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17.09.2001


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Interview: Horst-Eberhard Richter über Rache, Mystifikation und die Aufgabe Bushs, - ND 15.09.2001

"Unübersehbare Folgen für die Kultur des Friedens"

Interview mit Horst Eberhard Richter

ND: Herr Prof. Richter, es sieht so aus, als stünde der "Vergeltungsschlag" der USA unmittelbar bevor. Schon ist die NATO mit im Boot, doch weltweit mehren sich inzwischen besorgte und skeptische Stimmen. Auch Sie mahnen zur Besonnenheit ...

Richter: Ja, diese einmalige Herausforderung muss mit Besonnenheit gemeistert werden. Das heißt erstens: keine Vergeltungsaktionen vor einwandfreier Identifizierung der Täter und der verantwortlichen Drahtzieher und Organisatoren. Zweitens: Keine kriegerischen Handlungen oder Sanktionen gegen unschuldige Bevölkerungen. Und drittens: keine Rachemaßnahmen, die dem Prinzip der Gerechtigkeit widersprechen.

ND: Der US-amerikanische Schriftsteller Paul Auster (New-York-Trilogie) ist da wenig zuversichtlich. Er sagt "zweifellos schreckliche" Folgen eines solchen Gegenschlages voraus - "noch mehr Gewalt, noch mehr Tote, mehr Schmerz für alle".

Richter: Es ist eine enorme Herausforderung für den amerikanischen Präsidenten, der nun mit der Aufgabe betraut ist, sein Volk zu beruhigen. Das ja bisher davon ausging, dass man sich mit der weitaus größten Rüstung in der Welt und mit der Arbeit an diesem Raketenschild endgültig unverwundbar macht. Ein Volk, das sich in Sicherheit wiegte und umgekehrt glaubte, alle Gegner mit der eigenen Übermacht in Schach halten zu können.

Dem Durchbrechen dieses Sicherheitsgefühls folgen jetzt natürlich eine große Verwirrung, Ängstigung, Unsicherheit und Wut zugleich. Diese diffusen Gefühle der Verbitterung mit einer besonnenen und vernünftigen Strategie zu bewältigen, darauf nicht mit kurzschlüssigen emotionalen Rundumschlägen zu reagieren, ist jetzt Aufgabe des Präsidenten.

ND: Trauen Sie George Bush denn zu, dass er diese Aufgabe bewältigt?

Richter: Die Sorge ist, dass es für einen Präsidenten, der noch die Todesstrafe gutheißt, besonders schwer sein könnte, diesem Vergeltungsbedürfnis hinreichend maßvoll nachzugeben und im Rahmen des Völkerrechts zu bleiben, das ja keine Racheaktionen kennt.

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ND: Rache hat sich selten an Recht gehalten. So wenig wie die USA an das Völkerrecht.

Richter: Rachegefühle entstehen eben aus dem, was jetzt die Amerikaner erleben: Symbole ihrer Selbstachtung, ihres Machtgefühls wurden zutiefst beschädigt. Sie sind bis ins Herz getroffen mit den Angriffen, die sie erleiden mussten. Und dann entstehen natürlich Bedürfnisse nach Vergeltung. Wobei dann immer wieder die Frage ist, ob dieses Vergeltungsbedürfnis so überschießen wird wie in "Michael Kohlhaas". Das ist ja sozusagen das Paradebeispiel dafür, wie eine tiefe Verletzung, Demütigung, Kränkung - das gilt für kollektive wie für einzelne - dazu führen kann, dass es Racheaktionen gibt, die dann viel mörderischer werden als das, was man selber erlitten hat. Verliert diese Vergeltung das Maß, besteht die Gefahr einer Eskalation.

ND: Damit wären wir natürlich auch bei der Psyche der Unterdrückten. Der Terrorismus hat weit vielfältigere Ursachen, aber die Spannungsherde der Welt sind ohne Zweifel der Nährboden, an dessen Rand sich der Terrorismus entwickelt. Aus Ex-Jugoslawien, aber auch aus arabischen Ländern hört man, dass die Verzweiflung mancher Völker "made in USA" ist.

Richter: Es ist nicht der Augenblick, darüber zu sprechen. Auch im Alltag ist es doch so: Wenn jemand in schlimmster Weise verletzt, angegriffen und beschädigt wird, kann man ihm nicht sagen, nun denke mal darüber nach, was du selber daran für Schuld trägst. Angesichts des Mitfühlens und des Trauerns ist das jetzt schwer möglich.

ND: Was aber kann die Welt sonst tun, um eine Eskalation zu verhindern? Ist die Spirale der Gewalt noch zu stoppen, und wenn, wie?

Richter: Ich glaube, dass man die Solidarität, die man jetzt im Bündnis üben möchte, in einem Geist wahrnehmen muss, der jeglicher Unbesonnenheit entgegentritt. Anderenfalls könnten die Folgen unübersehbar sein - für die Kultur des Friedens überhaupt in der Welt.

ND: Diese Kultur, von der Sie sprechen, so alt ist sie ja noch nicht. Und noch keineswegs, wie wir jetzt wieder sehen, ein allseits anerkannter Wert.

Richter: Ich habe immer unterschieden zwischen einem Pro- und einem Anti-Frieden. Eine Welt, die im Anti-Frieden lebt, die hatten wir im Kalten Krieg. Diese Welt folgte dem Konzept: Auf der anderen Seite ist das absolut Böse und auf der eigenen Seite das total Gute. Und man musste pausenlos hochrüsten, um das Böse im Schach halten zu können.

Dieser Anti-Frieden ist also kein Friede, der von einem Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung für diese Welt ausgeht, der nicht ausgeht von dem Vertrauen, dass man nur durch Kooperation und gemeinsame Sicherheit in dieser Welt in Ruhe leben kann. Das wäre der Pro-Frieden: ein Friede der Kooperation, des Vertrauens, der Verständigung, der gemeinsamen Sicherheit, wie er ja vor allem durch die Initiative Gorbatschows nach dem Kalten Krieg zustande gekommen ist. Das hat damals funktioniert.

Und der Anti-Frieden, der jetzt wieder beginnen könnte, wäre, dass man tagtäglich im Argwohn lebt - auf der anderen Seite hat man eine Welt von Schurken, und man muss pausenlos seine Anstrengungen in der Rüstung und Überwachung fördern, um gewappnet zu sein. Das ist ein paranoides Konzept; aus diesem Zirkel kommt man dann sehr schwer wieder heraus. Und jetzt droht die Gefahr eines Rückfalls in diese Mentalität.

ND: Das Gute, das Böse, der Teufel, der Satan - warum sind wir Menschen so empfänglich für Mystifikation und Mythisierung?

Richter: Diese kommt dann zustande, wenn man die eigene Seite idealisiert. Es ist ja ein Mythos, der weit in unsere Geistesgeschichte zurückgeht. Er beginnt in der christlichen Mythologie: Gerade in der Ostkirche ist der edle Ritter Georg, der den schrecklichen Drachen tötete, eine der häufigsten Ikonen. Dieses Bedürfnis nach Glorifizierung, respektive Verteufelung, das sich ja übrigens auch in allen Highnoon-Szenarien oder James-Bond-Filmen ewig wiederholt, ist offenbar ein immer noch wirksames Relikt einer Mentalität, die wir in der Psychoanalyse gut kennen und mit dem Ödipus-Komplex benennen. Dass also irgendeine Symbolfigur eines schrecklichen, bösen Vaterbildes nur von einem edlen Kämpfer endlich bezwungen wird. Aber der Andere muss ein Weltfeind sein: nicht nur so ein kleiner Mieser, sondern er muss die ganze Welt unter seine Teufelsmacht bringen wollen. Und dieser Mythos begleitet nicht nur unsere Kultur, sondern ist auch im Islam vorhanden. Beiderseits gibt es einen Teufel, der ausgetrieben werden soll.

ND: Eine neue Zweiteilung der Welt...

Richter: Das ist meine Sorge. Eine neue Spaltung der Welt in Gut und Böse, wie das in manchen Sprüchen der verantwortlichen Politiker schon zum Ausdruck kommt: Wir, im Westen, sind danach auf der Seite nur des Heils und der Guten, auf der Seite des Islams haben wir nur Dämonie, abgrundtiefe Bösartigkeit und Aggressivität. Ich sagte schon: Diese Mentalität kennen wir aus dem Kalten Krieg - dass jede Seite die andere verteufelt und sich selber idealisiert. Und dann gibt es kein Halten mehr. Wenn man diese Haltung stabilisiert, dann fühlt sich jeder als unschuldig Verfolgter und sieht auf der anderen Seite nur den teuflischen Verfolger.

Für diesen Zirkel gibt es Anzeichen, wenn jetzt auf deutschen Straßen Muslime bedroht werden. Sie kriegen zum Teil Drohbriefe, und manche trauen sich gar nicht mehr aus dem Haus oder auf die Arbeitsstelle. Das heißt, dass der gesamte Islam mit dem Terror identifiziert wird. Und dass dann auch wieder vergessen wird, dass unsere europäische Kultur in der Geschichte dem islamischen Geist ganz ganz wichtige Einflüsse verdankt. Vor tausend Jahren waren es arabische Denker, die uns wieder die Brücke zur griechisch-römischen Antike gebaut haben. Thomas von Aquin, der bedeutendste Theologe des Mittelalters, wurde stark von dem arabischen Philosophen Avicenna beeinflusst. Diese historische Verbundenheit geht verloren, wenn man jetzt Terror gleich Islam gleich arabisch setzt.

ND: Muss es nicht bei vielen Menschen zu einer fatalistischen Weltsicht führen, wenn man solche Mystifizierung forciert? Sie können ja gar nicht mehr rationalisieren, wo liegen die Ursachen denn wirklich, denn Schuld zu sein scheinen irrationale Mächte...

Richter: Sie wissen ja, ich bin ein ungebrochener Aktivist der Friedensbewegung und meine, dass wir immer wieder große Beispiele haben, die uns Grund zur Hoffnung geben. Ich führe gern Südafrika an. Dort hat man viele Jahre gesagt: Jetzt ist zum letzten Mal der Zeitpunkt verpasst, dass man ohne riesiges Blutvergießen aus dieser Apartheid je wieder herauskommen kann; das geht nur mit einem Bürgerkrieg, der Hunderttausende Menschenleben kosten wird. Dann ist es doch gelungen, mit Mandela und einer ganzen Reihe von Häuptlingen ein scheinbares Wunder hervorzubringen. Und diese Wahrheitskommissionen, die dann nach der Versöhnung entstanden, sind ein Muster von Friedensarbeit, wie wir das im Westen noch nie in dieser Form fertiggebracht haben. Das heißt, es gibt immer wieder große historische Beispiele auch für Verständigungsmöglichkeit, für die Überwindung von scheinbar unüberwindlichen geistigen, religiösen oder politischen Grenzen.

ND: Der Aggressionstrieb wohnt uns nicht inne?

Richter: Wir müssen jedenfalls aus unserem Aggressionstrieb heraus nicht Krieg führen. Von Konrad Lorenz haben wir gelernt, dass es keine höhere Tierart gibt, in der die Männchen bei ihren Kämpfen, die sie austragen, ohne Aggressions- und Tötungshemmung agieren. Also die höheren Tierarten haben nur überlebt und überleben nur, weil es eine Tötungshemmung gibt, die dafür sorgt, dass die Art nicht ausstirbt. Und Erich Fromm verdanken wir die historische Einsicht, dass die Kriege mit zunehmender Zivilisation nicht etwa zivilisierter geworden sind, sondern erstens häufiger und zweitens grausamer. Das Umgekehrte müsste der Fall sein, wenn Kriege aus einem Aggressionstrieb heraus entstünden.

Wir können uns nicht berufen auf unsere aggressive Natur. Wenn wir versagen in der Friedenspolitik, dann sind wir nicht Opfer unserer Instinkte, sondern selber verantwortlich für unser Scheitern.

Interview: Christina Matte (Quelle: ND 15.09.01)

Prof. Dr. Dr. Horst Eberhard Richter ist Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt (Main). Der Leiter der Deutschen Sektion der IPPNW (Internationale Ärzte für Frieden und soziale Verantwortung) war bis 1992 Direktor des Zentrums für psychosomatische Medizin an der Universität Gießen.



E-Mail:   friekoop@bonn.comlink.org
Internet: http://www.friedenskooperative.de
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