Allgemeine Dienstpflicht

von Stefan Phillip
Hintergrund
Hintergrund

Man könnte es sich einfach machen. Alle bislang aufgetauchten Vor­schläge und Überlegungen zur Einführung einer Allgemeinen Dienst­pflicht sind wenig durchdacht, und es hat auch noch niemand einen ernsthaften Vorschlag auf den Tisch gelegt. Man könnte die Dienst­pflicht-Diskussion, die seit Anfang der neunziger Jahre die Gedanken­spiele einzelner PolitikerInnen aus verschiedensten Parteien immer wieder neue Nahrung erhält, deshalb lediglich als Stammtisch-Diskus­sion bezeichnen und damit abtun.

Das Gefährliche an den Stammtisch-Themen ist aber, daß sie gewissermaßen abseits der offiziellen und etablierten Politik-Diskurse eine Eigendynamik entfalten und dann scheinbar plötzlich politisch wirksam werden - so gesche­hen beispielsweise in der Asyl-Debatte, die mit der faktischen Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl endete.

Grund genug also, das Stammtisch-Thema Dienstpflicht ernstzunehmen.

Was sind die Hintergründe der Diskus­sion?

Zum einen ist da das Thema "Wehrgerechtigkeit" zu nennen. Das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht, die von der Verfassung als eine mögli­che Rekrutierungsform für das Militär zugelassen wird (Art. 12a, Abs.1 GG), gebietet es, daß alle Wehrpflicht mög­lichst gleichmäßig zur Dienstleitung - Wehrdienst oder Zivildienst - herange­zogen werden. Das Bundesverfas­sungsgericht hat in seiner KDV-Ent­scheidung vom 13. April 1978 festge­stellt, daß die Durchführung der Wehr­pflicht "unter der Herrschaft des Artikel 3 Ab. 1 GG" stehe, dem Gleichheits­grundsatz also. Es sei deshalb "nicht zulässig, einzelne Wehrpflichtige oder Gruppen von Wehrpflichtigen über die gesetzlich vorgezeichneten Wehr­pflichtausnahmen hinaus - womöglich sogar je nach dem aktuellen Personalbe­darf in von Jahr zu Jahr wechselndem Umfang - von der Wehrdienstleistung grundsätzlich auszunehmen."

Nun war zwar die Wehrpflicht noch nie eine allgemeine - schon immer gab es zahlreiche gesetzlich nicht vorgesehene Befreiungs- und Ausnahmeregelungen. Mit der Reduzierung des Personalum­fangs der Bundeswehr auf unter 370.000 Soldaten, wobei der wehrpflichtigen-Anteil bei unter 40 Prozent liegt, und Jahrgangsstärken von ca. 400.000 jun­gen Männern wurde für eine breitere Öffentlichkeit offensichtlich, daß die Wehrpflicht nicht mehr verfassungsge­mäß durchführen läßt. Übrigens stützt dabei paradoxerweise ausgerechnet eine hohe Zahl von Kriegsdienstverwei­gerern die Wehrpflicht.

In diesem Zusammenhang wurden von einzelnen aus SPD bis CDU/CSU, die aus unterschiedlichsten Grünen an der Wehrpflicht festgehalten wollen, Über­legungen laut, zur Rettung der Wehr­pflicht eine Allgemeine Dienstpflicht einzuführen, deren einer Bestandteil dann die militärische Dienstleistung sein könnte.

Der zweite Begründungszusammen­hang, der als Argument für die Einfüh­rung einer allgemeinen Dienstpflicht vorgetragen wird, ist der sog. "Pflegenotstand". Als im Herbst 1990 wegen der Dienstzeitverkürzung auf einen Schlag ca. 17.000 Zivildienstlei­stende aus dem Dienst entlassen wurde, offenbarte sich für die Öffentlichkeit, in welchem Ausmaß der soziale Bereich auf Zivis und damit eben nicht auf nor­male Arbeitnehmer mit ordentlicher Ar­beitsverträgen, sondern auf unausgebil­dete Hilfskräfte angewiesen ist. Die Al­tersverteilung in der Bundesrepublik ei­nerseits, die in den nächsten Jahrzehnten zunehmend mehr Menschen versor­gungs- und pflegebedürtig werden läßt, und die enge finanzielle Situation ander­seits, mache es notwendig - so die Be­gründung - über eine Allgemeine Dienstpflicht genügend Arbeitskräfte für den sozialen Bereich zur Verfügung zu stellen.

Schließlich, so die dritte Begründungs­schiene, machten die zunemenden Individualisierungs- und Entsolidarisie­rungstendenzen die Einführung einer Allgemeinen Dienstpflicht quasi als volkspädagogische Sozialisationsmaßn­ahme notwendig.

Alle drei Begründungskonzepte werfen dabei richtige Fragestellungen auf, ge­hen aber mit ihrer Antwort am Kern der Ursachen vorbei, weshalb sie auch nicht zur wirklichen Problemlösung geeignet sind.

Die Wehrpflicht wurde in den fünfziger Jahren deshalb eingeführt, weil keine andere Rekrutierungsform eine Perso­nalstärke von 500.000 Soldaten, wie sie aus militärischer Sicht im Rahmen der Blockkonfronation für notwendig ge­halten wurde, ermöglicht hätte, diese Begründung ist heute, da die Bundes­republik von Freunden und "sicheren Drittstaaten" umzingelt ist, endgültig entfallen, und selbst die offizielle Politik geht ja von einer wesentlich geringeren notwendigen Personalstärke - derzeit knapp über 300.00 Soldaten mit weiter sinkender Tendenz - aus. Damit ist die Wehrpflicht, die verfassungsrechtlich nur als Möglichkeit und eben nicht als zwingende Notwendigkeit vorgesehen ist, obsolet geworden. In der verfas­sungsrechtlichen Logik ist die Wehr­pflicht mit ihren massiven Eingriffen in die Freiheits- und Persönlichkeitsrecht der Bürger nur durch die existentielle Bedrohung des Staates gerechtfertigt. Diese existiert nicht mehr, weshalb die einzig angemessene Konsequenz die Abschaffung der Wehrpflicht sein kann.

Der "Pflegenotstand" ist in erster Linie durch einen Mangel an Fachkräften ge­kennzeichnet, Hilfskräfte gibt es genug. Solang die Arbeitsbedingungen - schlechte Bezahlung, niedriges Sozial­prestige etc. - nicht verändert werden, wird sich an diesem Zustand nichts än­dern. Not der Gepflegten wird jedenfalls durch ein Heer unausgebildeter, unmo­tivierter und im Rahmen einer Allge­meinen Dienstpflicht zur Arbeit ge­zwungener junger Menschen nicht ge­lingt werden können.

Entsolidarisierung und Individualisierung - vor allem unter jungen Men­schen, so die Behauptung - deuten dar­auf hin, daß mit den Strukturen unserer Gesellschaft etwas nicht in Ordnung ist. Fehlende Berufsperspektiven, Kommer­zialisierung des Freizeitbereiches, Einengung von Lebens- und Entfal­tungsmöglichkeiten wären hier als Stichworte für die Ursachen zu nennen. Eine Perspektive bekommen junge Menschen mit Sicherheit nicht durch eine Zwangsverpflichtung, die letztlich, wie derzeit im Wehrpflichtbereich, mit der Androhung von Haftstrafen durch­gesetzt wird. Und überhaupt: Warum werden als Zielgruppe einer Allgemei­nen Dienstpflicht eigentlich immer nur Jugendliche genannt, als ob ihre Eltern und generell die "mittelalterliche" Gene­ration sich gesellschaftsbezogen und solidarisch verhielte. Entsolidarisierung und Individualisierung sind politische Probleme, "Pädagogische" Konzepte helfen da nicht wirklich weiter.

Wie gesagt, die Fragestellungen der DienstpflichtbefürworterInnen sind durchaus richtig, aber ihre Antwort ver­nebelt den Blick auf die Ursachen der Probleme und macht die Diskussion um eine Allgemeine Dienstpflicht zu einer Scheindebatte. Es reicht deshalb nicht aus, den Dienstpflichtüberlegungen ste­tig nur die zwar sachlich richtigen Ar­gumente - verfassungsrechtlich unzuläs­sig, durch internationale Menschen­rechtsvereinbarungen verboten, ökono­misch unsinnig etc. - entgegenzuhalten. Vielmehr ist die Diskussion, und gerade auch die Stammtischdiskussion mit dem entsprechenden Niveau, ein Indikator dafür, wie notwendig ein gesellschaftli­cher Diskussionsprozess über die Le­bens-, Arbeits- und Wertekultur, über die Beteiligungs-, Entfaltungs- und Zu­kunftsspielräume dieser Gesellschaft ist.

 

Literaturhinweise:

Im Mai ist ein Sonderheft Allge­meine Dienstpflicht der 4/3-Fach­zeitschrift für Kriegsdienstverweige­rung, Wehrdienst und Zivildienst er­schienen. Umfang 60 Seiten, erhäl­tich: Material-Vertrieb der DFG/VK "PAZIFIX ", Alberichstr. 9, 76185 Karlsruhe. (Preis: Vorkasse: 10,- DM

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Stefan Phillip ist Geschäftsführer der DFG-VK Baden-Württemberg