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1992 - Warum nur Lateinamerika
vonAls die Uramerikaner vor 500 Jahren Bekanntschaft mit den Sendboten des christlichen Abendlandes machten, gab es in den "Konsequenzen" der Eroberung zwischen Nord und Süd keinen Unterschied. Sie verlangen daher gemeinsam, daß die Lüge der "Entdeckung" im Jahr 1992 von der internationalen Öffentlichkeit entlarvt wird, mit allem, was sich hinter diesem kolonialen Konzept verbirgt. Dazu gehört u.a. auch die Maxime "teile und herrsche", eine Strategie, die nicht nur von den kolonialen Regierungen, sondern auch von der sich als kritisch betrachtenden "Bewegung" praktiziert wird.
Die Kolonialstaaten haben nicht nur ihre Grenzen mitten durch das Land von Völkern gezogen, die diese Grenzen nicht als die Ihren betrachten, sie haben auch mit den Herrschafts-Sprachen Englisch und Spanisch bzw. Portugiesisch einen Graben der Verständigung zwischen den Opfern in Nord- und Südamerika gezogen. Die Solidaritätsszene weiß offenbar nichts Besseres zu tun, als diese Teilung zu übernehmen und dadurch sozusagen zu legitimieren und zu ihrer Verewigung beizutragen.
Die legitimen Eigentümer eines Kontinents leben heute als Opfer der "inneren Kolonisation" unter Fremdstaaten, die sich auf ihren Territorien etabliert haben und müssen sich paradoxerweise in der UNO von ihren Unterdrückern vertreten lassen. Sie sind keine "Subjekte des Völkerrechts". Das Völkerrecht billigt Entkolonialisierung nur Völkern zu, die außerhalb der Staatsgrenzen ihrer Kolonisatoren leben.
Wenn die Indianer Amerikas Entkolonialisierung fordern, wenden sie sich nicht nur an ihre "Settlergovernments", Einwanderer-Regierungen, wie US-Indianer sie nennen, sondern auch an die Europäer, denn die haben mitbestimmt, daß es im Völkerrecht zwei Klassen kolonisierter Völker gibt.
Doch wie sollen sie sich vom Joch der Fremdherrschaft befreien, wenn solche Grundtatsachen durch eine internationale Bewegung verwischt werden, die im Kolumbus-Jahr, das die Kolonisation zum Gegenstand staatlicher Jubelfeiern macht, Ethnozid und Genozid, Rassismus und Diskriminierung gegenüber den Uramerikanern ausblendet, - wenn "die Basis" im immer noch kolonialen Europa den fortdauernden Kolonialismus z.B. in Nordamerika totschweigt und stattdessen die Frage wirtschaftlicher Entwicklung oder Unterentwicklung so in den Vordergrund schiebt, daß 1992 zum Jahr "sozialer Gerechtigkeit" zu werden scheint.
1924 reiste Deskaheh als Delegierter der Irokesen-Konföderation nach Genf, um beim Völkerbund für ihre Situation Gehör zu finden. Er wurde nicht vorgelassen. Weil ihm die USA bereits seinen Versuch als Verbrechen ankreideten, mußte er im Exil sterben. Im gleichen Jahr wurde ungebeten ein Gesetz über Indianer verhängt, das sie zu US-Bürgern macht - um den Preis einer Zwangs-Integration, die Identitätsverlust und Entwurzelung bedeutet, während Gleichberechtigung bis heute eine Leerformel ist.
Sie wollen Navaho, Hopi, Western Shoshone bleiben und fordern Selbstbestimmung, doch die Realität sind Diskriminierung und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen, die zum Ethnozid und in vielen Fällen zum Völkermord führen.
Heute ist es der nukleare Kolonialismus, der ihnen mit Uranabbau und Atombombentests den schleichenden Tod bringt. Auf der Navajo-Reservation sind hunderte von Navajo in den Uranminen an Lungenkrebs gestorben, jetzt strahlen dort Millionen Tonnen radioaktiven Abraums bis in alle Ewigkeit. Das Stomtestgebiet auf dem Land der Western Shoshone hat der Bevölkerung Nevadas die am schnellsten wachsende Krebsrate der USA beschert. Es sind vor allem indianische Reservate, die im Abwind des nuklearen Fallouts liegen - doch Indianer kommen in den offiziellen Krebsstatistiken gar nicht vor.
Die Indianer Nordamerikas, die ihre Geschichte am intensivsten aufgearbeitet haben, haben nie aufgehört, sich als Nationen zu sehen - in den USA sind sie Mündel - ein Status, den sie mit Kindern und Geisteskranken gemeinsam haben. Vormund, mit uneingeschränkter treuhänderischer Macht, ist die US-Regierung, die sich indianisches Land, Bodenschätze und natürliche Ressourcen aneignet - oder befreundeten Industriestaaten wie der BRD zur Ausbeutung anheimstellt. Auf Reservaten werden Umweltschutzgesetze außer Kraft gesetzt und Grenzwerte verändert, um sie als bevorzugte Gebiete für alles zu benutzen, was sich die dominante Bevölkerung nicht zumuten läßt - von Giftmüll Deponien über Plutoniumfabriken bis hin zu Atombombentests.
Die Verträge, die die USA mit indianischen Nationen geschlossen haben, sollen ihre Land-, Fisch- und Jagdrechte garantieren. Doch entsprechend der Erkenntnis, daß die ökonomische Agonie den politischen Kampf lähmt, wurden selbst Reservate, die reich an Ressourcen sind, zu Armenhäusern der Nation. Jede Eigeninitiative erstickt in einem bürokratischen Kontrollsystem, das seines gleichen sucht. Es gibt nichts, womit Indianer so reichlich bedacht wurden wie mit Spezialgesetzen und einem Verwaltungsapparat, dem zehntausende weißer Amerikaner gut bezahlte Jobs verdanken. Klar, daß alle dem eigenen Staat in die Tasche wirtschaften. Für Zwangsumsiedlungen, Landraub und militärische Invasion verleihen maßgeschneiderte innerstaatliche Gesetze der Verletzung von Völker- und Menschenrechten die erforderliche Legitimation.
Daß das herrschende Konzept von Menschenrechten ein Produkt des Eurozentrismus ist, spüren vor allem die Völker der "Vierten Welt", zu denen auch die Indianer Nordamerikas gehören, weil sie das schwächste Glied in der politischen wie ökonomischen Hierarchie sind.
Was die BRD von ihrer Verantwortung zur Wahrung der Menschenrechte gegenüber Ureinwohnern hält, zeigen Antworten der Regierung auf Anfragen im Bundestag zur Beteiligung am Uranabbau auf indianischen Gebieten oder Tiefflüge bei den Innu in Kanada: Sie gibt ihre Verantwortung ab an die Staaten, die für die Indianer Kolonialregierungen sind. Bewegung und Öffentlichkeit teilen die Ignoranz der Regierung. Für indianische Menschenrechte fühlen wir uns nicht verantwortlich - wir verbrauchen nur ihre Ressourcen und wenn der Protest gegen Tiefflüge im eigenen Land zu laut wird, ist der Problemexport zu ihnen die "naheliegendste" Lösung.
Weil ihre Gesellschafts- und Wertsysteme zu den unseren in einem unüberbrückbaren Gegensatz stehen, sind wir uns der Mängel unseres Menschenrechtskonzeptes kaum bewußt. Kollektive Rechte z.B., die für sie Grundlage aller Lebensbereiche sind, werden nicht geschützt, wo Privateigentum unreflektierte Priorität hat. Für Indianer geht es nicht nur um den Schutz ihrer Lebensräume, sondern um ihre Lebensweise und Identität, ihr kulturelles Überleben. "Wir gehören zum Land als Gemeinschaft - wenn unsere Lebensweise stirbt, unsere Gesetze und unsere Sprachen - das ist das Ende". Gegen diesen lautlosen Untergang kämpften die Salish im Nordwesten der USA und eines landlose Gruppe der einst großen Cree Nation: sie wollen unter das Artenschutzgesetz gestellt werden, weil sie sich vor dem Aussterben weniger geschützt fühlen als Robben oder Kraniche.
Das Recht auf Selbstbestimmung und auf ökonomische Systeme der Selbstversorgung ist unverzichtbar, um ihre eigenen Kulturen zu erhalten. Wenn das als "separatistisch" mißverstanden wird, so vor allem, weil die Reflexion darüber fehlt, daß sie gar nicht in unseren Kategorien denken. John Trudell, ein indianischer Dichter und Widerstandskämpfer drückt ihre Vorstellung so aus:
"Wir wollen keine Revolution. Wir wollen frei sein von einem Wertsystem, das uns aufgezwungen wurde. Wir wollen an diesem Wertsystem nicht teilhaben, wir wollen es auch nicht ändern. Wir wollen es aus unserem Leben entfernen - für immer".
Ihre Probleme passen in kein gewohntes Schema wie Nordsüdgefälle oder Ostwestkonflikt, Dritte Welt- oder Entwicklungsländer. Sie leben in reichen "westlichen Demokratien", wo der Gegensatz zu ihrer marginalisierten Situation umso krasser ist. Gekennzeichnet durch alarmierende Alkoholismus- und Selbstmordraten ist ihre Lebensdauer um 15 - 20 Jahre kürzer als in der dominanten Gesellschaft. Aus ihrer Sicht unterscheiden sich Kapitalismus und Sozialismus nicht so grundsätzlich, denn beide treiben Fortschritt und Industrialisierung voran und holen sich die dafür erforderlichen Ressourcen auf Kosten der Ureinwohner.
Vor allem US-Indianer werden mit Stereotypen etikettiert, die den Blick für die Realität bis hin zur unpolitischen Schwärmerei trüben. Während sie als Öko-Heilige unsere Ideale von Umweltschutz ausschmücken, wird ihr eigener Kampf z.B. gegen Atomtest auf dem Land der Western Shoshone ignoriert. Um eine Stimme von Greenpeace zu zitieren: "Für uns spielte es keine Rolle, auf wessen Land die Atomtest stattfinden" deutlich läßt sich Rassismus im Umweltschutz nicht auf den Punkt bringen - auf unserem Land finden die Tests ja zum Glück nicht statt.
Für die Indianer Nordamerikas bedeuten die bevorstehenden kolonialen Jubelfeiern Jahrhunderte des Völkermords mit deutscher Beteiligung. Zur Zeit der größten Massaker in den USA war die größte Bevölkerungsgruppe der Einwanderer deutscher Abstammung. Man könnte sich fragen, ob nicht nur die Amerikaner deutscher Abstammung, sondern auch ihre zurückgebliebenen Nachfahren etwas zu verdrängen haben, wenn sie das Jahr 1992 zu einem Jahr Lateinamerikas machen - Kolumbus mag Spanier oder Italiener gewesen sein - Deutscher war er jedenfalls nichts - haben wir deshalb nicht mit der Kolonialisierung Nord-Amerikas zu tun?
Renate Domnick ist Koordinatorin für Western Shoshoni der Gesellschaft für Bedrohte Völker.