Eine Woche vor Ostern rufen wir mit unserem Aufruf "Kriege stoppen - Frieden und Abrüstung jetzt! " in mehreren Zeitungen zur Teilnahme an den Ostermärschen 2025 auf. Hilf auch du mit bei der Mobiliserung!
Tag der Menschenrechte in Worms:
Aktion gegen Abschiebehaft
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Ein Initiativkreis von mehreren Personen, die dem Komitee für Grundrechte und Demokratie nahestehen, hatten zum Zivilen Ungehorsam gegen die Abschiebehaft aufgerufen: das Wormser Abschiebegefängnis, ein umfunktioniertes Bundeswehrgebäude mit Plätzen für 48 Abschiebe-häftlinge in 8 Zellen, sollte symbolisch entzäunt werden. In einem Aufruf zu dieser Aktion hatten die InitiatorInnen auf den Skandal der Abschiebehaft und die menschenunwürdige Abschiebepraxis hingewiesen.
Innerhalb von sechs Wochen unterschrieben über 800 Bürgerinnen und Bürger den Aufruf zur Entzäunungsaktion und zeigten damit zugleich ihre Bereitschaft, notfalls auch ein Verfahren wegen Aufrufs zu einer Straftat (_ 111 StGB) in Kauf zu nehmen.
Nachdem der Aufruf fast vollständig in der Frankfurter Rundschau dokumentiert worden war und auch in mehreren den sozialen Bewegungen nahestehenden Zeitungen abgedruckt war, reagierte die Staatsanwaltschaft Bonn mit Hausdurchsuchungen bei zwei der Initiatoren und der Beschlagnahme aller Originalaufrufunterschriften und weiterer aktionsbezogener Materialien bis hin zu einem Computer. Über die sofort eingelegten Beschwerden der Betroffenen hat das Bonner Amtsgericht bislang noch nicht entschieden.
Ein weiterer "Hammer" folgte kurz darauf - 4 Tage vor der Aktion - : die offiziell angemeldete Demonstration in Worms wurde von einer Verbots- und Auflagenverfügung der Stadt Worms in allen wesentlichen Bestandteilen verboten. Der Auftakt vor dem Amtsgericht (hier werden die Abschiebehaftanordnungen ausgestellt), der Weg durch Innenstadt und Judenviertel, der Zugweg zum Abschiebegefängnis selbst und die Abschlußkundgebung vor dem Knast waren verboten worden. Der neu verordnete Weg führte von einem anderen Auftaktort schnurstracks in die Rheinwiesen.
Gegen diese Verbotsverfügung wurde das Verwaltungsgericht Mainz angerufen, das schließlich einen Tag vor der Aktion in vollem Umfang der Stadt Worms recht gab, ohne auch nur auf ein einziges Argument des Widerspruchs einzugehen. Die noch am selben Tag eingelegte Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht Koblenz hatte dann jedoch Erfolg und am Abend vor dem Men-schenrechtstag wussten die Veranstalter, daß sie doch im Wesentlichen den geplanten Demonstra-tionszug durchführen konnten. Lediglich die Abschlusskundgebung war 300 Meter vorverlegt worden.
Am Menschenrechtstag füllte sich dann der Wormser Obermarkt, der Platz vor dem Amtsgericht mit immer mehr DemonstrantInnen, die die verschiedensten phantasievollen Transparente mitgebracht hatten. Mit einer eindrucksvollen Rede eröffnete Elisa Kauffeld, 81jährige Bürgerrechtlerin, die Auftaktkundgebung. Des Weiteren sprachen Wolf-Dieter Narr von der FU Berlin und Michael Henke, MdL/Grüne. Ihre Appelle gegen die herrschende Unrechtspraxis im Asylverfahren und ihre scharfe Kritik der Abschiebehaft stießen auf großen Beifall.
Der Demonstrationszug mit ca. 800 Menschen ging dann durch die Wormser Innenstadt, und an die Passanten wurden vorbereitete Flugblätter verteilt. Nach dem Gang durch das jüdische Viertel gedachten alle TeilnehmerInnen in einem fünfminütigen Schweigen der Opfer der nationalsoziali-stischen Vergangenheit.
Anschließend zog die Demonstration in Richtung Hafenstraße im Industriegebiet, wo der Abschiebeknast ca. 3 km von der Wormser Innenstadt entfernt gelegen ist. Hier sahen sich die DemonstrantInnen nun einem ganz massiven Polizeiaufgebot gegenüber: vier Hundertschaften sicherten das Abschiebegefängnis vor jedem Zugriff. Schlagstöcke und Schilder lagen bereit, außerdem war das ganze Gelände durch Hundeführer umstellt, die - ohne Maulkörbe - neben einem entsetzlichen Gebelle auch eine abschreckende Wirkung verbreiteten. Zunächst wurde die geplante Schlußkundgebung durchgeführt. Joachim Hirsch, Politologe aus Frankfurt, sprach über die Teilung der Welt und die Abschottung der Reichen gegen die Armen. Hanne Vack verlas den Bericht eines algerischen Flüchtlings, der im Mai 1994 in der Wormser Abschiebehaftanstalt gesessen hatte und schon in Algerien mehrfach inhaftiert gewesen war: "Es gab Leute, die schon 3 - 4 Monate inhaftiert waren, aber nicht abgeschoben werden konnten, da die Ausweispapiere fehlten. Es waren Kosovo-Albaner, Inder, Marokkaner, Tunesier, Kurden und Algerier in Worms. Sie werden psychisch und moralisch zu Grunde gerichtet. Man kann das nicht anders benennen. Es ist wie Folter, vor allem für die, die mit Verfolgung rechnen müssen, wenn sie in ihr Heimatland abgeschoben werden. Sie können in Erwartung der Abschiebung und der Gefahr für Leib und Leben kaum dem Druck stand-halten. Ich habe solche Fälle kennengelernt, und ich wäre selbst ein solcher Fall gewesen, wenn ich nicht entlassen worden wäre."
Nach der Kundgebung versuchten die meisten erst einmal durch Protest vor der Polizeiabsperrung ihrem Ziel Ausdruck zu verleihen, zum Knast vorgehen zu wollen und dort die Entzäunung durch-zuführen. Daran war jedoch angesichts dieses immensen Polizeiaufgebotes realistischer Weise kaum noch zu denken. Einige Bezugsgruppen machten sich auf den Weg, um andere Stellen zu finden, die eventuell doch noch ein Durchkommen ermöglichten. An einer Ecke gelang es einer Gruppe, einen von der Polizei zur Absperrung verlegten NATO-Draht zu zerschneiden und auf das abgesperrte Gelände vorzudringen. Hier wurde jedoch auch mit Personalienfeststellung und dem Zurückschieben aus dem Sperrgebiet kurzer Prozess gemacht.
Um dennoch das Ziel der Aktion zu versinnbildlichen, wurde ein selbst mitgebrachter Zaun zerschnitten. Klaus Vack von den InitiatorInnen erklärte den Zaun zum "Symbol der Unmenschlichkeit" und rief dazu auf, Teile dieses Zaunes mitzunehmen und von den Heimatorten aus, versehen mit dem Aktionsaufruf zum Zivilen Ungehorsam gegen die Abschiebehaft, an politisch Verantwortliche und an Bundestagsabgeordnete zu schicken.
Nach einer angemessenen Zeit des Dauerprotestes vor den Polizeiketten wurde die Aktion dann gemeinsam mit dem Rückweg beendet.
Ein kurzes Fazit: Die Resonanz zur Entzäunungsaktion in der Öffentlichkeit war sehr gut: die FR hatte im Vorfeld den Aufruf dokumentiert, Vorberichte gab es u.a. in der taz, der FAZ, der jungen Welt, der Süddeutschen und Wormser Zeitung. Im Nachhinein berichteten verschiedene Radio-sender, Tages- und Landesschau, heute, heute-journal und Tagesthemen, ebenfalls RTL und SAT, Berichte über die Aktion fanden sich u.a. in der FR, der taz, der Wormser Zeitung und etlichen anderen Tageszeitungen, die auf den Menschenrechtstag Bezug nahmen. Ebenfalls war ein Demonstrationstransparent "Abschiebehaft ist eine Schande" als AP-Foto in mehreren Zeitungen. Mit der Aktion ist ein weiterer Schritt zur Dramatisierung in der politisch-öffentlichen Auseinandersetzung um die Abschiebepraxis und insbesondere um die Abschiebehaft gelungen. Ob die Staatsanwaltschaft die Prozesse gegen die 800 AufrufunterzeichnerInnen einleitet, ist bis heute ungewiß, es wür-de erneut dazu beitragen, den Skandal der Abschiebehaft über die Flut der Prozesse in die öffent-liche Auseinandersetzung zu tragen. Und die AufruferInnen würden vor Gericht darum kämpfen, daß ihre Rechtfertigungsgründe aus den Grund- und Menschenrechten heraus weit höher zu gewichten sind als die geplante Sachbeschädigung des Knastzaunes.
Die Auseinandersetzung um eines der schrecklichsten Kapitel unserer gegenwärtigen Republik
- der politische Umgang mit dem Asylrecht und den Asylsuchenden und die menschenrechtswidrige Abschiebepraxis - muss weitergehen!