Zur Diskussion über eine BRD ohne Armee

Aktion BoA 2000 - Bundesrepublik ohne Armee

von Ulrich StadtmannPaul Russmann

Seit 1982 existiert die "Gruppe für eine Schweiz ohne Armee" (GSoA). In den Jahren 1985/86 gelang es ihr, über 100.000 Unterschriften zu sammeln für eine Volksabstimmung über die Forderung: "Für eine Schweiz ohne Armee und für eine umfassende Friedenspolitik". Voraussichtlich im September dieses Jahres werden deshalb die wahlberechtigten Schweizerinnen darüber abstimmen, ob sie die Schweizer Armee abschaffen wollen.
Diese Idee aufgreifend, stellen die Autoren des folgenden Beitrags die Aktion BoA (Bundesrepublikohne Armee) 2000 vor.

Die Schweizer Friedensbewegung ist unserer Meinung nach gegenüber der bundesdeutschen in einem Punkt um Jahre voraus: In der Schweiz gelang es, die Utopie der Abschaffung der Armee einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Sicherlich wird sich noch keine Mehrheit für die Forderung finden, doch ist der erste Schritt zur Verwirklichung dieser Forderung getan, indem der Gedanke öffentlich diskutiert wird. Diesen ersten Schritt müssen wir in der BRD erst noch gehen.

Die politischen Rahmenbedingungen sind günstig
Folgende politische Rahmenbedingungen sprechen dafür, eine Aktion "BRD ohne Armee" zu initiieren:

  • Aufgrund von "Glasnost" und "Perestroika" in den osteuropäischen Staaten fühlen sich zwei Drittel der bundesdeutschen Bevölkerung nicht mehr von unseren Nachbarn im Osten bedroht (L'Express v. 25. 11. 88). Die Bundeswehr kann nicht mehr mit den alten Feindbildern legitimiert werden.
  • Die Politik der militärischen Stärke verliert an Akzeptanz: So glauben u. a. schon fast ein Drittel der Bevölkerung, daß die militärische Abschreckung für unsere Sicherheit nicht notwendig ist (FAZ, 22. 7. 88).
  • Gut ein Drittel der Bevölkerung wünscht den Abzug aller amerikanische Truppen (L'Express, 25. 1. 88).
  • Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer steigt "in besorgniserregendem Maße" (Rupert Scholz in "Marine", Nr.12/88).
  • In der Friedensbewegung und -forschung verstärkt sich die Diskussion über die "Absage an jede militärische Verteidigungsfähigkeit." Sie geht über die Absage an die "Abschreckungspolitik" hinaus und weist darauf hin, daß angesichts der Gefährlichkeit konventioneller Waffen und der Verletzbarkeit der modernen Industriekultur für die Lebensinteressen des Volkes überhaupt nichts mehr militärisch zu verteidigen ist (Stichwort: "Strukturelle Kriegsunfähigkeit der modernen Industriegesellschaft", vgl. Mechtild Jansen in: Rundbrief der Friedensbewegung 7/88, S. 12.). Als Kernelement einer friedenspolitischen Alternative fordert die Sprecherin des Koordinierungsausschusses der Friedensbewegung, "die Entmilitarisierung, die Beseitigung aller Waffen, die Befreiung der Köpfe und Herzen, des Lebens der Gesellschaften von Militarisinus." (ebda.)

Aufgrund dieser Rahmenbedingungen sind wir davon überzeugt, daß es möglich ist, innerhalb der nächsten Jahre eine Bewegung für die Entmilitarisierung der BRD zu initiieren. Zu diesem Zwecke bedarf es eines institutionellen Rückgrates. Unser Interesse ist es, daß der "Bund für Soziale Verteidigung" dazu genutzt wird. Er könnte zum Zusammenschluß all derer werden, die für die Abschaffung des Militärs eintreten, zumal der Bund sich zum Ziel gesetzt hat, das Militär abzuschaffen, Es sollte eine Massenorganisation entstehen, in der nicht nur Friedensgruppen mitmachen, sondern auch "Eine-Welt- und ökologiegruppen, die von der Überflüssigkeit des Militärs überzeugt sind. Ein solcher Zusammenschluß könnte die Kraft entwickeln, die imstande ist, durch offensive Öffentlichkeitsarbeit langfristig Mehrheiten für eine Bundesrepublik ohne Armee zu gewinnen.

Ein Vorschlag zur Strategie
Die Aktion BoA 2000 sollte unseres Er¬achtens folgendermaßen vorgehen:
In einem ersten Schritt muß Öffentlichkeit geschaffen werden! In der BRD ist es zwar (noch) nicht möglich, eine Volksabstimmung über das Militär durchzuführen. Doch gibt es auch hier zahlreiche Möglichkeiten, viele Menschen auf das Thema "BRD ohne Armee" anzusprechen und eine öffentliche Diskussion auszulösen. Z.b. werden in Marburg seit Herbst 1988 Unterschriften für einen Bürgerlnnenantrag au der Rat der Stadt gesammelt, der das Problem der Wohnungsnot verknüpft mit der Forderung nach Abschaffung des Militärs. Der Antrag lautet wörtlich:
'Wir beantragen die Schließung der Jägerkaserne zwecks Umgestaltung in studentischen Wohnraum. Wir betrachten dies als einen ersten Schritt zur Abschaffung sämtlicher militärischer Einrichtungen in Marburg und zur Beseitigung des chronischen Wohnraummangels In Marburg. Die eingesparten Militärausgaben sollen in Zukunft der Stadt Marburg zugeführt werden für sinnvolle Projekte im sozialen Bereich und im Umweltschutz."
So gelingt es, Gespräche über den Unsinn des Militärs zu führen. Das Stadtparlament muß sich mit der Forderung beschäftigen. Im Forderungskatalog der streikenden Studierenden war sie enthalten. In einem zweiten Schritt sollten in zunehmendem Maße auch Aktionen des Zivilen Ungehorsams zum Zuge kommen, z.B. Manöverbehinderungen und andere direkte gewaltfreie Aktionen gegen das Militär.

Von der Notwendigkeit einer gewaltfreien Widerstandskultur
Es ist notwendig, eine gewaltfreie Widerstandskultur zu entwickeln. Denn gerade auch in einer Situation, in der eine zu gewinnende Bevölkerungsmehrheit für die Abschaffung des Militärs ist, besteht die Gefahr, daß "rechte" Kreise in der BRD sich "ihre" Bundeswehr nicht abschaffen lassen wollen und vielleicht sogar putschen. Diese Widerstandskultur muß so entwickelt sein, daß glaubhaft signalisiert werden kann, daß ein Putsch am Widerstand, an der Nichtzusammenarbeit der Bevölkerungsmehrheit mit den Putschisten scheitert. Eine gewaltfreie Widerstandskultur (Soziale Verteidigung) sowie Kontakte und Zusammenarbeit mit den internationalen Friedensbewegungen sind notwendig, um militärische Interventionen anderer NATO-Staaten auszuschließen, die möglich sind, wenn der Wunsch nach einer Abschaffung der Armeen in der BRD schneller Wirklichkeit wird als in den übrigen NATO-Staaten.
Die Forderung nach der BRD ohne Armee löst Ängste und Fragen aus, die weiter diskutiert werden müssen, um eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben: Kann jede/r es sich vorstellen, ohne militärischen "Schutz" zu leben? Was heißt "Sicherheit" in unserer gegenwärtigen Situation? Ist ein Staat ohne Militär überhaupt ein Staat oder - sollte er einer sein? Kann ein Staat aufs Militär verzichten und gleichzeitig z.B. in der UNO Einfluß ausüben? Welche (noch zu schaffenden) Werte sind in der BRD verteidigenswert und -fähig? Gegen wen müssen diese Werte verteidigt werden? Welche Auswirkungen hat eine BRD ohne Armee auf die europäischen Nachbarn? 

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Ulrich Stadtmann ist im Vorstand des Bundes für soziale Verteidigung. (BSV)