnik genau das Gegenteil tut und darauf abzielt, den Gegner zu überraschen und ihm immer weniger Zeit zu geben darauf zu reagieren;

Und das immer kürzere Zeitfenster, auf Angriffe zu reagieren, führt zum ultimativen Wahnsinn einer Entwicklung, in der wir es zunehmend einer künstlichen Intelligenz überlassen, über Krieg oder Frieden zu entscheiden. Das Überleben unserer Erde, das Überleben der Menschheit könnte so von einer künstlichen Intelligenz entschieden werden.

Die Europawahlen müssen wir zu einer Richtungswahl für Frieden machen

Es ist dringend erforderlich, dass wir alle umdenken, dass wir unsere Regierungen drängen umzudenken, um diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten.

Wir sind heute nicht mehr in der Lage, große Friedensdemonstrationen zu organisieren, wie wir sie zur Zeit des illegalen Angriffskrieges auf den Irak noch kannten – und dass, obwohl heute die Sicherheitslage in der Welt um ein Vielfaches gefährlicher für die Menschheit ist, als es noch 2003 der Fall war.

Und doch gibt es Hoffnung. Denn es zeichnet sich ein Umschwung in der öffentlichen Meinung ab. Trotz aller kriegstreibenden Medien gibt es inzwischen europaweit eine wachsende Mehrheit, die sich gegen weitere Waffenlieferung und für Verhandlungen ausspricht. Darauf müssen wir bauen!

Wir müssen es schaffen, diesen Trend in der Bevölkerung in eine politische Kraft umzusetzen. Dazu müssen wir die Menschen in Europa aufrufen, die Europawahlen zu einer Richtungswahl für Frieden zu machen.

In dieser Europawahl gibt es nun eine politische Alternative für Frieden zu wählen, ohne dabei nationalistische oder gar rassistische Ziele mit in Kauf nehmen zu müssen.

Ich rufe Euch daher alle auf, wählt am 9. Juni für Frieden, für die Vernunft zu friedlichen Lösungen und für soziale Gerechtigkeit.

Danke, dass Ihr mir zugehört habt!

 

Michael von der Schulenburg ist ehem. UN-Diplomat.