Tag der Menschenrechte in Worms:

Aktion gegen Abschiebehaft

von Martin Singe
Initiativen
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Ein Initiativkreis von mehreren Personen, die dem Komitee für Grund­rechte und Demokratie nahestehen, hatten zum Zivilen Ungehorsam gegen die Abschiebehaft aufgerufen: das Wormser Abschiebegefäng­nis, ein umfunktioniertes Bundeswehrgebäude mit Plätzen für 48 Ab­schiebe-häftlinge in 8 Zellen, sollte symbolisch entzäunt werden. In ei­nem Aufruf zu dieser Aktion hatten die InitiatorInnen auf den Skandal der Abschiebehaft und die menschenunwürdige Abschiebepraxis hin­gewiesen.

Innerhalb von sechs Wochen unter­schrieben über 800 Bürgerinnen und Bürger den Aufruf zur Entzäunungs­aktion und zeigten damit zugleich ihre Bereitschaft, notfalls auch ein Verfahren wegen Aufrufs zu einer Straftat (_ 111 StGB) in Kauf zu nehmen.

Nachdem der Aufruf  fast vollständig in der Frankfurter Rundschau dokumen­tiert worden war und auch in mehreren den sozialen Bewegungen nahestehen­den Zeitungen abgedruckt war, reagierte die Staatsanwaltschaft Bonn mit Haus­durchsuchungen bei zwei der Initiatoren und der Beschlagnahme aller Origi­nalaufrufunterschriften und weiterer aktionsbezogener Materialien bis hin zu einem Computer. Über die sofort  ein­gelegten Beschwerden der Betroffenen hat das Bonner Amtsgericht bislang noch nicht entschieden.

Ein weiterer "Hammer" folgte kurz dar­auf - 4 Tage vor der Aktion - : die offi­ziell angemeldete Demonstration in Worms wurde von einer Verbots- und Auflagenverfügung der Stadt Worms in allen wesentlichen Bestandteilen ver­boten. Der Auftakt vor dem Amtsgericht (hier werden die Abschiebehaftanord­nungen ausgestellt), der Weg durch In­nenstadt und Judenviertel, der Zugweg zum Abschiebegefängnis selbst und die Abschlußkundgebung vor dem Knast waren verboten worden. Der neu ver­ordnete Weg führte von einem anderen Auftaktort schnurstracks in die Rhein­wiesen.

Gegen diese Verbotsverfügung wurde das Verwaltungsgericht Mainz angeru­fen, das schließlich einen Tag vor der Aktion in vollem Umfang der Stadt Worms recht gab, ohne auch nur auf ein einziges Argument des Widerspruchs einzugehen. Die noch am selben Tag eingelegte Beschwerde vor dem Ober­verwaltungsgericht Koblenz hatte dann jedoch Erfolg und am Abend vor dem Men-schenrechtstag wussten die Veran­stalter, daß sie doch im Wesentlichen den geplanten Demonstra-tionszug durchführen konnten. Lediglich die Ab­schlusskundgebung war 300 Meter vor­verlegt worden.

Am Menschenrechtstag füllte sich dann der Wormser Obermarkt, der Platz vor dem Amtsgericht mit immer mehr De­monstrantInnen, die die verschiedensten phantasievollen Transparente mitge­bracht hatten. Mit einer eindrucksvollen Rede eröffnete Elisa Kauffeld, 81jährige Bürgerrechtlerin, die Auftaktkundge­bung. Des Weiteren sprachen Wolf-Dieter Narr von der FU Berlin und Mi­chael Henke, MdL/Grüne. Ihre Appelle gegen die herrschende Unrechtspraxis im Asylverfahren und ihre scharfe Kri­tik der Abschiebehaft stießen auf großen Beifall.

Der Demonstrationszug mit ca. 800 Menschen ging dann durch die Wormser Innenstadt, und an die Passanten wurden vorbereitete Flugblätter verteilt. Nach dem Gang durch das jüdische Viertel gedachten alle TeilnehmerInnen in ei­nem fünfminütigen Schweigen der Op­fer der nationalsoziali-stischen Vergan­genheit.

Anschließend zog die Demonstration in Richtung Hafenstraße im Industriege­biet, wo der Abschiebeknast ca. 3 km von der Wormser Innenstadt entfernt gelegen ist. Hier sahen sich die Demon­strantInnen nun einem ganz massiven Polizeiaufgebot gegenüber: vier Hun­dertschaften sicherten das Abschiebege­fängnis vor jedem Zugriff. Schlagstöcke und Schilder lagen bereit, außerdem war das ganze Gelände durch Hundeführer umstellt, die - ohne Maulkörbe - neben einem entsetzlichen Gebelle auch eine abschreckende Wirkung verbreiteten. Zunächst wurde die geplante Schluß­kundgebung durchgeführt. Joachim Hirsch, Politologe aus Frankfurt, sprach über die Teilung der Welt und die Ab­schottung der Reichen gegen die Ar­men. Hanne Vack verlas den Bericht ei­nes algerischen Flüchtlings, der im Mai 1994 in der Wormser Abschiebehaftan­stalt gesessen hatte und schon in Alge­rien mehrfach inhaftiert gewesen war: "Es gab Leute, die schon 3 - 4 Monate inhaftiert waren, aber nicht abgeschoben werden konnten, da die Ausweispapiere fehlten. Es waren Kosovo-Albaner, In­der, Marokkaner, Tunesier, Kurden und Algerier in Worms. Sie werden psy­chisch und moralisch zu Grunde ge­richtet. Man kann das nicht anders be­nennen. Es ist wie Folter, vor allem für die, die mit Verfolgung rechnen müssen, wenn sie in ihr Heimatland abgeschoben werden. Sie können in Erwartung der Abschiebung und der Gefahr für Leib und Leben kaum dem Druck stand-hal­ten. Ich habe solche Fälle kennenge­lernt, und ich wäre selbst ein solcher Fall gewesen, wenn ich nicht entlassen worden wäre." 

Nach der Kundgebung versuchten die meisten erst einmal durch Protest vor der Polizeiabsperrung ihrem Ziel Aus­druck zu verleihen, zum Knast vorgehen zu wollen und dort die Entzäunung durch-zuführen. Daran war jedoch ange­sichts dieses immensen Polizeiaufgebo­tes realistischer Weise kaum noch zu denken. Einige Bezugsgruppen machten sich auf den Weg, um andere Stellen zu finden, die eventuell doch noch ein Durchkommen ermöglichten. An einer Ecke gelang es einer Gruppe, einen von der Polizei zur Absperrung verlegten NATO-Draht zu zerschneiden und auf das abgesperrte Gelände vorzudringen. Hier wurde jedoch auch mit Personalienfeststellung und dem Zurückschieben aus dem Sperrgebiet kurzer Prozess ge­macht.

Um dennoch das Ziel der Aktion zu ver­sinnbildlichen, wurde ein selbst mitge­brachter Zaun zerschnitten. Klaus Vack von den InitiatorInnen erklärte den Zaun zum "Symbol der Unmenschlichkeit" und rief dazu auf, Teile dieses Zaunes mitzunehmen und von den Heimatorten aus, versehen mit dem Aktionsaufruf zum Zivilen Ungehorsam gegen die Ab­schiebehaft, an politisch Verantwortli­che und an Bundestagsabgeordnete zu schicken.

Nach einer angemessenen Zeit des Dau­erprotestes vor den Polizeiketten wurde die Aktion dann gemeinsam mit dem Rückweg beendet.

Ein kurzes Fazit: Die Resonanz zur Ent­zäunungsaktion in der Öffentlichkeit war sehr gut: die FR hatte im Vorfeld den Aufruf dokumentiert, Vorberichte gab es u.a. in der taz, der FAZ, der jun­gen Welt, der Süddeutschen und Worm­ser Zeitung. Im Nachhinein berichteten verschiedene Radio-sender, Tages- und Landesschau, heute, heute-journal und Tagesthemen, ebenfalls RTL und SAT, Berichte über die Aktion fanden sich u.a. in der FR, der taz, der Wormser Zeitung und etlichen anderen Tageszei­tungen, die auf den Menschenrechtstag Bezug nahmen. Ebenfalls war ein De­monstrationstransparent "Abschiebehaft ist eine Schande" als AP-Foto in mehreren Zeitungen. Mit der Aktion ist ein weiterer Schritt zur Dra­matisierung in der politisch-öffentlichen Auseinandersetzung um die Abschiebe­praxis und insbesondere um die Ab­schiebehaft gelungen. Ob die Staatsan­waltschaft die Prozesse gegen die 800 AufrufunterzeichnerInnen einleitet, ist bis heute ungewiß, es wür-de erneut dazu beitragen, den Skandal der Ab­schiebehaft über die Flut der Prozesse in die öffent-liche Auseinandersetzung zu tragen. Und die AufruferInnen würden vor Gericht darum kämpfen, daß ihre Rechtfertigungsgründe aus den Grund- und Menschenrechten heraus weit höher zu gewichten sind als die geplante Sachbeschädigung des Knastzaunes.

Die Auseinandersetzung um eines der schrecklichsten Kapitel unserer gegen­wärtigen Republik

- der politische Umgang mit dem Asyl­recht und den Asylsuchenden und die menschenrechtswidrige Abschiebepra­xis - muss weitergehen!

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".