Redebeitrag für die Veranstaltung zum Antikriegstag in Hamburg am 1. September 2018

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Zum hundertsten Mal jährt sich in diesem Jahr das Ende des 1. Weltkriegs. Millionen von Menschen fielen ihm zum Opfer: Zerfetzt, vergast, lebendig begraben: Europa war ein Trümmerfeld, Hunderttausende zwangsrekrutierte Soldaten aus den Kolonien waren als Kanonenfutter hingemetzelt – wofür?

Am 1. September 1939, vor 79 Jahren, überfiel die Nazi-Wehrmacht Polen und begann den 2. Weltkrieg, dem etwa 40 Mio. Menschen zum Opfer – erstmalig in der Kriegsgeschichte waren über 80% der Toten, die Verstümmelten gar nicht gerechnet, Zivilisten: Frauen, Kinder, Greise. Ermöglicht wurde das durch die industrielle Entwicklung von Massenmordmaschinen: Panzer, Kriegsschiffe, Flugzeuge, Bomben. Wen Trafen diese Kriege? Nicht die, die die Massenvernichtungswaffen entwickelt hatten und an ihrer Produktion verdienten! Nein, sie trafen die Menschen, die bei Massenerschießungen im Osten, im Bombenhagel über den Städten, auf Flüchtlingstrecks und beim ersten Einsatz der Atombombe zu Millionen ermordet wurden.

Zweimal hatte Deutschland diese massenmörderischen Kriege entfesselt. Und an diesem 1. September müssen wir feststellen: Deutschland ist wieder an vorderster Front beteiligt, wenn behauptet wird, Militär könne Konflikte lösen, wenn Spannungen mit unserem wichtigsten östlichen Nachbarn ausgelöst und immer weiter eskaliert werden.

Die Bundeswehr ist derzeit in 16 Auslandseinsätzen unterwegs (BMVg: http://www.einsatz.bundeswehr.de/resource/resource/eEtVUURETGpIWks0Z1VPd... ) und ist dabei in längst verlorene Kriege wie in Afghanistan und Mali verwickelt.

Deutschland ist der drittgrößte Exporteur von Kriegsmaterial und für die Tötung Tausender Menschen mitverantwortlich.

Deutschland weigert sich, dem von über 120 Staaten in der UN-Generalversammlung beschlossenen Vertrag über ein weltweites Atomwaffenverbot beizutreten – WARUM?

Deutschland will in den nächsten sechs Jahren seinen Rüstungshaushalt von derzeit 34 Mrd. € auf 70 Mrd. € erhöhen. Je nach Entwicklung des BSP könnten die angestrebten 2% für Rüstungsausgaben sogar 80 Mrd. € erreichen – nahezu eine Verdoppelung der bisherigen Militärausgaben.

Deutschland ist zum Aufmarschgebiet gegen Russland geworden: Seit einigen Wochen rollen tausende Kriegsfahrzeuge gen Osten an die russischen Grenzen in Polen, Norwegen, in den baltischen Staaten. Von den insgesamt 40.000 Soldatinnen und Soldaten kommen 12,000 aus Deutschland – drei Mal mehr als an den Manövern im Vorjahr! (https://www.welt.de/politik/ausland/article173741334/Nato-12-000-deutsch...).. Deutschland ist bei diesen Unternehmungen der größte Truppensteller! Hinzu kommen die permanenten groß angelegten Luft- und Seemanöver der NATO in der nördlichen Ostsee. Da in der Helsinki-Schlussakte am Ende des Kalten Krieges vereinbart wurde, dass die NATO in diesem Raum keine dauerhafte Truppenstationierung vornehmen werde, werden die NATO-Einheiten alle sechs Monate ausgetauscht. Es wird offen erklärt, dass dieser dauerhafte Aufmarsch der Abschreckung Russlands dienen soll. Was ist gemeint mit „Abschreckung“? Was wäre, wenn Russland diesen Begriff verwenden würde???

Fragen wir uns: Wer bedroht wen? Wie sehen die Zahlen aus? Der russische Militärhaushalt beträgt derzeit 66,3 Mrd. US $, er wurde gegenüber dem Vorjahr um 20% gekürzt. Kann und will man dieses Signal aus Moskau nicht verstehen? Nein! Es wird frenetisch aufgerüstet! Der Militärhaushalt der NATO beläuft sich erstmalig auf 1.013 Mrd. $ (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5993/umfrage/militaerausg...). Das ist mehr als die Hälfte aller Rüstungsausgaben weltweit! Allein die USA planen im nächsten Jahr Rüstungsausgaben von 630 Mrd. $. Und wenn der Militärhaushalt Deutschlands in sechs Jahren die magische 2%-Zahl erreicht haben sollte, läge allein er mit 70 bis 80 Mrd. $ weit über dem derzeitigen russischen! (Zahlen nach SIPRI).

Und: Die NATO, die während des Kalten Krieges 16 Mitgliedsstaaten zählte, ist auf 29 Mitglieder angewachsen, fast alle früher Mitglieder der WVO. Schritt für Schritt rückt sie an die russischen Grenzen vor.

Wer mag glauben, dass der Aufbau dieser Drohkulisse dem Frieden dienen soll?

Bestenfalls wird er ein weiteres gigantisches Wettrüsten einleiten und Unsummen von Geld verschlingen! Schlimmstenfalls wird er dazu führen, dass Krieg dank der enormen westlichen Überlegenheit wieder als führbar – und gewinnbar – erscheint. Darauf deuten die im Gang befindliche Umrüstung der US-amerikanischen Atomwaffen und der Ausbau der Raketenabwehrsysteme: Die Atomwaffen sollen, wie es die neue nuclear posture review vorsieht, auf „kleine“ Bomben vom Hiroshima-Format umgerüstet werden, so dass sie als Gefechtsfeldwaffen eingesetzt werden können! Wenn diese Systeme funktionieren, wie ihre Protagonisten behaupten, werden sie in der Lage sein, die Zweitschlagsfähigkeit des Gegners zu verhindern und wir befinden uns in einer ähnlichen Situation wie zu Beginn der 80er Jahre, als der Westen glaubte, mit Hilfe der Pershing II-Raketen und der Cruise Missiles einen vernichtenden Erstschlag führen zu können. Ich frage: Was wird damit bezweckt? Die Antwort kann nur lauten: Die Führbarkeit des Krieges unter Einschluss von Atomwaffen!

An dieser Stelle müssen wir uns fragen, warum Deutschland jenen auf Initiative des EU-Mitglieds Österreich erarbeiteten Plan der UN-Generalversammlung zum Verbot der Atomwaffen nicht unterzeichnen will! Deutsche Regierungen haben es geschafft, durch die Stationierung US-amerikanischer Atomwaffen auf deutschen Boden, in Büchel, eine „atomare Teilhabe“ zu erringen. Die will man nicht aufgeben, nein, man will sie offensichtlich ausbauen! Es kann kein Zufall sein, dass in jüngster Zeit allenthalben die Argumente sprießen, dass Deutschland, als Großmacht, die es ja nun ist, auch selbständig über Atomwaffen verfügen müsse. Dies ist nachzulesen sowohl in der FAZ wie in einem vom Vorsitzenden der Münchner „Sicherheitskonferenz“ herausgegebenen Prachtband mit dem schönen Titel „Deutschlands NEUE Verantwortung“, wo prominente Vordenker der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik solche Gedankenspiele veranstalten.

Nach den beiden vernichtenden Niederlagen in den beiden Weltkriegen gab es unter den Überlebenden in Deutschland einen Konsens: Nie wieder Krieg von deutschem Boden und Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus!

Es ist wohl kaum ein Zufall, dass in dieser Situation, in der weitere zweistellige Milliardensummen für Militär und Rüstung ausgegeben werden sollen, in der Millionen Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen um ihre Existenz und vor allem ihre Alterssicherung bangen, nun auch noch die Einführung eines so genannten Sozialjahres in die Debatte eingeführt wird, die fatal an den Arbeitsdienst und das Pflichtjahr für Mädchen der Nazis erinnern: Noch mehr unbezahlte Arbeit für die Menschen – noch mehr Gewinne für die Rüstungskonzerne und den Aufstieg Deutschlands zur Großmacht? !

Der DGB hat in seinem diesjährigen Aufruf zum Antikriegstag eindeutig und klar die Gefahren benannt, die durch die aktuelle Politik heraufbeschworen werden. Er hat zu Recht darauf verwiesen,

  • Dass Frieden, Demokratie und Freiheit untrennbar miteinander verbunden sind,
  • Dass die Kriegsgefahr so groß ist wie seit 1989 nicht mehr,
  • Dass wir uns mitten in einem neuen nuklearen Wettrüsten befinden,
  • Dass Militär die Probleme der globalisierten Weltgesellschaft nicht zu lösen vermag,
  • Dass die neue Aufrüstung jene Milliarden verschlingt, die zur Lösung der sozialen, kulturellen, ökologischen Probleme unserer Gesellschaft dringend benötigt werden,
  • Dass Waffenexporte stärker und besser kontrolliert – ich würde sagen: grundsätzlich abgeschafft – werden müssen.
  • Und er hat dazu aufgerufen, die friedenspolitische Initiative „Abrüsten statt Aufrüsten“ zu unterstützen.

Diese Initiative wird inzwischen von mehr als 85.000 Menschen unterstützt. Sie fordert: Militärische Aufrüstung stoppen, Spannungen abbauen, gegenseitiges Vertrauen aufbauen, Perspektiven für Entwicklung und soziale Sicherheit schaffen, Entspannungspolitik auch mit Russland, verhandeln und abrüsten.

Noch immer ist die überwiegende Mehrheit der Deutschen gegen Krieg, Auslandseinsätze und weitere Hochrüstung. Unterstützen wir – mit dem DGB – diese Initiative – für eine bessere Gesellschaft und eine friedlichere Welt – für unser aller Sicherheit!

 

Werner Ruf ist Politikwissenschaftler, Hochschullehrer und Friedensforscher.