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Allgemeine Dienstpflicht
vonMan könnte es sich einfach machen. Alle bislang aufgetauchten Vorschläge und Überlegungen zur Einführung einer Allgemeinen Dienstpflicht sind wenig durchdacht, und es hat auch noch niemand einen ernsthaften Vorschlag auf den Tisch gelegt. Man könnte die Dienstpflicht-Diskussion, die seit Anfang der neunziger Jahre die Gedankenspiele einzelner PolitikerInnen aus verschiedensten Parteien immer wieder neue Nahrung erhält, deshalb lediglich als Stammtisch-Diskussion bezeichnen und damit abtun.
Das Gefährliche an den Stammtisch-Themen ist aber, daß sie gewissermaßen abseits der offiziellen und etablierten Politik-Diskurse eine Eigendynamik entfalten und dann scheinbar plötzlich politisch wirksam werden - so geschehen beispielsweise in der Asyl-Debatte, die mit der faktischen Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl endete.
Grund genug also, das Stammtisch-Thema Dienstpflicht ernstzunehmen.
Was sind die Hintergründe der Diskussion?
Zum einen ist da das Thema "Wehrgerechtigkeit" zu nennen. Das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht, die von der Verfassung als eine mögliche Rekrutierungsform für das Militär zugelassen wird (Art. 12a, Abs.1 GG), gebietet es, daß alle Wehrpflicht möglichst gleichmäßig zur Dienstleitung - Wehrdienst oder Zivildienst - herangezogen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner KDV-Entscheidung vom 13. April 1978 festgestellt, daß die Durchführung der Wehrpflicht "unter der Herrschaft des Artikel 3 Ab. 1 GG" stehe, dem Gleichheitsgrundsatz also. Es sei deshalb "nicht zulässig, einzelne Wehrpflichtige oder Gruppen von Wehrpflichtigen über die gesetzlich vorgezeichneten Wehrpflichtausnahmen hinaus - womöglich sogar je nach dem aktuellen Personalbedarf in von Jahr zu Jahr wechselndem Umfang - von der Wehrdienstleistung grundsätzlich auszunehmen."
Nun war zwar die Wehrpflicht noch nie eine allgemeine - schon immer gab es zahlreiche gesetzlich nicht vorgesehene Befreiungs- und Ausnahmeregelungen. Mit der Reduzierung des Personalumfangs der Bundeswehr auf unter 370.000 Soldaten, wobei der wehrpflichtigen-Anteil bei unter 40 Prozent liegt, und Jahrgangsstärken von ca. 400.000 jungen Männern wurde für eine breitere Öffentlichkeit offensichtlich, daß die Wehrpflicht nicht mehr verfassungsgemäß durchführen läßt. Übrigens stützt dabei paradoxerweise ausgerechnet eine hohe Zahl von Kriegsdienstverweigerern die Wehrpflicht.
In diesem Zusammenhang wurden von einzelnen aus SPD bis CDU/CSU, die aus unterschiedlichsten Grünen an der Wehrpflicht festgehalten wollen, Überlegungen laut, zur Rettung der Wehrpflicht eine Allgemeine Dienstpflicht einzuführen, deren einer Bestandteil dann die militärische Dienstleistung sein könnte.
Der zweite Begründungszusammenhang, der als Argument für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht vorgetragen wird, ist der sog. "Pflegenotstand". Als im Herbst 1990 wegen der Dienstzeitverkürzung auf einen Schlag ca. 17.000 Zivildienstleistende aus dem Dienst entlassen wurde, offenbarte sich für die Öffentlichkeit, in welchem Ausmaß der soziale Bereich auf Zivis und damit eben nicht auf normale Arbeitnehmer mit ordentlicher Arbeitsverträgen, sondern auf unausgebildete Hilfskräfte angewiesen ist. Die Altersverteilung in der Bundesrepublik einerseits, die in den nächsten Jahrzehnten zunehmend mehr Menschen versorgungs- und pflegebedürtig werden läßt, und die enge finanzielle Situation anderseits, mache es notwendig - so die Begründung - über eine Allgemeine Dienstpflicht genügend Arbeitskräfte für den sozialen Bereich zur Verfügung zu stellen.
Schließlich, so die dritte Begründungsschiene, machten die zunemenden Individualisierungs- und Entsolidarisierungstendenzen die Einführung einer Allgemeinen Dienstpflicht quasi als volkspädagogische Sozialisationsmaßnahme notwendig.
Alle drei Begründungskonzepte werfen dabei richtige Fragestellungen auf, gehen aber mit ihrer Antwort am Kern der Ursachen vorbei, weshalb sie auch nicht zur wirklichen Problemlösung geeignet sind.
Die Wehrpflicht wurde in den fünfziger Jahren deshalb eingeführt, weil keine andere Rekrutierungsform eine Personalstärke von 500.000 Soldaten, wie sie aus militärischer Sicht im Rahmen der Blockkonfronation für notwendig gehalten wurde, ermöglicht hätte, diese Begründung ist heute, da die Bundesrepublik von Freunden und "sicheren Drittstaaten" umzingelt ist, endgültig entfallen, und selbst die offizielle Politik geht ja von einer wesentlich geringeren notwendigen Personalstärke - derzeit knapp über 300.00 Soldaten mit weiter sinkender Tendenz - aus. Damit ist die Wehrpflicht, die verfassungsrechtlich nur als Möglichkeit und eben nicht als zwingende Notwendigkeit vorgesehen ist, obsolet geworden. In der verfassungsrechtlichen Logik ist die Wehrpflicht mit ihren massiven Eingriffen in die Freiheits- und Persönlichkeitsrecht der Bürger nur durch die existentielle Bedrohung des Staates gerechtfertigt. Diese existiert nicht mehr, weshalb die einzig angemessene Konsequenz die Abschaffung der Wehrpflicht sein kann.
Der "Pflegenotstand" ist in erster Linie durch einen Mangel an Fachkräften gekennzeichnet, Hilfskräfte gibt es genug. Solang die Arbeitsbedingungen - schlechte Bezahlung, niedriges Sozialprestige etc. - nicht verändert werden, wird sich an diesem Zustand nichts ändern. Not der Gepflegten wird jedenfalls durch ein Heer unausgebildeter, unmotivierter und im Rahmen einer Allgemeinen Dienstpflicht zur Arbeit gezwungener junger Menschen nicht gelingt werden können.
Entsolidarisierung und Individualisierung - vor allem unter jungen Menschen, so die Behauptung - deuten darauf hin, daß mit den Strukturen unserer Gesellschaft etwas nicht in Ordnung ist. Fehlende Berufsperspektiven, Kommerzialisierung des Freizeitbereiches, Einengung von Lebens- und Entfaltungsmöglichkeiten wären hier als Stichworte für die Ursachen zu nennen. Eine Perspektive bekommen junge Menschen mit Sicherheit nicht durch eine Zwangsverpflichtung, die letztlich, wie derzeit im Wehrpflichtbereich, mit der Androhung von Haftstrafen durchgesetzt wird. Und überhaupt: Warum werden als Zielgruppe einer Allgemeinen Dienstpflicht eigentlich immer nur Jugendliche genannt, als ob ihre Eltern und generell die "mittelalterliche" Generation sich gesellschaftsbezogen und solidarisch verhielte. Entsolidarisierung und Individualisierung sind politische Probleme, "Pädagogische" Konzepte helfen da nicht wirklich weiter.
Wie gesagt, die Fragestellungen der DienstpflichtbefürworterInnen sind durchaus richtig, aber ihre Antwort vernebelt den Blick auf die Ursachen der Probleme und macht die Diskussion um eine Allgemeine Dienstpflicht zu einer Scheindebatte. Es reicht deshalb nicht aus, den Dienstpflichtüberlegungen stetig nur die zwar sachlich richtigen Argumente - verfassungsrechtlich unzulässig, durch internationale Menschenrechtsvereinbarungen verboten, ökonomisch unsinnig etc. - entgegenzuhalten. Vielmehr ist die Diskussion, und gerade auch die Stammtischdiskussion mit dem entsprechenden Niveau, ein Indikator dafür, wie notwendig ein gesellschaftlicher Diskussionsprozess über die Lebens-, Arbeits- und Wertekultur, über die Beteiligungs-, Entfaltungs- und Zukunftsspielräume dieser Gesellschaft ist.
Literaturhinweise:
Im Mai ist ein Sonderheft Allgemeine Dienstpflicht der 4/3-Fachzeitschrift für Kriegsdienstverweigerung, Wehrdienst und Zivildienst erschienen. Umfang 60 Seiten, erhältich: Material-Vertrieb der DFG/VK "PAZIFIX ", Alberichstr. 9, 76185 Karlsruhe. (Preis: Vorkasse: 10,- DM