Alte Feindbilder - neue Überwachungstechniken

von Martin Kutscha
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Die Begeisterung für das Militärische hat in Deutschland eine lange unrühmliche Tradition. Dagegen wurden Menschen, die sich für den Frieden und gegen militaristische Bestrebungen engagierten, immer wieder als "Vaterlandsverräter" abgestempelt und staatlich verfolgt. So erging es z. B. Kurt Tucholsky ("Soldaten sind Mörder") und Carl von Ossietzky in der Weimarer Republik.

Zwar wurde nach Völkermord und Terror des Nazi-Staates 1949 das Bekenntnis zur Friedensstaatlichkeit ausdrücklich im Grundgesetz verankert. Dies hinderte aber schon die erste Bundesregierung unter Adenauer nicht daran, staatliche Machtmittel gegen eine sich für den Frieden engagierende Opposition einzusetzen. So wurde die Durchführung einer Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1951 kurzerhand mit der Begründung verboten, diese ziele auf den "Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung". Auf einem von Gegnern der Wiederbewaffnung veranstalteten Kongress in Essen war folgende Abstimmungsfrage beschlossen worden: "Sind Sie gegen die Remilitarisierung und für den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland im Jahre 1951?" Nachdem sich die Führungsspitzen der SPD und der Gewerkschaften von dem Abstimmungsprojekt distanziert hatten, blieb nur noch die KPD als einzige Partei, die das Vorhaben unterstützte. Im Zeichen des Kalten Krieges war es nunmehr für die Regierung ein Leichtes, die ganze Aktion als "moskaugesteuert" darzustellen. Obwohl dieses Feindbild seine Wirkung in der Öffentlichkeit tat, zeitigte die in manchen Orten trotz Verbots durchgeführte Befragungsaktion doch einen gewissen Erfolg: Nach Angaben der Veranstalter stimmten von etwa 6, 2 Mill. Befragten rund 5, 9 Mill. mit "ja". Dies entsprach durchaus der weitverbreiteten Ablehnung gegenüber einer neuen Armee für die Bundesrepublik.
 

Argwohn der Staatsgewalt
Auch als zu Beginn der sechziger Jahre in der Bundesrepublik erstmals Ostermärsche gegen die Atombewaffnung stattfanden, bekamen deren Teilnehmer und Teilnehmerinnen den Argwohn staatlicher Stellen zu spüren. Sprechchöre wie z. B. "Wer Bunker baut, denkt an Krieg" und "Es gibt keinen Luftschutz im Atomzeitalter", ja sogar das Singen wurden verboten. Transparente für den Ostermarsch 1962 mussten vorher im Polizeipräsidium Frankfurt vorgezeigt werden. Häufig wurde auch die Benutzung von Hauptstraßen verboten und die Märsche wurden auf Feldwege verwiesen. Mit den verfassungsmäßig gewährleisteten Grundrechten der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit waren diese staatlichen Praktiken allerdings kaum vereinbar. Einen Durchbruch brachte insoweit erst der "Brokdorf-Beschluss" des Bundesverfassungsgerichts von 1985, der den besonderen Rang der Demonstrationsfreiheit für die demokratische Gesellschaft ausdrücklich bekräftigte. Zu verstehen ist diese vorbildliche Entscheidung vor dem Hintergrund einer enormen Zunahme von Protestdemonstrationen zu Beginn der achtziger Jahre. Angesichts der massenhaften Beteiligung an Friedensdemonstrationen, aber auch an Protesten gegen den Bau von Atomkraftwerken u. a. verfing das Feindbild "Kommunismus" kaum noch. Dafür wurde die Angst vor gewalttätigen Ausschreitungen von konservativen Medien kräftig geschürt. Vor der großen Friedensdemonstration am 10. Oktober 1981 in Bonn verbarrikadierten viele Geschäftsinhaber ihre Läden. Die wenigen, die sich von der Angstkampagne nicht hatten einschüchtern lassen, machten hingegen das Geschäft ihres Lebens: Erfrischungsgetränke und Snacks fanden bei den nach langer Anreise durstigen Friedensbewegten reißenden Absatz.

Freilich blieb auch die machtvolle Friedensbewegung der achtziger Jahre von staatlichen Sanktionen nicht verschont. Erwähnt seien hier nur die zahlreichen Strafverfahren gegen Teilnehmer und Teilnehmerinnen an Blockadeaktionen vor den Raketenstandorten. Wer sich an einer solchen Aktion beteiligte, musste nicht nur mit einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen Nötigung, sondern auch mit einer mehr oder weniger harten polizeilichen "Behandlung" rechnen. Einzelne Polizeibeamte bewiesen dabei durchaus Einfallsreichtum, indem sie Blockierer und -innen nicht nur von der Straße forttrugen, sondern mitunter auch zu weit entfernten Orten fernab jeder Verkehrsverbindung verfrachteten. Manche Gerichte haben diese, übrigens auch zur Beseitigung "störender" Obdachloser aus den Innenstädten angewandte Methode zu Recht für unzulässig erklärt.
 

Mit der aktiven Beteiligung der Bundesrepublik am Jugoslawienkrieg 1999 erlitt der Einsatz für den Frieden die bisher schwerste Niederlage. Beim Umgang mit Befürwortern und Gegnern des Krieges zeigte sich zugleich, wie, gelinde gesagt, einseitig das staatliche Sanktionsinstrumentarium eingesetzt wird: Während sich der Generalbundesanwalt weigerte, auf die vielen Strafanzeigen wegen "Vorbereitung eines Angriffskrieges" hin gegen die politisch Verantwortlichen irgendwelche Schritte einzuleiten, sehen sich die Erstunterzeichner eines Aufrufs an Bundeswehrsoldaten, sich am Jugoslawien-Krieg nicht zu beteiligen, mannigfachen polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen bis hin zur Hausdurchsuchung ausgesetzt. Dabei lässt es sich ernsthaft kaum bestreiten, dass die NATO-"Luftschläge" weder mit dem Gewaltverbot des Völkerrechts noch mit den einschlägigen Artikeln des Grundgesetzes vereinbar sind. Aber offenbar meinen auch einige Anhänger und Anhängerinnen der SPD und der GRÜNEN, dass an die Stelle des Rechts die Moral in Gestalt einer sogenannten "humanitären Intervention" treten soll. Sie übersehen dabei, dass sie damit statt der globalen Herrschaft der Menschenrechte nur das Recht des Stärkeren (wieder einmal) inthronisieren. Auf das Prinzip des "gerechten Krieges" hat sich schließlich schon die christliche Kirche im Mittelalter berufen, und die Kreuzzüge waren nicht gerade eine humanitäre Veranstaltung.

Auf dem Weg zur Totalkontrolle?
Feindbilder und Legitimationsmuster für die Ausweitung staatlicher Eingriffsbefugnisse wandeln sich. War es die kommunistische Bedrohung in den fünfziger Jahren, wurde der Ausbau des Sicherheitsapparates und die Einschränkung von Verteidigerrechten in den Siebzigern mit den Terroranschlägen der RAF legitimiert. Heute gibt die Bedrohung durch die "organisierte Kriminalität" die Formel ab, mit der die Schaffung neuer polizeilicher Befugnisse gerechtfertigt wird. Viele Bundesländer haben in den letzten Jahren ihre Polizeigesetze entsprechend erweitert. Zu den gravierendsten Neuerungen zählt die Einführung der sogenannten anlass- und verdachtsunabhängigen Personenkontrolle, auch als "Schleierfahndung" bezeichnet. Die Polizeien mehrerer Bundesländer, aber auch der Bundesgrenzschutz auf Bahnhöfen und in Zügen haben jetzt das Recht, jede Person zu kontrollieren, ohne dass ein konkreter Verdacht gegeben sein muss. Jeder und jede gilt danach prinzipiell als verdächtig, womit die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung geradezu auf den Kopf gestellt wird.

Ein zur Überwachung durch Polizei und Geheimdienste besonders geeignetes Mittel sind die massenhaft genutzten und in den letzten Jahren ständig modernisierten Kommunikationsmedien. Durch die automatisierte Vermittlung ist es heute möglich, auch im Nachhinein noch festzustellen, wann und mit welchen Anschlüssen Telefongespräche geführt wurden. Und beim staatlichen Abhören von solchen Gesprächen ist Deutschland Weltmeister: Im letzten Jahr wurden insgesamt 9.802 Anordnungen zur Telefonüberwachung erlassen, eine fast dreimal so hohe Zahl wie 1992. Nach einer Berechnung des Vorsitzenden der Humanistischen Union, Müller-Heidelberg, sind davon etwa 1,5 Mill. Einwohner der Bundesrepublik betroffen, weil ja bei der Überwachung eines Anschlusses alle von dort geführten Gespräche aufgezeichnet bzw. abgehört werden.
 

Wer ein Handy benutzt, ahnt nicht, dass von der Polizei sowohl sein Gespräch abgehört als auch sein Standort ermittelt werden kann. Durch die Auswertung der Aktiv-Meldungen der Funkzellen können nämlich sogenannte Bewegungsbilder von den polizeilich "interessanten" Personen hergestellt werden - ein Überwachungsverfahren, von dem die Stasi nur träumen konnte. Selbst wer im Internet surft, hinterlässt dabei Datenspuren, die sowohl von Versandfirmen zur Herstellung von Kundenprofilen als auch von Polizei und Geheimdiensten zur Überwachung politischer Aktivitäten genutzt werden können.

Seit Jahren warnen die Datenschutzbeauftragten vor der Gefahr des "gläsernen Menschen" durch die neuen Informationstechnologien. Gleichwohl bemühen sich die Gesetzgeber von Bund und Ländern, jede mögliche "Sicherheitslücke" zu schließen und Polizei und Geheimdiensten weitreichende Zugriffs- und Überwachungsrechte auch bei der Nutzung der neuen Medien einzuräumen. Dabei nimmt die Angst der Bevölkerung vor Kriminalität, von Politikern geschickt immer wieder zur Rechtfertigung neuer staatlicher Überwachungsbefugnisse ins Spiel gebracht, heute nur noch einen untergeordneten Rang ein. Nach den im August dieses Jahres veröffentlichten Ergebnissen einer Umfrage spielt dagegen die Kriegsangst eine weitaus größere Rolle. 42 % der Befragten gaben an, ihnen bereite die Angst vor weiteren Kriegen, in die Deutschland verwickelt werden könnte, wachsende Sorge. Leider ist diese Sorge nur zu berechtigt.

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Prof. Dr. Martin Kutscha lehrt Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin und ist Vorstandsmitglied der deutschen Sektion der IALANA.