100 Tage Scharping

von Susanne HochBenedikt Schirge
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Larzac/Frankreich in den 70ern: Über zehn Jahre dauerte der Widerstand der Bewohner, überwiegend Bauern, gegen die Pläne der damaligen französischen Regierung, den dortigen Truppenübungsplatz auf Kosten der Ackerflächen der Landwirte zu vergrößern. Die verschafften ihrem Protest derart Ausdruck, dass niemand, der künftig in Frankreich die Regierungsverantwortung übernehmen wollte, an ihnen vorbeikam. Im Wahlkampf gab Francoise Mitterand sein Wort, dass diese Pläne nicht verwirklicht werden würden, übenähme er jemals Regierungsverantwortung. Innerhalb von 24 (!) Tagen, nachdem Mitterand französischer Präsident geworden war, war sein Versprechen in die Tat umgesetzt: Der Larzac war frei.

Dass sich dieses Geschehen, das als "Mitterand-Effekt" in die Geschichte des gewaltfreien Widerstands einging, so oder ähnlich im Falle des Bombodroms in der Kyritz-Ruppiner Heide im Norden Brandenburgs wiederholen könnte, darauf hofften viele, die sich für eine zivile, friedliche Nutzung der Heidelandschaft einsetzen.

Es war am 6. August 1994. Der damalige Kanzlerkandidat der SPD, Rudolf Scharping durchzog auf Wahlkampftour auch das Brandenburger Land. In Gadow, einem der 13 Anrainerdörfer der Heide, machte er halt und sagte vor mehr als 500 Veranstaltungsteilnehmern, dass im Falle einer SPD-geführten Regierung hier in der Ruppiner Heide kein Platz für einen Bombenabwurfplatz sei. Er sei unnötig und überflüssig.

Reichlich vier Jahre später, Oktober 1998: Die SPD hat die Regierungsverantwortung übernommen, Scharping wird Verteidigungsminister. Der nach 24 Tagen erhoffte "Mitterand-Effekt" bleibt aus. Die Bürgerinitiative wendet sich mit einem "Offenen Brief", den eine größere Anzahl von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mit unterschrieben haben, an alle Bundestagsabgeordneten. Die Resonanz der Presse ist groß, die der Abgeordneten gering (z.B. ein SPD-Mitglied des Verteidigungsausschusses: Seien Sie froh, dass das russische Bombodrom die Natur vor der Zerstörung durch die Landwirtschaft bewahrt hat). Was soll man zu solchem Zynismus angesichts 40-jährigen scharfen Bombenabwurfes sagen?
 

Am 15.10.98, zwölf Tage vor der Vereidigung Scharpings zum Verteidigungsminister (seine zukünftige Aufgabe stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht 100%ig fest), wünscht Scharping in seinem derzeit letzten Schreiben an die Bürgerinitiative dieser viel Erfolg für ihr Vorhaben.

Seitdem gab es viele Schreiben an den Verteidigungsminister, immer wieder aus der Region, aus Berlin und Brandenburg, aber auch aus dem ganzen Land. In unserer Region ist keine einzige Antwort seit dem 27.10.98 aus dem Verteidigungsministerium bekannt, in den alten Bundesländern bekamen manche lapidare Schreiben von der Hardthöhe mit ideolgischen Belehrungen.

Auch nach 100 Tagen im Amt gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass Scharping zu dem steht, was er am 6.8.1994 gesagt hat. Noch am 1.1.1999 auf der unterdessen traditionell gewordenen Neujahrswanderung der FREIen HEIDe hatte ihn seine Parteifreundin und Brandenburgs Sozialministerin Regine Hildebrand in Schutz genommen. Vor mehr als 1000 Demonstranten sagte sie, er könne doch die zivile Nutzung des Gebiets nicht von einem Tag auf den anderen veranlassen. Dafür müssten Entwicklungsprozesse in Gang gesetzt werden. Überhaupt kann man nach der Haltung der SPD zur umstrittenen Heide fragen. Deren zivile Nutzung stand 1994 noch als Ziel im Wahlprogramm der SPD. Auf Nachfragen u. a. auch des Abgeordneten Ernst Bahr, warum es denn im 98er Wahlprogramm fehle, lautet die Antwort: Man müsse ja nicht alles wiederholen; einmal gemachte Aussagen behielten selbstverständlich ihre Gültigkeit.

Scharping selbst verweist indessen auf die neun beim Oberverwaltungsgericht Frankfurt/Oder anhängigen Gerichtsverfahren, die überraschender Weise binnen Monatsfrist (März 99) verhandelt werden. Zu Beginn seiner Amtszeit von Journalisten zum Bombodrom Wittstock befragt, meinte er, diese Frage sei jetzt nicht dringend, es gäbe Wichtigeres zu tun. Anfang 99 wieder angesprochen, erklärte er nun, bei der Entscheidung um das Bombodrom müsse die soziale Sicherheit der Soldaten im Vordergrund stehen. Zuletzt, nach seinem Antrittsbesuch am 11. 2. 1999 bei Ministerpräsident Stolpe in Potsdam von Journalisten befragt, meinte er, er müsse von den Verhältnissen ausgehen, die er zum Amtsantritt vorgefunden habe. Damals (1994) hätten die "rechtliche Situation und Bundeswehrplanung einen anderen Stand gehabt als gegenwärtig". Dabei gibt es bis heute keine unterschriebenen Verträge, die für Scharping verbindlich wären. Und Scharping versucht eine Region zu ködern, indem er Brandenburg Investitionen durch die Bundeswehr verspricht. Keine Geste der Zuversicht an die, die ihm vor mehr als vier Jahren in Gadow das Versprechen abnahmen, dass es ein Bombodrom in der Heide nicht geben werde. Damals hieß es, auf Wiedersehen hier zur Feier in der Heide und nicht zum diplomatischen Geklüngel in Potsdam, zumal auch die Potsdamer Landesregierung gerade erst wieder am 18.12.98 vom Landtag einen klaren Auftrag bekam, sich bei der Bundesregierung für die zivile Nutzung des ehemaligen russischen Bombodroms einzusetzen.
 

Das alles verheißt nicht viel Gutes. Und die Befürchtung macht sich breit, dass so etwas wie ein "Scharping-Effekt" Realität werden könnte. Der Druck auf Scharping und die Hardthöhe muss bestehen bleiben, besser noch wachsen. Wir brauchen auch nach bzw. anscheinend gerade nach dem Regierungswechsel breite Unterstützung, ob in schriftlichen Reaktionen nach Bonn, ob bei Protesten hier vor Ort. Die Mitglieder und Sympathisanten der Bürgerinitiative indessen rechnen damit, dass der Widerstand so oder so Zukunft hat. Für 1999 liegt jedenfalls eine detaillierte Jahresplanung vor. Die nächste, nunmehr 53. Protestwanderung wird der schon traditionelle Osterspaziergang am Ostersonntag in Fretzdorf (4.4.99, 14.00 Uhr) sein. Und Zukunft wird die Kyritz-Ruppiner Heide ohnehin nur als eine FREIe HEIDe haben.

 

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Susanne Hoch ist aktiv in der BI FREIe HEIDe.
Benedikt Schirge ist Sprecher der BI.