Amnestie für Kriegsverweigerer?

von Stascha Zajovic
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Seit das serbische Regime den "Friedensvertrag" von Dayton unter­zeichnet hat, richtet es ein Augenmerk wieder vermehrt auf die "inneren Feinde".

Seit sich Serbiens Präsident Slobodan Milosevic dank Dayton und amerikani­scher Hilfe den Titel "Friedensschaffer" umlegen darf, kann er wieder ungehin­dert gegen die Opposition im Innern vorgehen. Er muß sich keine Sorgen mehr machen, die internationale Öffent­lichkeit könnte sich daran stoßen. Wäh­rend einer weniger als zweistündigen Sitzung des serbischen Parlaments bei­spielsweise wurden von der herrschen­den Partei 250 neue Gesetze durchge­bracht - unter Abwesenheit der Opposi­tion, die es vorzieht, diesem Schauspiel fernzubleiben. Ziel solcher Aktionen: die eigene Macht erhalten.

Ein Gesetz gegen Deserteure...

Am 31. Oktober 1995 hat das serbische Parlament in einem Dringlichkeitsver­fahren ein Gesetz gegen Deserteure an­genommen. Präsident Milosevic si­gnierte das Gesetz sogar noch bevor es im Parlament behandelt wurde. Dann setzte er sich ins Flugzeug nach Dayton, um dort den Frieden zu schaffen. Am Nachmittag beschloß dann auch das Parlament. Dieses Gesetz sieht in Para­graph 4 vor, daß "diejenigen, die sich der militärischen Einberufung und der Verteidigung ihres Landes durch Flucht ins Ausland entzogen haben, es nicht wert sind, erbberechtigt zu sein. Ihr Erbe wird ihnen weggenommen." Das Gesetz sieht vor, daß Verbrechen außer Dienstverweigerung und Desertion straffrei ausgehen können. Die Parla­mentsmehrheit der herrschenden Serbi­schen Sozialistischen Partei SPS er­klärte: "Das Verbrechen, das Land nicht zu verteidigen, muß bestraft werden. Die Verteidigung des Landes ist die höchste Pflicht und moralischer Befehl der Gesellschaft. Dies muß sich in den Gesetzen zur Erbschaft niederschlagen." Das Gesetz ist absurd. Wie kann ein Staat, der nie offiziell den Krieg er­klärte, jemanden bestrafen, der nicht in den Krieg ziehen will? Serbien verfasste nie eine Kriegserklärung und die verfas­sungsmässigen Grenzen der Republik Jugoslawien wurden nie angegriffen. Das Gesetz klärt auch nicht, auf wen es angewendet werden kann: auf Rekruten? Auf Reservisten? Auf diejenigen, die schon im Ausland lebten, als sie ihren Marschbefehl erhielten? Um solche "Details" kümmern sich die Behörden nicht, denn das Hauptziel des Gesetzes ist es, die Menschen einzuschüchtern und Ungehorsame zu bestrafen. Und es ist ein Weg des staatlichen Raubzuges: Der Staat beschlagnahmt alle diese Erb­güter.

... und eine geplante Amnestie

In den letzten Jahren wurde immer wie­der versucht, ein Gesetz zur Amnestie der Deserteure einzubringen. Im Mai 1992 machte das Zentrum für Anti­kriegsaktionen in Belgrad eine entspre­chende Eingabe. Die Sozialdemokrati­sche Partei Montenegros versuchte, es ins Parlament zu bringen, aber die Mehrheit aus Milosevics SPS und radi­kalen und nationalistischen Parteien verhinderten die Diskussion. "Verrätern darf man nicht vergeben", hieß es. Auch der zweite Versuch schlug fehl, als Justizminister Tibor Varady einen Vorschlag einbrachte, der auch von der Regierung von Milan Panic unterstützt wurde. Varady erklärte: "Die Gesell­schaft darf nicht 100.000 Menschen ab­weisen, die aus dem Land geflüchtet sind, um nicht am Krieg teilnehmen zu müssen." Die Mehrheit des Parlaments aber stellte sich gegen den Entwurf und gegen die Regierung und stürzte diese schließlich. Seit 1992 haben viele Rechtsexperten ein Amnestiegesetz gefordert, da das Land nie den Krieg er­klärte und da es gar nicht genügend Ge­fängnisse gebe. Trotzdem haben die Militärbehörden immer wieder selektiv Leute wegen Verweigerung verfolgt. Ende 1995 brachte nun die Demokrati­sche Reformpartei der Vojvodina im ju­goslawischen Parlament einen neuen Gesetzesentwurf ein, der zusammen mit der Bürgerallianz Serbiens verfasst wurde. Dieser Entwurf wurde nun vom Parlament entgegengenommen, aber noch weiß niemand, wann er behandelt wird. Die ultranationalistischen Organi­sationen wie die Serbische Radikale Partei SRS des Kriegsverbrechers Seselj und die Partei für Serbische Einheit SSJ des Kriegsverbrechers Arkan haben er­klärt, sie unterstützten die Amnestie für "alle Verbrechen und Verweigerungen in Serbien, aber nicht für serbische Deser­teure in Bosnien oder Kroatien". Andere ideologisch ähnlich gelagerte Organisa­tionen nahmen gegen jegliche Amnestie Stellung, da sie "gegen die Verteidigung des Landes" sei. Die Vereinigung der Kriegsveteranen (1991- 1992) betonte: "Man muß in den Krieg - aus patrioti­schen Gründen." Die Kommunistische Liga, die Satelliten-Partei der herr­schenden SPS unter Leitung von Milo­sevics Frau Mirjana Markovic und be­stückt mit pensionierten Generälen der Jugoslawischen Armee meinte, dieses Gesetz "belohne Feiglinge", indem es die Rechtmässigkeit der Militärverwei­gerung propagiere.

Unterstützt wird die Gesetzesvorlage von den demokratischen Parteien und von einigen nationalistischen Parteien, die Milosevic nicht kritisieren, weil er Krieg geführt hat, sondern dafür, daß er ihn falsch geführt und damit verloren habe. Welche Chance das Gesetz im Parlament haben wird, ist noch offen. Aber auch wenn es unter internationa­lem Druck angenommen wird, sagt das wenig aus darüber, wie und ob es dann auch umgesetzt und angewendet wird. Unterdessen gehen die Zwangsmobili­sierungen weiter, weniger stark aus vor Abschluß des Dayton-Abkommens, aber mit den gleichen Mitteln. In Val­jevo (Zentralserbien) beispielsweise unternahmen zivile und militärische Po­lizei Ende 1995 gemeinsam nächtliche Streifzüge, um Reservisten einzuziehen. In Knjazevac (der schwärzesten Ecke in Ostserbien) wurden 2000 Reservisten - ein Viertel der arbeitstätigen Bevölke­rung der Stadt - für Manöver mobili­siert. Valjevo und Knjazevac kannten 1991 die stärksten Proteste von Deser­teuren!

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Krisen und Kriege
Stascha Zajovic ist aktiv bei den Frauen in Schwarz in Belgrad. Die Auszüge aus ihrem "Report on the Situation in Ser¬bia" vom 29. Januar 1996 wurden über¬setzt von Roland Brunner.