Rede anläßlich der Verleihung des Aachener Friedenspreises an Connection e.V. am 2. September 1996

Aachener Friedenspreises

von Rudi Friedrich
Schwerpunkt
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Liebe Freundinnen und Freunde,

als wir erfuhren, daß ausgerechnet wir mit dem Aachener Friedenspreis in die­sem Jahr geehrt werden sollten, waren wir zugleich erfreut und erstaunt. Es durchfuhr uns aber auch ein Schrecken: warum ausgerechnet wir?

Nun, womöglich ist es mehr unsere Ar­beit, die dazu beigetragen hat. Das wie­derum hätten wir uns vor über zehn Jah­ren, als wir mit dieser Arbeit zu Süd­afrika begannen, keineswegs vorstellen können. Mit der Unterstützung von De­serteuren und Kriegsdienstverweigerern aus Kriegsgebieten und der Forderung, ihnen Asyl zu geben, wollten wir einen konkreten Ansatzpunkt umsetzen, um effektiv gegen Krieg arbeiten zu kön­nen. Es war aber einfach kein Thema. Auf Kongressen der Friedensbewegung machten wir Arbeitsgruppen mit gerade mal drei TeilnehmerInnen. Es gab schlichtweg niemanden, der sich dieses Themas außer uns angenommen hätte. Ein hoffnungsloser Fall, gerade weil wir zwischen den Stühlen saßen, zwischen antimilitaristischer Arbeit und Arbeit mit Flüchtlingen.

Aber selbst wir waren erstaunt, als über den II. Golfkrieg, über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien und die Ver­breiterung der Arbeit die Zahl der uns bekannten Kriegsdienstverweigerer und Deserteure, die in Deutschland Zuflucht suchten, immer größer wurde. Auch wir erkannten die Dimension spät, obwohl sie sicher schon vor über fünf Jahren beträchtliche Ausmaße angenommen hatte. Flüchtlinge aus Algerien, Arme­nien, den Republiken des ehemaligen Jugoslawiens, der Türkei, Liberia, der Sowjetunion, später Rußland, der Ukraine und vielen anderen Ländern kamen und kommen hierher, weil sie der Rekrutierung für den Krieg in ihrem Land entgehen wollen. Es sind Tau­sende, nach unserer Schätzung etwa ein Drittel der Flüchtlinge aus diesen Län­dern.

In ihren Herkunftsländern werden sie für ihre Entscheidung verfolgt. Mehrjäh­rige Haftstrafen, teilweise sogar die To­desstrafe, droht ihnen für diesen Akt des Ungehorsams. Sie werden als Kanonen­futter an die vorderste Front gestellt. Sie werden als "Verräter" gebrandmarkt und haben infolgedessen mit zahlreichen au­ßergesetzlichen Repressionen zu rech­nen: Beschlagnahmung des Eigentums, Berufsverbot, Sippenhaft. Amnestien dienen häufig nur dazu, sie bei Rück­kehr erneut zu rekrutieren und wieder für den Krieg verwendbar zu machen.

Deserteure und Kriegsdienstverweigerer sehen ihre Chance daher häufig nur in der Flucht. Sie hoffen darauf, hier Schutz vor Verfolgung zu erhalten. Aber schon die Einreise wird ihnen mit Visaregelungen versperrt. Gelingt es ih­nen dennoch, einzureisen, so müssen sie feststellen, daß auch hier ihre Entschei­dung von Behörden und Gerichten als strafbare Handlung gewertet wird. Wie mit denjenigen umzugehen sei, die sich, insbesondere in einer Kriegssituation, dem Zwang zum Dienen widersetzen, da sind sich alle Staaten in frappierender Weise einig. Fahnenflucht gilt als Verrat an der gemeinsamen Sache. Das militä­rische Denken, der Gehorsam, hat Prio­rität. Das ist der Grund, warum deutsche Gerichte die Bestrafung von Kriegs­dienstverweigerern in anderen Staaten für legitim halten. Das ist der Grund, warum Kriegsdienstverweigerer und Deserteure in der Regel kein Asyl er­halten, auch keine andere Form unbefri­steten Bleiberechts. Sie werden von deutschen Behörden schikaniert, zur Ausreise gedrängt, abgeschoben. Sie werden denen ausgeliefert, die sie zum Dienst im Krieg, zum Töten zwingen, eine handfeste Kriegsunterstützung.

Dies zu ändern, ist auch eine Frage des Menschenrechts auf Kriegsdienstver­weigerung. Erst in einer Kriegssituation entscheidet sich, wie Militär mit Kriegsdienstverweigerern umgeht. Wo aber könnte die Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung dringlicher sein, als im Krieg selbst? Und gerade dann wird dieses Recht faktisch und praktisch vielfach außer Kraft gesetzt, wie uns Beispiele auch aus sogenannten demokratischen Staaten in der Vergan­genheit zeigten.

Dies zu ändern, Deserteure und Kriegs­dienstverweigerer zu unterstützen, ist für uns aber auch eine Konsequenz praktischen Antimilitarismus. Desertion ist eine Widerstandsform, eine durch­weg positive Handlung. Dabei, dessen müssen wir uns bewußt sein, sind die Motive der Verweigerer höchst unter­schiedlich:

-     Zum Beispiel _smet Geleç, Kurde aus der Türkei. Er kam aufgrund des Krieges gegen die kurdische Bevöl­kerung nach Deutschland. Im Ok­tober letzten Jahres verweigerte er öf­fentlich vor dem türkischen Konsulat in Frankfurt. Zugleich rief er in der mittlerweile in der Türkei verbotenen Zeitung Özgür Politika zur Kriegs­dienstverweigerung auf. "In der Mi­litärdienstzeit lernt man mit dem Gewehr umzugehen und wird mit na­tionalistischen und chauvinistischen Aussagen zum Nationalisten und Chauvinisten gemacht. Wenn Ihr auch gegen den Militärdienst seid, dann geht nicht!" Vor einigen Wo­chen, ein seltener Fall, wurde er vor dem Verwaltungsgericht Kassel als Asylbewerber anerkannt, auch wegen seiner öffentlichen Verweigerung.

-     Zum Beispiel Luis Gabriel Caldas, kolumbianischer Kriegsdienstver­weigerer. Er wollte die von der Ver­fassung garantierte Gewissensfreiheit für seine Kriegsdienstverweigerung in Anspruch nehmen. Er lehnt das Militär ab, denn: "Militarismus ist eine lächerliche Männerbewegung in Grün. Es ist eine Art von Kidnapping junger Männer. Gewaltfreiheit ist die beste Art, um die Gewalt, die zur Verletzung unserer Menschenrechte benutzt wird, lächerlich zu machen. Kriegsdienstverweigerung ist die be­ste Waffe, die man gebrauchen kann, wenn man der Armee den Krieg er­klärt hat." Inzwischen war er einmal für sieben Monate wegen Desertion inhaftiert. Am Tag der Freilassung erhielt er eine erneute Einberufung und lebt seitdem aus Angst vor unbe­fristeter Inhaftierung im Untergrund. Er sucht ein Land, das ihm Asyl ge­währt.

-     Zum Beispiel Ibrahim Dosljak, Mos­lem aus dem Sandzak. Er saß wegen Wehrdienstentziehung in der Bundes­republik Jugoslawien ein halbes Jahr in Haft. Nachdem er einer weiteren Einberufung keine Folge leistete, da er als Moslem nicht gegen Moslems kämpfen will, floh er nach Deutsch­land. Sein Asylantrag wurde abge­lehnt. Er erhielt auch nicht die ihm zustehende Duldung. Ende Mai die­sen Jahres trieb es die Ausländerbe­hörde in Bad Hersfeld auf die Spitze. Sie erwirkte einen Beschluß, ihn in Abschiebehaft zu nehmen. Dies ge­schah, obwohl er praktisch nicht ab­geschoben werden konnte, da die Re­gierung unter Milosevic noch immer keine Flüchtlinge zurücknimmt. Das heißt, es gab gar keine Grundlage für die Anordnung der Abschiebehaft. Es war schlicht eine Schikane, um Ibra­him Dosljak unter Druck zu setzen. Aufgrund unserer Intervention wurde er schließlich vor drei Wochen aus der Abschiebehaft entlassen. Er will nun nach Bosnien gehen.

Ihre Entscheidung hat sehr unterschied­liche Motive. Was sie alle eint, ist die konkrete Handlung. Sie entziehen sich einer Institution, die Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der Ziele von Herr­schenden begreift; einer Institution, die vorwiegend Männer, aber auch Frauen, drillt, verfügbar macht, zum Gehorsam erzieht für die Ziele Anderer. Der Sol­dat, die Soldatin handelt auf Befehl, mehr, muß auf Befehl handeln. "Die Sphäre des Nicht-Erlaubten, mit der je­der schon als Kind vertraut gemacht wird, erweitert sich für den Soldaten ins Riesenhafte", schrieb Elias Canetti und weiter: "Der Soldat ist ein Gefangener, der sich seinen Mauern angepaßt hat, der sich gegen seinen Zustand so wenig wehrt, daß die Mauern ihn formen." Die Person wird im Militär verdinglicht zu einem Objekt, das legitim Herr­schaftsausübung mittels Gewalt prakti­ziert.

Die Befehlsverweigerung, und erst recht die Desertion, stellt dies konkret in Frage. Das Militär als eine hierarchische Institution funktioniert nur, wenn sich alle daran halten. Gerade in Kriegszei­ten ist daher für das Militär die Deser­tion, wie auch Sabotage, Befehlsver­weigerung und Kriegsdienstverweige­rung eine gefürchtete Reaktion des Indi­viduums.

Es sind aber in der Regel nicht nur Ein­zelfälle, die sich den Kriegen entziehen. Bewußt wurde es in jüngster Zeit insbe­sondere bei den Hunderttausenden von Verweigerern aus dem ehemaligen Ju­goslawien. Auch in der Türkei gibt es nach offiziellen Angaben 200.000 Fah­nenflüchtige, nach Schätzungen des dortigen Vereins der KriegsgegnerInnen über 350.000. In Armenien, so das Auswärtige Amt in einer Stellung­nahme, kamen über 90% den Einberu­fungen zum Krieg gegen Aserbeidschan nicht nach. Ein Massenphänomen, das den Kriegsherren eine Ressource ent­zieht, die sich nicht ersetzen läßt: den Menschen. Dieses Verhalten darf in ih­rem Sinne nicht Schule machen, denn auf Freiwilligkeit will und kann sich keine Kriegspartei auf Dauer verlassen.

In immer mehr Ländern wird dieser Protest öffentlich. So erklärten letzte Woche in Aachen erneut türkische und kurdische Wehrpflichtige öffentlich ihre Verweigerung, um ihren Widerstand gegen das türkische Militär auszudrüc­ken. Es sind im Vergleich zu der Viel­zahl von Wehrpflichtigen, die in der Türkei der Einberufung nicht nach­kommen, nur sehr wenige, einige Dut­zend, die sich hier und in der Türkei bisher öffentlich zu diesem Schritt be­kannten. Es wurde darüber aber eine neue Qualität erreicht. Das Öffentlich­machen hat das Tabu, in der Türkei überhaupt über Militär und die Pflicht zur Ableistung des Militärdienstes zu reden, gebrochen. Es steckt darin die Chance, aus der individuellen Entschei­dung heraus gemeinsam politische Wirksamkeit zu entfalten, der Kriegslo­gik sich widersetzende Strategien zu entwickeln, trotz aller Repressionen.

Dieses zu unterstützen ist unser Ziel. Im Rahmen des Internationalen Deserteurs­netzwerkes, an dem Gruppen aus über 10 europäischen Ländern beteiligt sind, haben wir Ansätze dafür gefunden. Un­terstützung der Gruppen, die sich in den Kriegsgebieten für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer einsetzen, in­ternationale Begleitung von Aktionen, Beratung von Flüchtlingen und Hilfe in den Asylverfahren sind einige Beispiele dafür.

Connection e.V. ist nur ein vergleichs­weise kleiner Verein. Die Verleihung des Aachener Friedenspreises an uns ist uns da fast der Ehre zu viel. Wir können doch diese Arbeit nur machen, weil es viele Gruppen und Einzelpersonen gibt, die vor Ort aktiv sind. Dieser Arbeit ge­bührt die Anerkennung und all denjeni­gen, die sich dem Krieg entzogen haben.

Der Aachener Friedenspreis ist uns ein Ansporn, diese Arbeit weiterzuführen. Und wir hoffen, daß er auch anderen Gruppen Anlaß ist, sich vor Ort und gemeinsam für die Sache der Kriegs­dienstverweigerer und Deserteure aus Kriegsgebieten einzusetzen; ein An­sporn ist, ihren Anspruch auf Anerken­nung ihrer Entscheidung und ihren An­spruch auf ein unbefristetes Bleiberecht einzufordern.

 

Connection e.V., Brüder-Grimm-Str. 63, D-63069 Offenbach, Tel./Fax: 069-845016

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