Der aktuelle Rechtsextremismus als Phänomen der gesellschaftlichen Mitte

Ab durch die Mitte!

von Anne Broden

Der aktuelle Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland ist männlich, jung und ostdeutsch. Soweit die Wahrnehmung (und ein beliebtes Vorurteil) eines gesellschaftlichen Phänomens, die durch gewalttätige Angriffe eben dieser jungen, ostdeutschen Männer auf Migranten, Schwarze Deutsche und Obdachlose geprägt wird, und in politischen, medialen und zivilgesellschaftlichen  - vorzugsweise westdeutschen - Kreisen immer wieder gerne als die reine Lehre verkauft wird. Die Unterscheidung von rechtsextremen Einstellungen und entsprechenden Verhaltensweisen sowie neues empirisches Datenmaterial machen allerdings deutlich, dass der Rechtsextremismus kein Phänomen des extremen gesellschaftlichen Randes oder junger ostdeutscher Männer ist, sondern einem zunehmend größeren Einstellungspotenzial der Bevölkerung entspricht. Ein Aspekt, den es zu bedenken gilt, wollen zivilgesellschaftliche Akteure gegen Rechtsextremismus Erfolg versprechend vorgehen.

Einige empirische Anhaltspunkte
Um sich dem Phänomen des aktuellen Rechtsextremismus zu nähern und um seiner Bedeutung auf die Spur zu kommen, ist es notwendig, zwischen rechtsextremem Verhalten und rechtsextremen Einstellungen zu unterscheiden. Zum rechtsextremen Verhalten zählen z. B. das Wählen entsprechender Parteien, die Teilnahme an Aufmärschen, die Mitgliedschaft in rechtsextremen Cliquen und Kameradschaften sowie Angriffe auf Personen.  Rechtsextreme Einstellungen sind Rassismus und Antisemitismus, Nationalismus, Autoritarismus, Sozialdarwinismus sowie die Verharmlosung, Leugnung oder gar Legitimierung der Shoah. Zum rechtsextremen Verhalten zählen z. B. das Wählen entsprechender Parteien, die Teilnahme an Aufmärschen, die Mitgliedschaft in rechtsextremen Cliquen und Kameradschaften sowie Angriffe auf Personen. Aber nicht nur diese Merkmale machen eine rechtsextreme Gesinnung deutlich. Die Befürwortung einer Diktatur als politisches System, sozialdarwinistische Einstellungen (Survival of the Fittest) und die Verharmlosung des Nationalsozialismus sind hier ebenfalls zu nennen (vgl. Stöss 2007: 61). Während männliche, oftmals ostdeutsche Jugendliche wegen ihrer Angriffe auf Migranten, Schwarze Deutsche, Obdachlose und Schwule in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, finden sich insbesondere bei älteren Menschen problematische Einstellungen, die aber im gesellschaftlichen Diskurs allzu oft als „normal“ oder als unerheblich eingestuft werden. Die jüngst veröffentlichte Studie von Oliver Decker und Elmar Brähler (2008: 20f.) ergibt folgendes Bild: 31,3 Prozent der Befragten sind der Auffassung, Ausländer würden nur nach Deutschland kommen, um den Sozialstaat auszunutzen; 31, 8 Prozent stimmen der Aussage zu, die Bundesrepublik sei „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“.

Eine bereits im Herbst 2006 erhobenen Repräsentativbefragung von 4.872 Deutschen (Decker 2008: 48f) erbrachte folgende Zustimmungen („überwiegend“ und „voll und ganz“): 26,1% der Befragten stimmt der Aussage „[w]as Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“ zu; 39,5 % waren mit dem Satz „[w]ir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“ einverstanden und 39,1% waren der Meinung „[d]ie Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet.“ Dazu bemerkt Klaus-Peter Hufer: „Wenn wir uns lediglich an rechtsextremen Parteien orientieren, NPD und DVU, schauen wir nur auf die kleine erkennbare Spitze eines immens großen und abgründigen Eisbergs“ (Hufer 2009:3).

Wie die Erhebungen zeigen, sind rechtsextreme Orientierungen weder Einzelfälle noch Phänomene bestimmter subkultureller Milieus oder Altersklassen noch ein Phänomen, das sich auf Ostdeutschland beschränken ließe.

Die Attraktivität des aktuellen Rechtsextremismus
Die Attraktivität der rechtsextremen Szenen lässt sich in verschiedener Hinsicht beschreiben:

Überall dort, wo zivilgesellschaftliche Strukturen nicht oder nicht im ausreichenden Maße vorhanden sind (Ostdeutschland, ländlicher Raum) oder durch Einsparungen bei der Kinder-und Jugendhilfe sukzessiv abgebaut werden, wird den rechtsextremen Szenen das Feld überlassen: Dass Familienfeste der NPD mit Hüpfburgen und Grillwurst in Ostdeutschland zum gewöhnlichen Wochenendszenario gehören und auch gerne besucht werden, ist nicht nur als Indiz einer zumindest politisch unsensiblen Bevölkerung zu interpretieren, die keine oder nur wenig Irritation oder gar Abwehr diesen menschenverachtenden Parteien entgegen bringt. Das Problem sollte m. E. nicht auf diese Weise individualisiert werden. Vielmehr müssen zivilgesellschaftliche Akteure und vor allem die politisch Verantwortlichen angesichts der geringen Präsenz von demokratischen und zivilgesellschaftlichen Angeboten aufschrecken. Wenn Jugendliche darauf hinweisen, dass sie sich von rechtsextremen Cliquen und Kameradschaften haben einfangen lassen, weil sie nicht wussten, wo sie ansonsten in ihrem Dorf oder ihrer Kleinstadt hätten Freizeitangebote finden können, so wird damit ein zunehmendes Defizit der Jugendarbeit angesprochen. Dieses Defizit wird von rechtsextremen Organisationen ausgenutzt.

Darüber hinaus bietet die rechtsextreme Ideologie einfache Antworten auf sehr komplexe gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Problemlagen. Es sind immer „die Ausländer“ schuld, egal, ob gerade die fehlenden Arbeitsplätze, der unzureichende Wohnraum oder der „Mangel an Frauen“ thematisiert werden. Diese Antwort erscheint für alle Lebenslagen schlüssig, verlagert die Verantwortung nach außen und übernimmt somit eine entlastende Funktion.

Gesellschaftlicher Diskurs
Rechtsextreme Diskurse sind gesellschaftlich an­schlussfähig. Rechtsextreme profitieren von den medialen, (partei-)politischen und alltagsweltlichen Diskursen. Die Schlagzeilen und Bilder vom „vollen Boot“ und den sog. „Scheinasylanten“, die De­batten im Parlament um den sog. „Asylkompro­miss“, die Gespräche am Gartenzaun und beim sonntäglichen Familientreffen, in denen immer wie­der darauf verwiesen wurde, dass „Deutschland nicht die ganze Welt aufnehmen könne“, gip­fel­ten 1992 in einer Belagerung und in Angriffen des Asylbewerberheims in Rostock-Lichtenhagen. Es waren aber nicht nur die rassistischen Täterinnen und Täter, die aggressivste Drohungen aussprachen und Molotowcocktails warfen, es war vor allem die Pogromstimmung angesichts der Beifall klatschenden Bürgerinnen und Bürger aus der „Mitte der Gesellschaft“, die so erschütternd waren. In Rostock-Lichtenhagen wurde deutlich, dass Migrantinnen und Migranten in der Bundesrepublik Deutschland alles zu befürchten haben. Die Rechtsextremen hatten über die demokratische Zivilgesellschaft gesiegt.

In der Bundesrepublik Deutschland wird in Bezug auf die hier lebenden Menschen beständig mit zweierlei Maß gemessen. Was den Mehrheitsangehörigen zuge­billigt wird, dürfen sich Migrantinnen und Migranten oder Schwarze Deutsche noch lange nicht herausnehmen:

Werden Kinder von „deutschen“ Müttern und Vätern sexuell misshandelt, geprügelt, vernachlässigt oder ermordet, so hat das soziale Sicherungs­system (Jugendamt etc.) versagt. Niemand kommt auf die Idee, die christliche Religion, der die Eltern womöglich angehören, die sie zumindest ethisch geprägt haben soll, als rückständig, kinderfeindlich und unaufgeklärt zu titulieren.

Als im Frühjahr 2007 Mitarbeiter eines christlichen Verlags in der Türkei ermordet wurden, wurde die­se Tat von vielen Kommentatoren als Indiz dafür gewertet, dass die Türkei nicht bereit sei für eine Aufnahme in die EU. Es wurde jedoch niemals die EU-Tauglichkeit Deutschlands infrage gestellt, als im Mai 1993 in Solingen fünf türkischstämmige Mi­grantinnen ermordet wurden oder im August 2007 in Mügeln ein Pogrom verübt wurde, bei dem glücklicherweise niemand ums Leben kam.

Wenn Wolfgang Huber, Bischof von Berlin und Rats­vorsitzender der Evan­gelischen Kirche in Deutsch­land, im Gespräch mit deutschen oder zumindest in Deutschland lebenden Muslimen die Religionsfreiheit in der Türkei thematisiert und das Engagement der Muslime für eben diese Religionsfreiheit in der Türkei fordert, so kommt dies einer rhetorischen Ausbürgerung gleich. Warum wird ein deutscher Muslim auf die Türkei hin befragt? Warum wird seine Integrität an den Verhältnissen in der Türkei gemessen (vgl. Broden 2007) ?

Die Dichotomisierung der Gesellschaft in ein dazugehöriges Wir und ein nicht-dazugehöriges Sie ist die gesellschaftsfähige rassistische Basis, an die sich die rechtsextreme Ideologie anschmiegt.

 

Literatur
Broden, Anne (2007): Normalität des Rassismus: Messen mit zweierlei Maß, in: IDA-NRW (Hg.): Überblick 2/2007, 9 - 13

Decker, Oliver/Brähler, Elmar (2008): Bewegung in der Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2008 mit einem Vergleich von 2002 bis 2008 und der Bundesländer, Berlin, http://library.fes.de/pdf-files/do/05864.pdf  (10. Februar 2009)

Decker, Oliver u. a. (2008): Ein Blick in die Mitte. Zur Entstehung rechtsextremer und demokratischer Einstellungen in Deutschland, Berlin

Hufer, Klaus-Peter (2009): Rechtsextremismus und Pädagogik - Über Grenzen und Möglichkeiten pädagogischer Intervention. Vortrag gehalten am 21. Januar 2009 bei der Tagung des Landesjugendamtes Rheinland zum Thema „Jugend und Rechtsextremismus. Erklärungen und pädagogische Handlungsperspektiven“, Online bei http://www.lvr.de/jugend/service/publikationen/internet.htm .

IDA-NRW (Hg.)(2005): Ab durch die Mitte? Neue Tendenzen des aktuellen Rechtsextremismus, Materialien zum Rechtsextremismus, Bd. 7, Düsseldorf

Stöss, Richard (2007): Rechtsextremismus im Wandel, Berlin,

http://library.fes.de/pdf-files/do/05227.pdf  (10. Februar 2009)

 

Kontakt
Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen (IDA-NRW)

Volmerswerther Straße 20, 40221 Düsseldorf

Telefon: 02 11 / 15 92 55 5

info [at] ida-nrw [dot] de, www.ida-nrw.de

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Schwerpunkt
Anne Broden ist Projektleiterin des Informations- und Dokumentationszentrums für Antiras-sismusarbeit in Nordrhein-Westfalen (IDA-NRW). Die thematischen Schwerpunkte dieser Fachstelle zur Qualifizierung von MultiplikatorInnen der Jugend(sozial)arbeit und LehrerInnen sind der pädagogische Umgang mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und der Migrationsgesellschaft.