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Angst vor den Deutschen?
Anmerkungen zum Deutschenbild in Polen
vonBei keinem europäischen Nachbarn war die Skepsis gegenüber dem deutschen Vereinigungsprozess so groß wie in Polen. Will man Umfragen Glauben schenken, war die große Mehrheit der Polen im Februar 1990 gegen die deutsche Einheit eingestellt. Inzwischen sind die Stimmen in Polen, die vor den Folgen der deutschen Einheit warnen, leiser geworden.
Die Deutschen als historischer Feind
Das verbreitete Misstrauen, das im Allgemeinen den Deutschen in Polen entgegengebracht wird, läßt sich nicht allein durch momentane Verunsicherungen im deutsch-polnischen Verhältnis erklären. Hinter den Bedrohungsängsten verbergen sich tiefverwurzelte Stereotypen über die Deutschen.
Noch heute, wenn Kinder auf den Höfen nach den Vorbildern von Fernsehfilmen Krieg spielen, kämpfen polnische Soldaten gegen deutsche Soldaten. Der Ausgang des Spiels ist vorbestimmt: Die Polen schlagen die Deutschen in die Flucht oder verhafteten sie mit den deutschen Worten: "Hände hoch!"
Viele erkannten zudem in der nationalsozialistischen Rassenpolitik gegenüber dem polnischen Volk eine verschärfte Wiederholung des Germanisierungsdrucks Preußens und des Deutschen Reiches in der über 120 Jahre dauernden Besatzungszeit bis zum Wiedererstehen des polnischen Staates im Jahre 1918.
Nach dem zweiten Weltkrieg veränderte sich zunächst das durch die schrecklichen Erfahrungen geprägte Bild von den Deutschen wenig. Der Kalte Krieg beziehungsweise Konflikte zwischen der DDR und Polen überlagerten und bestimmten das Verhältnis Polens zu beiden deutschen Staaten.
Das Leid vieler deutscher Aussiedler und Vertriebener aus Schlesien, Pommern oder Ostpreußen, die ihre Heimat zum Teil unter unmenschlichen Umständen verlassen mußten, wurde lange Zeit in Polen nicht wahrgenommen. Die schnelle und oberflächlich bleibende Abrechnung mit der hitlerfaschistischen Vergangenheit in der DDR sowie die rasche Rehabilitierung ehemaliger Naziverbrecher in der BRD wurden in Polen als Zeichen fehlender Sühnebereitschaft und Trauerarbeit bei den Deutschen gewertet. Man hatte in Polen den Eindruck, daß eine kritische Aufarbeitung der Ursachen, die zur nationalsozialistischen Barbarei geführt hatten, in beiden Teilen Deutschlands ausblieb.
Die Angst vor dem bundesdeutschen Revanchismus und das Bild vom hässlichen Deutschen
Immer wiederkehrende Diskussionen in der bundesdeutschen Öffentlichkeit um die Rechtmäßigkeit der Oder-Neiße-Grenze lösten in Polen bis in die 80er Jahre hinein große Ängste vor einem deutschen Revanchismus aus. Zugleich war der ungeliebten polnischen Regierung daran gelegen, das Feindbild vom "hässlichen Deutschen", in diesem Falle reduziert auf den Westdeutschen, zu kultivieren. Dadurch hoffte die isolierte kommunistische Partei den verlorengegangenen Konsens mit großen Teilen der Gesellschaft wiederzugewinnen. "Die antideutsche Karte", so der bekannte frühere polnische Oppositionelle Lipski, ist - nicht ohne Wirkung zu hinterlassen - bis in die jüngste Vergangenheit hinein von der polnischen Regierung gezogen worden. Aus diesem Grund zählten Hupka und Czaja als führende Köpfe der Vertriebenenverbände noch in den 80er Jahren in Polen mit zu den bekanntesten Deutschen.
Brüderliche Abschottung - das schwierige Verhältnis zwischen Polen und der DDR
Auf den ersten Blick hätte sich in den Nachkriegsjahrzehnten am ehesten zwischen der DDR und Polen ein Aussöhnungs- und Verständigungsprozess entwickeln können. Die Westgrenze Polens wurde bereits 1950 anerkannt und ein Friedensvertrag (Görlitzer Vertrag) unterzeichnet. Auch reklamierte die DDR für sich, der bessere, antifaschistische Teil Deutschlands zu sein. Zu einer Freundschaftsgrenze entwickelten sich die Oder und Neiße jedoch nicht. Die vertraglichen Vereinbarungen entsprachen eher übergeordneten politischen Pflichterfüllungen in der sozialistischen Staatengemeinschaft denn dem Wunsch nach wirklicher Annäherung. Kontakte gab es nur unter der Aufsicht der Partei; privater Austausch wurde lange Zeit eher behindert als gefördert. Obwohl die politischen Rahmenbedingungen zunächst durchaus Ähnlichkeiten aufwiesen, entwickelten sich beide Gesellschaften, aber auch beide kommunistischen Parteien zunehmend auseinander. Der nach 1956 von den polnischen Kommunisten eingeschlagene "polnische Weg zum Sozialismus" wurde von der DDR-Staatspartei als revisionistische Abweichung verurteilt. Die Grenze zwischen beiden Staaten blieb für den visafreien Reiseverkehr bis 1971 geschlossen. Sie sollte dann zehn Jahre später erneut von der DDR geschlossen werden, aus Schutz vor einem Überschwappen des "polnischen Bazillus".
Erste Annäherungen und neue Verstimmungen - zur Entwicklung der Beziehungen zu beiden deutschen Staaten in der Zeit der Entspannungspolitik
In den 70er Jahren brachten die teilweise Westöffnung Polens und die damit verbundenen neuen Reisemöglichkeiten Bewegung in die deutsch-deutsch-polnischen Verhältnisse. Endlich konnte die DDR ohne Visum besucht werden und auch das Tor zum westlichen Deutschland öffnete sich mehr und mehr. Das Bild von den Deutschen verlor an Geschlossenheit und begann sich unter dem zunehmenden Einfluss einer sich organisierenden Systemopposition zu spalten. Neue Vorurteilszuweisungen konnten jedoch nicht verhindert werden:
Der westliche Teil Deutschland übte mit seinem überall sichtbaren materiellen, aber auch sozialen Wohlstand für die Ost-Westreisenden eine ungleich höhere Anziehungskraft aus als das realsozialistische Einerlei in der DDR, dessen Nachteile man in Polen schon allzugut kennengelernt hatte. Auch bei denen, die nicht die Möglichkeit zu einem Westbesuch hatten, überlagerte der Mythos vom "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" in Zeiten zunehmender eigener ökonomischer Not alte, historisch bedingte Ängste vor den Deutschen.
Es prägte sich ein gespaltenes Deutschenbild in Polen aus, das die offizielle Darstellung interessanterweise genau auf den Kopf stellte: Bei den Bundesdeutschen lobte man die vorbildliche Einstellung zur Arbeit, die Effizienz der Wirtschaft, die gesellschaftliche Disziplin und insgesamt die demokratischen Errungenschaften der BRD. Bei den DDR-Bürgern entdeckte man - bei oft den gleichen Charaktereigenschaften - Kleingeistigkeit, eine Untertanenmentalität und insgesamt bei den "roten Preußen" Überbleibsel des preußisch-deutschen Militarismus. Viele junge Polen verglichen die DDR-Gesellschaft mit der totalitären Vision in Orwells Buch "1984". Die Protestbewegung im Herbst 1989 war zu klein und zu kurzatmig, als daß sie dieses Bild der obrigkeitsgehorsamen DDR-Bürger in Polen hätte auflösen können. Es wirkt bis heute nach.
Ängste und Hoffnungen
Heute beunruhigt viele Polen nicht so sehr die militärische Bedrohung seitens des vereinigten Deutschland, sondern vielmehr die ständig wachsende Wohlstandsgrenze an Oder und Neiße. Die Angst vor einer Kolonialisierung durch die Deutschen ist groß. In düsteren Zukunftsvisionen - die angesichts der bislang ausgebliebenen wirtschaftlichen Gesundung immer häufiger zu hören sind - wird Polen als der Hinterhof Deutschlands beschrieben und vor einer möglichen Lateinamerikanisierung, d.h. einer zunehmenden Verelendung Polens im Schatten des Weltmarktes, gewarnt. Werden Polen auch in Zukunft wieder in die Rolle des dienenden Arbeiters für deutsche Herren zurückgedrängt werden? Bis in die Parlamente ist das Misstrauen vor allem gegenüber deutschen Kapitalanlegern in Polen spürbar: Zwar sind fast alle Gruppierungen in den beiden Kammern des Parlaments der Meinung, daß ohne die Öffnung gegenüber ausländischem Kapital die erstrebte Annäherung an die europäische Wirtschaftsgemeinschaft nicht zu realisieren ist. Gleichzeitig warnen jedoch viele vor einem Ausverkauf Polens.
Diese Ängste stützen sich zum Teil auf die Erfahrungen hunderttausender Saisonarbeiter, die in den letzten Jahren als Arbeiter zumeist 2. oder 3. Klasse in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern den Lebensunterhalt für ihre in Polen zurückgelassenen Familien sichern konnten. Auch in den Touristenhochburgen im Land erfahren angesichts des eng bemessenen Reisebudgets viele polnische Urlauber gegenüber deutschen Touristen eine Deklassierung. Inzwischen ist bei einigen ein Minderwertigkeitsgefühl gegenüber den materiell viel reicheren Deutschen entstanden, das als Kompensation neue Feindbilder gegenüber den Deutschen produzieren kann.
Gerade in der jüngeren und mittleren Generation ist jedoch die Bereitschaft, offen und unbefangen auf die Deutschen zuzugehen, vorhanden. Noch nie in der Nachkriegsgeschichte war z.B. das Interesse, deutsch zu lernen, so groß, wie es zur Zeit ist. In den Schulen wird ab dem Schuljahr 1991/92 die bisherige Pflichtsprache Russisch durch eine westliche Fremdsprache ersetzt. Neben Englisch wählen die meisten Schüler Deutsch. Die junge, neugierige Generation sucht in der Regel den Kontakt auch zu den Deutschen, ohne die Vergangenheit vergessen zu wollen.