Afghanistan-Proteste in Bonn

von Reiner Braun

Vier Tage voller Aktionen gegen den sog. „Petersberg 2 Gipfel“ in Bonn vom 3. - 5. 12. 2011 haben die Vielfalt, Pluralität und Intensität des Protestes gegen den Krieg in Afghanistan erneut gezeigt. Es begann mit der Besetzung der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) als Protestaktion gegen die zivil-militärische Zusammenarbeit im Krieg in Afghanistan und endete mit einer Protestschifffahrt auf dem Rhein am Montag. Dazwischen lagen die Demonstration und der Kongress.

Die Bundesweite Demonstration
von ca. 4.500 TeilnehmerInnen, unterstützt durch eine große internationale Beteiligung. Auch wenn die TeilnehmerInnenzahl nicht zufriedenstellen kann, verdeutlichte diese Demonstration doch den nationalen und internationalen Protest der Friedensbewegung und hat durch die Unterstützung von ver.di auch eine neue politische Zusammenarbeit manifestiert.

Intensiv diskutiert wurde vor, auf und nach der Demonstration das Mitwirken von Christian Ströbele von den Grünen. Zu dem Eierwurf ist auf der Demonstration alles gesagt worden.

Es bleibt die Diskussion um die Strategie.

Ich werde mich immer bemühen, Minderheitspositionen in den Parteien zu stärken und mitzuhelfen, daraus Mehrheitspositionen zu machen, weil es ja darum geht, gesellschaftliche Kräftekonstellationen insgesamt zu verändern. Wir haben es in den 80er Jahren, salopp gesagt, durchaus geschafft, aus einer Minderheitsposition der Sozialdemokratie, bei denen die ersten Antikriegsgegner sogar noch ausgeschlossen wurden - einige werden sich an die Namen Manfred Coppik und Karl-Heinz Hansen noch erinnern - einen Mehrheitsbeschluss für den Ausstieg aus der Raketenstationierung zu erreichen. Wir sollten uns daher auch in Zukunft immer bemühen, Neinsagerpositionen zu stärken und zu unterstützen, um sie zu Mehrheitspositionen umzuwandeln. Wenn Christian Ströbele schon im Bundestag nicht mehr reden darf, weil die Mehrheit der Fraktion ihn seit zehn Jahren zu diesem Thema nicht mehr sprechen lässt, dann sollte er, auch wenn ich übrigens nicht alle Positionen und Argumente von Herrn Ströbele teile, auf unserer Demonstration durchaus die Möglichkeit erhalten, seine Antikriegsposition darzulegen.

Internationaler Anti-Kriegs- und Friedenskongress
Dies war ein in seiner Vielfalt und Breite bisher einmaliger Friedens- und Anti-Kriegs-Kongress zu Afghanistan. TeilnehmerInnen aus 17 Ländern und eine große Beteiligung von Afghaninnen und Afghanen gaben ihm eine große Ausstrahlungskraft, auch ein besonderes Flair der Solidarität und des gemeinsamen Verständnisses, bei durchaus vorhandenen politischen Unterschieden.

Ereignisreiche Tage für ein breites deutsches Protestbündnis, dem die Friedens- und Anti-Kriegsbewegung unseres Landes in einer großen Breite und über das Netzwerk „No to war – No to NATO“ auch eine internationale Koalition angehörte. Kritisch bleibt zu bemerken, dass nicht alle Teile der Friedensbewegung sich mit dem Ereignis angemessener Intensität an der Vorbereitung und Durchführung beteiligt haben.

Wer mehr lesen und sehen will über die Bunte und Vielfalt der Aktionen findet dieses auf der Webseite www.afghanistanprotest.de. Diese werden wir auch nach dem Ende der Aktionen als Informationswebseite zu Afghanistan-Protesten weiterführen.

Grenzen der Friedensbewegung
Die Aktionen haben auch Fragen aufgeworfen, die wir gemeinsam weiter diskutieren sollten:

Es bleibt die Kernfrage: Mehr als 10 Jahre Krieg, und die Friedensbewegung ist nicht in der Lage, Menschen in großem Umfang gegen den Krieg zu mobilisieren.

Wir können mit der Teilnehmerzahl auch dieser Demonstration nicht zufrieden sein. Wir wissen, und das hat die Demonstration noch einmal gezeigt, wie schwierig die Mobilisierung zum Themenkomplex Afghanistan ist. Die Unsicherheit, die es in großen Teilen der Bevölkerung auch bei antikriegseingestellten Menschen gibt, ob nicht doch etwas an dem Gerede von humanitärer Intervention und Menschenrechtsverteidigung dran ist, wirkt nicht in der Hinsicht, dass die Menschen den Krieg unterstützen, wirkt aber durchaus so, dass eine aktive Teilnahme an Protestveranstaltungen leider doch immer gering ist.

Es gibt des Weiteren – bzw. zumindest wird es so wahrgenommen - weniger direkte Betroffenheit bei vielen Menschen, die oft Auslöser für aktives Handeln ist.

Die Friedensbewegung ist nicht mehr so ein verankerter integrativer Teil der deutschen Bevölkerung, besonders bei den jungen Menschen, wie die westdeutsche Friedensbewegung es in den 1980er Jahren war. Da waren die Friedensinitiativen ganz nah bei den Menschen durch die sehr starke Stadtteilorientierung. Die berufsbezogenen Friedensinitiativen waren ungleich stärker in den wissenschaftlichen und anderen Institutionen verwurzelt. Es gibt inzwischen eine stärkere Separierung von Aktiven und ihrem gesellschaftlichen Background. Des Weiteren ist unübersehbar, dass die Friedensbewegung nach wie vor ein Generationenproblem hat. Die nachfolgende Generation wächst sehr (viel zu) langsam in die Verantwortung hinein.

Es gibt noch einen weiteren Grund, den ich so zusammenfassend den neoliberalen Individualismus nennen möchte. Dieser wirkt sich auch auf die Notwendigkeit organisierter Strukturen und gemeinsamen solidarischen Handelns negativ aus, und darunter leidet nicht nur die Friedensbewegung.

Ob wir immer schnell und aktiv genug die neuen Kommunikationsformen aufgenommen haben, bedarf sicher einer intensiven Diskussion.

Vielleicht wurde auch von vielen Friedensbewegten die Regierungskonferenz in Afghanistan nicht für so wichtig erachtet, sich einzumischen und zu demonstrieren. Das materielle Ergebnis der Konferenz gibt dieser Einschätzung sogar Recht, verkennt aber, dass Änderungen nur über den massiven Protest erreicht werden können.

Dies bleibt die Aufgabe der Zukunft.

Eine Aufgabe der nahen Zukunft ist die Intensivierung der Zusammenarbeit gegen den Krieg mit der afghanischen Zivilgesellschaft in Europa und die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den entwicklungspolitischen Gruppierungen, besonders mit Venro.

Die Zusammenarbeit mit der sehr heterogenen afghanischen Community ist sicher nicht einfach, aber eine riesige Chance – auch kulturell.

Wir sollten mit allen afghanischen Gruppierungen zusammenarbeiten, die gegen den Krieg sind. Ich habe es bewusst so breit formuliert und habe nicht gesagt, dass das nur für diejenigen gilt, die den sofortigen Abzug fordern, weil es da auch noch Schattierungen gibt. Wir wollen die Diskussion mit diesen Gruppierungen fortsetzen, wohl wissend, dass dies nicht einfach ist, was sich auf der Konferenz auch widerspiegelte. Das ist kulturell, historisch und von unterschiedlichen Erfahrungen bedingt. Vereinbart haben wir auf dem Kongress, eine gemeinsame internationale afghanische Friedenskonferenz im nächsten Jahr durchzuführen. 

Ein spannender Prozess hat begonnen. Lasst ihn uns durch gemeinsame (auch große) Aktionen verstärken.

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Reiner Braun war Geschäftsführer der IALANA Deutschland und ist ehem. Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB).