Redebeitrag für den Ostermarsch Odenwald in Erbach am 30. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Neue Atomwaffen? Nein, Atomwaffenverbot!

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich spreche heute über Atomwaffen. Auch bei diesem Thema gilt: Die Zeiten haben sich geändert – nicht erst seit dem Ukrainekrieg.

Vor fast genau 14 Jahren stimmte der Deutsche Bundestag einstimmig einem Antrag zu, der von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und DIE GRÜNEN gemeinsam eingebracht worden war.i Die Überschrift des Antrags lautete „Deutschland muss deutliche Zeichen für eine Welt frei von Atomwaffen setzen“.ii

In dem Antrag wurde die Bundesregierung u.a. aufgefordert, sich bei der NATO für eine deutlich geringere Rolle von Atomwaffen im Strategischen Konzept stark zu machen. Eine weitere Forderung erscheint aus heutiger Sicht geradezu kühn: Die Bundesregierung solle sich gegenüber den USA für den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland einsetzen.

Zur Erinnerung: 2010 war die zweite Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU. Der Außenminister hieß Guido Westerwelle und kam von der FDP. Die GRÜNEN hatten die Bundesregierung ein Jahr zuvor u.a. aufgefordert, keine Tornado-Jets mehr für die nukleare Teilhabe bereit zu stellen.iii Und eine sehr große Mehrheit der deutschen Bevölkerung sprach sich gegen die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland aus.

Heute ist alles ganz anders. Spätestens seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine stehen die Zeichen wieder auf nuklearer Aufrüstung –auch bei uns in Deutschland.

Dazu einige Fakten:

  • Auf dem Fliegerhorst Büchel der Bundeswehr – der liegt in der Eifel, oberhalb von Cochem an der Mosel ‑ lagern im Rahmen der so genannten nuklearen Teilhabe der NATO bis heute 15 US-Atombomben. Jede dieser Waffen hat die sechsfache Sprengkraft der Bombe, die in Hiroshima eingesetzt wurde. Jede dieser Bomben kann also gewaltige Zerstörungen verursachen und je nach Einsatzort binnen Sekunden Hunderttausende Menschen töten.
    In den USA wird momentan ein neuer Typ der in Büchel gelagerten Bomben produziert. Die B61-12-Bomben sind etwas kleiner als die jetzigen und fallen nicht mehr einfach nach unten, sondern sind lenkbar, d.h., sie treffen präzise ins Ziel. Aus Sicht der Strategen sind die neuen Bomben somit besser »einsetzbar« als die alten, wodurch die Gefahr eines Einsatzes deutlich steigt.
  • Momentan werden für den Einsatz dieser Bomben Tornado-Kampfjets vorgehalten. Deutsche Piloten proben mit Attrappen regelmäßig den Abwurf der Bomben und würden sich auf Befehl an einem Atomkrieg beteiligen.
    Die Tornados sind alt, und die neuen B61-12-Bomben haben eine digitale Schnittstelle. Die Bundesregierung unter Olaf Scholz hat deshalb in den USA 35 Flugzeuge des Typs F-35 bestellt. Etwa die Hälfte dieser Kampfjets soll in Büchel für die nukleare Teilhabe stationiert werden.
    Nun muss der Fliegerhorst Büchel angepasst werden. Die Lagergrüfte für die Bomben werden umgebaut, für die F-35 entstehen neue Hangars, die Start- und Landebahn wird verlängert und vieles andere mehr. Dieser Umbau ist im Gange und kostet deutlich mehr als eine Milliarde Euro.
  • Die neuen Flugzeuge reichen der Bundesregierung aber nicht, deshalb beteiligt sich Deutschland mit Frankreich und Spanien am Future Combat Air System, kurz FCAS. Das System soll weit über 100 Milliarden Euro kosten.iv Die Vereinbarung gab die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bekannt, wenige Monate später wurde sie Präsidentin der EU-Kommission.
  • Und damit sind wir bei Europa angelangt. Seit einiger Zeit übertrumpfen sich deutsche Politiker*innen Journalisten mit Forderungen nach eigenen Atombomben für Deutschland oder Europa.
    Im November vergangenen Jahres schrieb Hajo Schumacher, Kolumnist der Berliner Morgenpost: „Wir werden uns fragen müssen: Brauchen wir in Deutschland eigene Atomraketen?“v
    Kurz darauf erklärte der ehemalige Außenminister Joschka Fischer von den GRÜNEN in einem Spiegel-Interview: „Soll die Bundesrepublik Atomwaffen besitzen? Nein. Europa? Ja.“ Und betonte dann nochmals: „Die Europäische Union braucht eine eigene atomare Abschreckung.“vi
    Die Vizepräsidentin Katarina Barley von der SPD meinte im Interview mit dem Berliner Tagesspiegel, auf dem Weg zu einer europäischen Armee könnten auch europäische Atomwaffen „ein Thema werden“, denn auf den Schutz der USA sei „kein Verlass mehr“.vii
    In die Debatte bringen sich auch Politikwissenschaftler ein. Zumindest von Prof. Herfried Münkler würde ich erwarten, dass er weiß, was im Völkerrecht steht, u.a. im 2+4-Vertrag, der die deutsche Wiedervereinigung besiegelte, sowie im Atomwaffensperrvertrag,, der uns Atomwaffen untersagt. Aber nein, er hat eine besonders unsägliche Idee. In einem Spiegel-Interview verkündete er: „Europa muss atomare Fähigkeiten aufbauen. [… ] Wir brauchen einen gemeinsamen Koffer mit rotem Knopf, der zwischen großen EU-Ländern wandert.“viii Na, da freue wir uns schon drauf, wenn der rote Knopf von der postfaschistischen Frau Meloni an den populistischen Herrn Orban übergeben wird, oder?

Dieser ganze Unsinn muss aufhören. Wer sich kurz besinnt, was für heutige Maßstäbe kleine Atombomben in Hiroshima und Nagasaki angerichtet haben, weiß, jeglicher Einsatz von Atomwaffen ist undenkbar. Und auch die nukleare Abschreckung muss beendet werden, denn Abschreckung funktioniert nur, wenn der absolute Willen zum Einsatz von Atomwaffen dahinter steht.

Wir müssen die Politiker*innen wissen lassen, dass wir mit ihrer Atomwaffenrhetorik nicht einverstanden sind! Deshalb hat der Trägerkreis »Atomwaffen abschaffen – bei uns anfangen!« ein Projekt gestartet, das auf die EU-Wahl im Juni abzielt. Unter dem Motto »Europa wählt atomwaffenfrei!« fordern wir von den Politiker*innen und den Parteien:

  • Keine EU-Atomwaffen
  • Bekenntnis des Europäischen Parlaments zum Atomwaffenverbot
  • Ende der nuklearen Teilhabe in der Europäischen Union.

Informiert Euch! Beteiligt Euch! Unter dem Link http://www.nuclearban24.eu erfahrt Ihr mehr.

Wir dürfen es nicht zulassen, dass Atomwaffen die Politik bestimmen. Denn eines ist sicher: Atomwaffen bringen keine Sicherheit!

Danke für’s Zuhören.

 

Regina Hagen ist aktiv beim Därmstädter Friedensforum.

 

Anmerkungen:

  • i Die LINKE war nicht dabei, weil sie bei der Antragstellung nicht eingebunden worden war.
  • ii Bundestag-Drucksache 17/1195 vom 24.3.2010; verabschiedet am 26.3.2010.
  • iii Bundestag-Drucksache 16/12685 Konkrete Schritte zur nuklearen Abrüstung jetzt einleiten – Nichtverbreitungsvertrag stärken vom 22.4.2009.
  • iv Siehe z.B. FAZ am 22.11.2022, Kampfjet FCAS: 100-Milliarden-Euro-Projekt steht in den Startlöchern.
  • v Morgenpost 14.11.2023.
  • vi Spiegel.de 2.12.2023.
  • vii Tagesspiegel 13.2.2024
  • viii Spiegel.de 29.11.2023.