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Antikriegs-
tag 2001


vom:
06.09.2001


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Antikriegstag 2001:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede von Esther Bejarano am 1. September in Hamburg

Esther Bejarano

Liebe Freundinnen und Freunde,

früher war der 1. September für uns ein Gedenktag. Wir erinnerten an den Überfall des faschistischen Deutschland auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann. Wir erinnerten daran, dass der Vernichtungskrieg im Osten untrennbar mit dem Holocaust verbunden war. Wir erinnerten daran, dass die Befreiung von Auschwitz nur mit dem Sieg der Roten Armee über die Wehrmacht möglich war. Und wir erinnerten schließlich daran, dass die europäische Nachkriegsordnung sicherstellen sollte, dass Deutschland nie wieder seine Nachbarn bedrohen konnte.

Nie wieder Faschismus - Nie wieder Krieg! Jahrzehntelang gehörte das zusammen. Immerhin war auch das Oberkommando der Wehrmacht in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen wegen der Vorbereitung eines Angriffskrieges verurteilt worden und das Grundgesetz verbot nicht nur die Nazipartei und ihre eventuellen Nachfolgeorganisationen, sondern auch den Krieg.

Jetzt leben wir in einer anderen Zeit. Die Notwendigkeit eines Antikriegstags ist erschreckend aktuell.

Schon der "verteidigungspolitischen Richtlinien" von 1992 haben das "Primat der Politik" in Frage gestellt. Die Aufstellung von "Interventionsstreitkräften" hat den Verteidigungsauftrag des Grundgesetzes deutlich überschritten. Wenn gestern Kommentatoren von einem "guten Tag für die Soldaten" sprachen, weil ihr Einsatz in Mazedonien eine breite Unterstützung im Parlament gefunden habe, sind die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Dass die Entscheidung des Parlament tatsächlich eher dekorativen Charakter hatte, wurde durch den Start des ersten Truppenkontingents nur 45 Minuten nach der Abstimmung im Bundestag deutlich. Immerhin aber ist erfreulich, dass es im Bundestag auch Gegner des Mazedonien-Einsatzes gibt.

Im bevorstehenden Bundestagswahlkampf wird es kein Tabu und kein Pardon geben, wenn es gegen Arme, Kranke, Arbeitslose und Ausländer geht. Anders ist das mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Führende Köpfe aus Regierung und Opposition äußern unisono die Bereitschaft zur Änderung des Grundgesetzes: womöglich noch in dieser Legislaturperiode soll die Regierung ermächtigt werden, allein über Krieg und Frieden zu entscheiden. Die neue Waltmachtambition verlangt`s.

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Antikriegs-
tag 2001
Das Ende der Nachkriegsordnung wurde nicht nur durch den Fall der Mauer deutlich, sondern auch durch die systematische Zerstörung des jugoslawischen Staates. Dieser Staat, der in den 70er Jahren und den frühen 80er Jahren eine ganz wichtige Rolle in der Bewegung der "Blockfreien" für eine neue Weltwirtschaftsordnung und eine blockübergreifende weltweite Friedenspolitik gespielt hat, war nämlich das Erbe des antifaschistischen Widerstands der unter Tito geeinten Partisanenbewegung.

So passen die neue Weltordnung, die Regierung und Opposition gleichermaßen anstreben, die schnellen Eingreiftruppen, die die vitalen Interessen Deutschlands überall verteidigen sollen, wo es um Rohstoffe geht, und die sogenannte Friedenserzwingung in den Zerfallsprodukten der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien prima zusammen. Über einen "Schlussstrich" wird nicht mehr geredet, er wird sichtbar gezogen.

Die Abhaltung von öffentlichen Gelöbnissen der Bundeswehr am 20.Juli im Bendlerblock ist uns da keine Beruhigung. Im Gegenteil.



Liebe Freundinnen und Freunde,

unsere Erinnerung an den 1. September 1939 und die 55 Mlllionen Toten, die bis zum 8. Mai 1945 zu beklagen waren, verpflichtet uns zur Wachsamkeit. Wachsamkeit gegen die Militarisierung der Außenpolitik, die mit rhetorischen Rückgriffen auf den Antifaschismus legitimiert werden soll, wie es Fischer und Scharping während der Bombardierung Jugoslawiens perfiderweise mit "Nie wieder Auschwitz" versucht haben.

Unsere Erinnerung an diesen Krieg schließt auch die Millionen Männer und Frauen ein, die aus Dörfern und Städten verschleppt und zur Arbeit gezwungen wurden - viele von ihnen in der Rüstungsindustrie, die am Morden gut verdiente. Die Serie der Skandale, die die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter immer wieder begleitet, geht offensichtlich weiter. Der Antikriegstag 2001 muss ein Zeichen in der aktuellen Auseinandersetzung setzen. Es wäre gut, wenn heute an vielen Orten Menschen deutlich machen würden, dass sie nicht bereit sind, Großmachtambitionen und Kriegsabenteuer - egal welcher Bundesregierung - hinzunehmen.

Wir müssen darum ringen, dass es so bald wie möglich wieder eine Mehrheit gibt, die den Regierenden eine deutliche Grenze setzt:

Es soll kein Krieg mehr von deutschem Boden ausgehen. Und keine Regierung soll einen Krieg "Frieden" nennen können !



Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

Als ehemalige Verfolgte den Naziregimes, als Auschwitz-Überlebende appelliere ich an alle Hamburgerinnen und Hamburger, am 23. September zur Wahl zu gehen. Die gnadenlos rassistische und gefährliche Schill-Partei wird wahrscheinlich genügend Stimmen erhalten, um in die Hamburger Bürgerschaft einziehen zu können. Das dürfen wir nicht zulassen. Jede nicht abgegebene Stimme hilft den rechtsradikalen Parteien. Hamburg darf nicht in die Hände von antidemokratischen und rechtspopulistischen Politikern geraten, damit nie mehr geschehe, was damals geschah.


Esther Bejarano ist Auschwitz-Überlebende und Mitglied der VVN-BdA
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