Redebeitrag für den Ostermarsch in Fulda am 30. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Herzlichen Dank für die Einladung nach Fulda.

Wie die meisten von euch wissen, habe ich den Ostermarsch in Fulda viele Jahre selbst mitorganisiert.

Deswegen freut es mich ganz besonders, nach all den Jahren hier wieder bei euch sprechen zu dürfen.

Und lasst mich vielleicht gleich zu Beginn klar stellen: Ich stehe hier als linke Gewerkschafterin, die der Gewerkschaftsbewegung UND der Friedensbewegung in der Region noch immer eng verbunden ist.

Ich stehe hier, weil ich dafür kämpfe, dass die Gewerkschaften aktiver Teil der Friedensbewegung sein müssen.

Und ich stehe hier, weil es zum Selbstverständnis der Gewerkschaften gehört, die Arbeits- UND die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.

Deshalb streiten wir nicht nur für Arbeitsplatzsicherheit und gute Löhne, sondern kämpfen auch gegen den Aufstieg des Faschismus und die wachsende Kriegsgefahr - weil sich Arbeitsplätze weder in einer faschistischen Gesellschaft, noch auf einem zerstörten Planeten gestalten und erhalten lassen.

 

Kolleginnen und Kollegen,

Mark Twain hat einmal gesagt, Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.

Und was er damit gemeint haben könnte, erleben wir aktuell.

Wir erleben die Vorbereitung eines nie dagewesenen Sozialabbaus.

Bürgergeldempfänger, Geflüchtete oder Streikende werden in einer unflätigen Art und Weise diffamiert, um Kürzungen zu rechtfertigen.

Wir erleben eine Kriegsbesoffenheit des politischen, medialen und zum Teil auch des akademischen Establishments, das daran arbeitet, die gesamte Gesellschaft bellizistisch zu durchdringen

Dazu gehört eine Berichterstattung, die uns auf die Wahrscheinlichkeit eines Krieges einschwört.

Dazu gehört die Einschüchterung derjenigen, die den außenpolitischen Kurs der Bundesregierung in der Ukraine, vor allem aber in Gaza kritisieren.

Dazu gehört, dass gesellschaftlich relevante Fragestellungen mit der Kriegsperspektive versehen werden - so beispielsweise das Nein zur Schuldenbremse, die nicht etwa für eine gute Ausstattung von Kitas und Schulen hinderlich ist, sondern für den Aufrüstungskurs der Bundesregierung.

Plötzlich wird der Ausbau von Brücken und Straßen wichtig - nicht etwa, damit wir schnell und sicher von A nach B kommen, weil sie für die Verlegung von Truppen gut befahrbar sein müssen;

Oder nehmen wir die Zeitenwende im Gesundheitswesen, das mit ausreichend Lazaretten und Materialvorräten kriegstüchtig gemacht werden muss - über Jahre schafft es die Politik nicht, ausreichend Geld für die Entlastung des Pflegepersonals in die Hand zu nehmen, jetzt aber zeigt sich der Bundesgesundheitsminister umtriebig, um die maroden Krankenhäuser kriegstüchtig zu machen.

In unseren Schulen sollen Schulkinder auf den Dienst an der Waffe und den Kriegseinsatz vorbereitet werden und im öffentlich-rechtlichen Kinderfernsehen wird Werbung für den Taurus gemacht.

Diese Entwicklung ist so unerhört und skandalös, dass sie unsere ganze Empörung und unsere gesamte Ablehnung erforderlich macht, um dagegen vorzugehen.

 

Kolleginnen und Kollegen,

last mich kurz auf das Positionspapier eingehen, auf das sich jüngst das Wirtschaftsforum der SPD, die Rüstungslobby und die IG Metall verständigt hatten.

Ich finde, wir müssen dieses Papier gut studieren und dann mit der gleichen Komplexität und Grundsätzlichkeit kritisieren, die in diesem Papier steckt.

Unter dem Titel „Souveränität und Resilienz sichern“ fordert es industriepolitische Leitlinien für den Rüstungsbereich.

Mit Hilfe staatlicher Beschaffungspolitik sollen eigene leistungsstarke Verteidigungssysteme zu Land, Luft und See aufgebaut werden.

Die Spirale der Eskalation, die ein Aufrüstungskurs unweigerlich nach sich zieht, bleibt unerwähnt - aber das „Sondervermögen Bundeswehr“ und die zugesagte 2-Prozent-Quote der NATO werden emphatisch gefeiert.

Das ist natürlich wenig verwunderlich, denn beides stellt den Rüstungsunternehmen riesige Konjunkturprogramme in Aussicht - noch dazu in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation.

Aus gewerkschaftlicher Sicht fällt es weit hinter die friedenspolitischen Positionen der IG Metall zurück und sendet fatale Signale aus: Denn es orientiert nicht auf Entspannungspolitik und Frieden, sondern stärkt den Diskurs derer, die ein Interesse an militärischer Eskalation haben.

Aber das Papier kleidet die Aufrüstungsambitionen der Rüstungsindustrie in einen industriepolitischen Diskurs, der vorgibt, den Erhalt der Fertigungsstandorte und die dazugehörigen Arbeitsplätze in den Blick zu nehmen.

Damit suggeriert es, dass Aufrüstung eine Antwort auf die Herausforderungen von wirtschaftlicher Stagnation, Deindustrialisierung und Transformation sein könnte.

 

Kolleginnen und Kollegen,

der richtige Gedanke in diesem Papier ist der Ruf nach mehr politischer Steuerung, um die Deindustrialisierung vor allem der industrialisierten Kernregionen West- und Süddeutschlands zu verhindern - das sollten wir nicht ignorieren.

Doch in der Vergangenheit haben die Gewerkschaften den Widerspruch zwischen den furchtbaren, tödlichen und zerstörerischen Produkten rüstungsindustrieller Fertigung und dem Erhalt von guten Arbeitsplätzen durch Konversionsvorschläge aufzulösen versucht.

Konversion war immer der Versuch, Rüstungsunternehmen in den Dienst ziviler Produktion zu stellen, um die Arbeitsplätze zu erhalten.

 

Kolleginnen und Kollegen,

die Forderung nach Rüstungskonversion in einer Zeit massiver Aufrüstung, in einer Zeit, in der die gesamte Gesellschaft durchmilitarisiert wird, ist keine leichte Aufgabe, denn damit stellen wir uns gegen den Wind.

Die Forderung nach Rüstungskonversion heute zu erheben heißt, sich gegen die mächtige Rüstungsindustrie und all diejenigen aufzulehnen, die kriegsbesoffen über Bodentruppen in der Ukraine und atomare Abschreckung reden.

Und unterschätzen wir das nicht: Das ist alles andere als einfach.

Aber als Gewerkschafterin sage ich sehr klar: Was ist die Alternative?

Welch andere Position könnten wir Gewerkschaften vor dem Hintergrund unserer Geschichte, in Erinnerung an zwei furchtbare Weltkriege und angesichts des wachsenden Risikos neuer weltkriegerischer Auseinandersetzungen sonst einnehmen?

Und deshalb sage ich auch: Die Kritik aus der Friedensbewegung an diesem Papier muss inhaltlich klar und hart in der Sache sein, aber sie muss mit der nötigen Empathie, Kollegialität und Bereitschaft zur Unterstützung der Gewerkschaften versehen werden.

Denn natürlich steht die Industrie unter einem erheblichen Transformationsdruck und an jedem einzelnen Industrieunternehmen hängen tausende von gutgezahlten Jobs.

Deshalb muss die Friedensbewegung die Gewerkschaften dabei unterstützen, dass der Transformationsdruck nicht durch den Aufbau der Rüstungsindustrie gelöst wird.

Vielmehr müssen die Gewerkschaften zum Treiber der Transformation werden.

Und auch dafür brauchen sie eine starke Friedensbewegung an ihrer Seite, denn die Diskussion, was produziert und transformiert werden soll, darf nicht allein von den Arbeitgebern geführt werden, sondern braucht die starke Stimme aus Gewerkschafts- und Friedensbewegung.

Wir müssen diejenigen sein, die die Transformation industrieller Fertigungsprozesse mit der Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen ihrer Produkte verknüpfen.

Gesellschaftliche Bedarfe jenseits von Krieg, Zerstörung und Tod zu definieren, ist daher eine der zentralen Aufgaben in der Transformation und in der Friedensbewegung.

Denn Kampfhubschrauber und Panzer steigern zwar das Bruttoinlandsprodukt, aber nicht den zivilen Wohlstand.

Und natürlich wird sich auch das Fachkräfteproblem verschärfen, wenn Ingenieure und Monteure nicht zur Sanierung von Schulgebäuden, zur Produktion von E-Autos oder zur Installation von Solarpanelen eingesetzt werden würden, sondern für die Herstellung von Kampfpanzern.

Aber es raucht nicht nur den Schulterschluss von Gewerkschaften und Friedensbewegung, sondern gleichzeitig auch den Schulterschluss mit der Klimabewegung.

Denn wenn wir große Kraftanstrengungen zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie aufwenden, dann dürfen wir den Widerspruch nicht ignorieren, der im ökologischen Zerstörungspotential rüstungsindustrieller Endprodukte liegt.

Was nutzt es, grünen Stahl zu produzieren, wenn der Stahl anschließend nicht in Schienen, Bussen, Bahnen oder Windkrafträdern verbaut wird, sondern in Panzern und Kampfjets und anschließend als ausgebrannter Stahlschrott auf blutgetränkten Schlachtfeldern rumsteht?

 

Kolleginnen und Kollegen,

die Klimafrage und die Frage von Krieg und Frieden gehören deshalb zusammen, weil Krieg und Ausrüstung die größten Klimakiller sind.

Der CO2-Fußabdruck der deutschen Waffenhersteller wird aktuell auf mehr als 3,4 Millionen Tonnen im Jahr geschätzt.

Für den gesamten deutschen Militärsektor einschließlich der Bundeswehr sind es sogar 4,5 Millionen Tonnen.

Das entspricht dem CO2-Ausstoß von etwa einer Million Autos pro Jahr.

Hinzu kommen die CO2-Emissionen bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, die nirgendwo erfasst sind, aber erheblich sein dürften, wenn man sich das folgende Beispiel auf der Zunge zergehen lässt.

So wird der Diesel-Nachschub westlicher Soldaten im Sahel mit Hubschraubern befördert, weil die Nutzung der Landroute zu gefährlich ist.

Dabei verbraucht der Hubschrauber selbst mehr als die Hälfte des Kraftstoffs, den er liefert.

Und der Kampfjet F-35, den die Bundeswehr bereits geordert hat, emittiert pro Stunde mehr als ein Bundesbürger im Jahresschnitt.

Steigende Militäretats ziehen also einen deutlichen Anstieg der CO2-Emissionen nach sich - eine Entwicklung, die angesichts des drohenden Klimakollapses nicht zu rechtfertigen ist.

Und nach den sozialen und ökologischen Verwerfungen zieht der Aufrüstungskurs der Bundesregierung auch demokratische Verwerfungen nach sich.

Der Chef des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, forderte bereits „eine Kriegswirtschaft“, was in der Konsequenz die Unterordnung aller gesellschaftlichen Bereiche unter die außenpolitische Strategie der Bundesregierung bedeuten würde.

Ein Vorschlag, den er an anderer Stelle durch die Anwendung des Notstandsparagraphen und den Einsatz der Bundeswehr im Landesinneren ergänzte.

Dass eine solche Unterordnung auch zu einer Unterdrückung von Tarifverhandlungen und Streikrecht führen kann, dafür reicht ein Blick in die Geschichte.

Und als Bundesverkehrsminister Wissing kürzlich argumentierte, dass im Kontext des Ukraine-Krieges der Streik bei der Deutschen Bahn nicht zum Sicherheitsrisiko werden dürfe, wurden Erinnerungen an die Worte von Mark Twain wach, dass die Geschichte ihr eignes Reimschema hat.

Aus den Geschichtsbüchern wissen wir: Arbeitsplätze wurden nie durch sozialpartnerschaftliche Absprachen mit der Rüstungsindustrie gesichert - es waren immer Kriege, die den Takt für Einstellungen und Entlassungen vorgaben.

In Kriegszeiten wurden diejenigen, die nicht an der Front verheizt wurden, für die Kriegsindustrie rekrutiert, zu Friedenszeiten wurden ihre Arbeitsplätze wegrationalisiert.

Und wir sollten auch nicht vergessen, wie unterschiedlich sich ihre und unsere Geschichte entwickelt hat: Während UNSERE Gewerkschaften unter Hitler zerschlagen wurden, entwickelten sich IHRE Rüstungsunternehmen zu nationalsozialistischen Musterbetrieben.

Unter allen Industriezweigen sticht die Rüstungsindustrie durch ihre besondere Kooperationsbereitschaft mit dem deutschen Faschismus und eine eifrige Bereitwilligkeit, an Tod und Zerstörung zu verdienen, hervor.

Auch vor diesem Hintergrund müssen die Gewerkschaften einen Schwerpunkte ihrer Industriepolitik nicht auf den Ausbau, sondern auf den Umbau der Rüstungsindustrie zu einer zivilen Industrie legen.

 

Kolleginnen und Kollegen,

ein erneuter Ausbruch weltkriegerischer Auseinandersetzungen ist mehr als wahrscheinlich, ebenso wie der Aufstieg des Faschismus.

Und es ist unsere Aufgabe, dazu einzutragen, dass sich die Geschichte nicht reimt, sondern einen anderen Verlauf nimmt.

Die aktuelle Krisenkonstellation stellt uns, die wie uns nicht damit abfinden wollen, dass ein profitgetriebenes, rücksichtsloses, unmoralisches, die Natur zerstörendes und den Aufstieg des Faschismus beförderndes Gesellschaftssystem das Ende der Geschichte sein soll, vor Herausforderungen, die für die Nachkriegsgeschichte einmalig sind.

Nie waren darum ein kollektiver Strategieprozess und die Verständigung auf eine gemeinsame politische Orientierung in unübersichtlichen Zeiten wichtiger als heute.

Dreh- und Angelpunkt unserer Strategieüberlegungen muss es sein, Sozialproteste gegen die aktuelle Politik aufzubauen.

Ausgehend von der Notwendigkeit, mehr Protest zu organiseren, stehen wir darum vor der Herausforderung, die Gewerkschaften, die Klimabewegung und die Friedensbewegung stärker zusammenzuführen.

Die Zukunft unseres Planeten wird durch die Zerstörung unseres Klimas, durch die Zerstörung sozialer Sicherheiten und durch das steigende Eskalationspotential kriegerischer Auseinandersetzungen zunehmend bedroht.

Klimabewegung, Friedensinitiativen und Gewerkschaften haben deshalb den gleichen Gegner.

Damit aber die Diskursmacht der Klimabewegung, der Erfahrungsreichtum der Friedensbewegung und die Stärke gewerkschaftlicher Gegenwehr zusammenfinden können, müssen wir die Rolle annehmen, in all diesen Bewegungen eine treibende Kraft zu sein.

Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter müssen dabei eine entscheidende Rolle spielen: Denn wer die Welt des Kapitals schwächen will, muss die Welt der Arbeit stärken!

In diesem Sinne, habt herzlichen Dank für die Aufmerksam und Glück auf!

 

Ulrike Eifler ist Gewerkschaftsskretärin der IG-Metall in Würzburg.