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Und bist du nicht willig, so brauch‘ ich Gewalt
Allgemeine Dienstpflicht
vonDieser Beitrag erschien in der Zeitschrift der DFG-VK, der "ZivilCourage", und wendete sich an Leser*innen aus diesem Verband. Wir drucken ihn hier ab, denn die Argumentation, dass eine Dienstpflicht mit der Freiheitsgarantie des Grundgesetzes nicht vereinbar ist, betrifft alle Friedensfreund*innen.
Zwei Punkte machen es notwendig, die Frage von Wehrpflicht/Dienstpflicht noch einmal und schon wieder in der ZivilCourage aufzugreifen:
Dem Kriegsertüchtigungsminister Pistorius fehlen freiwillige Soldat*innen, weshalb er über Verpflichtungen nachdenkt; dabei soll wohl der Militärdienst Teil einer allgemeinen Dienstpflicht werden, die Betroffenen sollen dann zwischen dem Dienst bei der Bundeswehr und einem zivilen im Sozialbereich oder auch beim Katastrophenschutz wählen dürfen.
Zweitens: Auch in der DFG-VK begegnen einem immer wieder Menschen, die eine allgemeine Dienstpflicht befürworten und auf die häufig positiven Erfahrungen im damaligen Zivildienst verweisen, den staatlich anerkannte Kriegsdienstverweigerer bis zur Aussetzung der Wehrpflicht 2011 leisten mussten.
Um die Wehr-/Dienstpflicht-Pläne beurteilen zu können, sollte man zunächst über die formal-rechtliche Einordnung solcher Verpflichtungen Bescheid wissen.
Wenn die Bundesrepublik ihre Bürger*innen zu persönlich zu erbringenden Dienstleistungen verpflichten und solche mit denkbar härtesten Sanktionen durchsetzen will, dann braucht sie als Rechtsstaat eine verfassungsrechtliche Legitimation dafür. Im Fall der Wehrpflicht, die im Spannungs- und Verteidigungsfall automatisch wieder gelten würde (Artikel 115a Grundgesetz in Verbindung mit § 2 Wehrpflichtgesetz [WPflG]) ist dies Artikel 12a Grundgesetz (GG), wonach „Männer [...] vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften [...] verpflichtet werden“ können.
Diese Wehrpflicht genannte Militärdienstverpflichtung wird entweder durch die Dienstleistung bei der Bundeswehr erfüllt oder aber bei erfolgter staatlicher Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer durch den Zivildienst (§ 3 Abs. 1 WPflG). Dieser ist also Wehrpflichterfüllung und hat systematisch keinen anderen Zweck als die Aufrechterhaltung des Wehrpflichtsystems (auch wenn viele im Zivildienst persönlich positive Erfahrungen gemacht haben). Denn ohne die Pflicht zur Ersatzdienstleistung hätten (und würden es im Fall der Wiedereinführung) vermutlich noch mehr Wehrpflichtige einen KDV-Antrag gestellt. Wegen des Ersatzcharakters hat der Zivildienst auch keine eigene Begründung und auch keine eigene nicht abgeleitete Zielbestimmung gehabt.
Deswegen auch sind die Strafbestimmungen für diejenigen, die den Wehr- oder den Zivildienst verweigern, indem sie aus dem Dienstverhältnis „flüchten“, dieselben: Bereits die „eigenmächtige Abwesenheit“ von mehr als drei vollen Kalendertagen wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren verfolgt (§ 15 Wehrstrafgesetz, § 52 Zivildienstgesetz), „Fahnenflucht“ (§ 16 WStG) und „Dienstflucht (§ 53 ZDG) mit bis zu fünf Jahren Gefängnis.
Die grundgesetzliche Ermächtigung zur Wehrpflicht nach Art. 12a GG ist eine Ausnahme („lex specialis“) von der allgemein gültigen Vorschrift und Garantie des Art. 12 Abs. 2 GG: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.“ Im Blick auf die Frage einer (allgemeinen) Dienstpflicht, eines „sozialen Pflichtjahrs“ etc. ist der entscheidende Begriff der der „Herkömmlichkeit“. Seit Deutschland staatlich verfasst ist, also seit der Gründung des Deutschen Reichs 1871, gab es keine solche Dienstleistungspflicht – außer dem 1935 von den Nazis eingeführten Reichsarbeitsdienst. Die Freiheitsgarantie des Art. 12 GG ist vielmehr die bewusste Antwort des demokratischen Rechtsstaats BRD auf diese Dienstverpflichtungen und alle anderen Formen von Zwangsarbeit des NS-Staats.
Wer eine Dienstpflicht einführen will, der würde und müsste diese Freiheitsgarantie abschaffen – und dazu das Grundgesetz ändern. Das ist nach Art. 79 GG zwar möglich, bedarf aber einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Von den (derzeit) 735 Bundestagsabgeordneten müssten also 490 einer solchen Änderung zustimmen, von den 16 Bundesländern 11. Mit einer solchen Änderung ist derzeit nicht zu rechnen, so sehr Pistorius, der Bundespräsident, die Wehrbeauftragte und andere dafür auch „trommeln“ mögen.
Als DFG-VK sollten wir mit dazu beitragen, dass eine Mehrheit gegen die Dienstpflicht bestehen bleibt.
Anmerkung:
- Überschrift: aus: „Erlkönig“, J. W. von Goethe. Der Beitrag erschien erstmalig in der Zeitung Zivilcourage vom April 2024.