Angst vor den Deutschen?

Anmerkungen zum Deutschenbild in Polen

von Thomas Handrich
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Bei keinem europäischen Nachbarn war die Skepsis gegenüber dem deutschen Vereinigungsprozess so groß wie in Polen. Will man Umfra­gen Glauben schenken, war die große Mehrheit der Polen im Februar 1990 gegen die deutsche Einheit eingestellt. Inzwischen sind die Stimmen in Polen, die vor den Folgen der deutschen Ein­heit warnen, leiser geworden.

Die Deutschen als historischer Feind

Das verbreitete Misstrauen, das im  Allge­meinen den Deutschen in Polen entge­gengebracht wird, läßt sich nicht allein durch momentane Verunsicherungen im deutsch-polnischen Verhältnis erklären. Hinter den Bedrohungsängsten verber­gen sich tiefverwurzelte Stereotypen über die Deutschen.

Noch heute, wenn Kinder auf den Höfen nach den Vorbildern von Fernsehfilmen Krieg spielen, kämpfen polnische Sol­daten gegen deutsche Soldaten. Der Ausgang des Spiels ist vorbestimmt: Die Polen schlagen die Deutschen in die Flucht oder verhafteten sie mit den deutschen Worten: "Hände hoch!"

Viele erkannten zudem in der national­sozialistischen Rassenpolitik gegenüber dem polnischen Volk eine verschärfte Wiederholung des Germanisierungs­drucks Preußens und des Deutschen Reiches in der über 120 Jahre dauernden Besatzungszeit bis zum Wiedererstehen des polnischen Staates im Jahre 1918.

Nach dem zweiten Weltkrieg veränderte sich zunächst das durch die schreckli­chen Erfahrungen geprägte Bild von den Deutschen wenig. Der Kalte Krieg be­ziehungsweise Konflikte zwischen der DDR und Polen überlagerten und be­stimmten das Verhältnis Polens zu bei­den deutschen Staaten.

Das Leid vieler deutscher Aussiedler und Vertriebener aus Schlesien, Pom­mern oder Ostpreußen, die ihre Heimat zum Teil unter unmenschlichen Um­ständen verlassen mußten, wurde lange Zeit in Polen nicht wahrgenommen. Die schnelle und oberflächlich bleibende Abrechnung mit der hitlerfaschistischen Vergangenheit in der DDR sowie die ra­sche Rehabilitierung ehemaliger Nazi­verbrecher in der BRD wurden in Polen als Zeichen fehlender Sühnebereitschaft und Trauerarbeit bei den Deutschen ge­wertet. Man hatte in Polen den Ein­druck, daß eine kritische Aufarbeitung der Ursachen, die zur nationalsozialisti­schen Barbarei geführt hatten, in beiden Teilen Deutschlands ausblieb.

Die Angst vor dem bundesdeutschen Revanchismus und das Bild vom hässlichen Deutschen

Immer wiederkehrende Diskussionen in der bundesdeutschen Öffentlichkeit um die Rechtmäßigkeit der Oder-Neiße-Grenze lösten in Polen bis in die 80er Jahre hinein große Ängste vor einem deutschen Revanchismus aus. Zugleich war der ungeliebten polnischen Regie­rung daran gelegen, das Feindbild vom "hässlichen Deutschen", in diesem Falle reduziert auf den Westdeutschen, zu kultivieren. Dadurch hoffte die isolierte kommunistische Partei den verlorenge­gangenen Konsens mit großen Teilen der Gesellschaft wiederzugewinnen. "Die antideutsche Karte", so der be­kannte frühere polnische Oppositionelle Lipski, ist - nicht ohne Wirkung zu hin­terlassen - bis in die jüngste Vergangen­heit hinein von der polnischen Regie­rung gezogen worden. Aus diesem Grund zählten Hupka und Czaja als füh­rende Köpfe der Vertriebenenverbände noch in den 80er Jahren in Polen mit zu den bekanntesten Deutschen.

Brüderliche Abschottung - das schwierige Verhältnis zwischen Polen und der DDR

Auf den ersten Blick hätte sich in den Nachkriegsjahrzehnten am ehesten zwi­schen der DDR und Polen ein Aussöh­nungs- und Verständigungsprozess ent­wickeln können. Die Westgrenze Polens wurde bereits 1950 anerkannt und ein Friedensvertrag (Görlitzer Vertrag) un­terzeichnet. Auch reklamierte die DDR für sich, der bessere, antifaschistische Teil Deutschlands zu sein. Zu einer Freundschaftsgrenze entwickelten sich die Oder und Neiße jedoch nicht. Die vertraglichen Vereinbarungen entspra­chen eher übergeordneten politischen Pflichterfüllungen in der sozialistischen Staatengemeinschaft denn dem Wunsch nach wirklicher Annäherung. Kontakte gab es nur unter der Aufsicht der Partei; privater Austausch wurde lange Zeit eher behindert als gefördert. Obwohl die politischen Rahmenbedingungen zunächst durchaus Ähnlichkeiten auf­wiesen, entwickelten sich beide Gesell­schaften, aber auch beide kommunisti­schen Parteien zunehmend auseinander. Der nach 1956 von den polnischen Kommunisten eingeschlagene "polnische Weg zum Sozialismus" wurde von der DDR-Staatspartei als re­visionistische Abweichung verurteilt. Die Grenze zwischen beiden Staaten blieb für den visafreien Reiseverkehr bis 1971 ge­schlossen. Sie sollte dann zehn Jahre später erneut von der DDR ge­schlossen werden, aus Schutz vor einem Über­schwappen des "polnischen Bazil­lus".

Erste Annäherungen und neue Ver­stimmungen - zur Entwicklung der Beziehungen zu beiden deutschen Staaten in der Zeit der Entspan­nungspolitik

In den 70er Jahren brachten die teil­weise Westöffnung Polens und die da­mit verbundenen neuen Reisemöglich­keiten Bewegung in die deutsch-deutsch-polnischen Verhältnisse. End­lich konnte die DDR ohne Visum be­sucht werden und auch das Tor zum westlichen Deutschland öffnete sich mehr und mehr. Das Bild von den Deut­schen verlor an Geschlossenheit und be­gann sich unter dem zunehmenden Einfluss einer sich organisierenden System­opposition zu spalten. Neue Vorur­teilszuweisungen konnten jedoch nicht verhindert werden:

Der westliche Teil Deutschland übte mit seinem überall sichtbaren materiellen, aber auch sozialen Wohlstand für die Ost-Westreisenden eine ungleich höhere Anziehungskraft aus als das realsoziali­stische Einerlei in der DDR, dessen Nachteile man in Polen schon allzugut kennengelernt hatte. Auch bei denen, die nicht die Möglichkeit zu einem Westbesuch hatten, überlagerte der Mythos vom "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" in Zeiten zunehmender eigener ökonomischer Not alte, histo­risch bedingte Ängste vor den Deut­schen.

Es prägte sich ein gespaltenes Deut­schenbild in Polen aus, das die offizielle Darstellung interessanterweise genau auf den Kopf stellte: Bei den Bundes­deutschen lobte man die vorbildliche Einstellung zur Arbeit, die Effizienz der Wirtschaft, die gesellschaftliche Diszi­plin und insgesamt die demokratischen Errungenschaften der BRD. Bei den DDR-Bürgern entdeckte man - bei oft den gleichen Charaktereigenschaften - Kleingeistigkeit, eine Untertanenmenta­lität und insgesamt bei den "roten Preu­ßen" Überbleibsel des preußisch-deut­schen Militarismus. Viele junge Polen verglichen die DDR-Gesellschaft mit der totalitären Vision in Orwells Buch "1984". Die Protestbewegung im Herbst 1989 war zu klein und zu kurzatmig, als daß sie dieses Bild der obrigkeitsgehor­samen DDR-Bürger in Polen hätte auf­lösen können. Es wirkt bis heute nach.

Ängste und Hoffnungen

Heute beunruhigt viele Polen nicht so sehr die militärische Bedrohung seitens des vereinigten Deutschland, sondern vielmehr die ständig wachsende Wohl­standsgrenze an Oder und Neiße. Die Angst vor einer Kolonialisierung durch die Deutschen ist groß. In düsteren Zu­kunftsvisionen - die angesichts der bis­lang ausgebliebenen wirtschaftlichen Gesundung immer häufiger zu hören sind - wird Polen als der Hinterhof Deutschlands beschrieben und vor einer möglichen Lateinamerikanisierung, d.h. einer zunehmenden Verelendung Polens im Schatten des Weltmarktes, gewarnt. Werden Polen auch in Zukunft wieder in die Rolle des dienenden Arbeiters für deutsche Herren zurückgedrängt wer­den? Bis in die Parlamente ist das Misstrauen vor allem gegenüber deutschen Kapitalanlegern in Polen spürbar: Zwar sind fast alle Gruppierungen in den bei­den Kammern des Parlaments der Mei­nung, daß ohne die Öffnung gegenüber ausländischem Kapital die erstrebte An­näherung an die europäische Wirt­schaftsgemeinschaft nicht zu realisieren ist. Gleichzeitig warnen jedoch viele vor einem Ausverkauf Polens.

Diese Ängste stützen sich zum Teil auf die Erfahrungen hunderttausender Sai­sonarbeiter, die in den letzten Jahren als Arbeiter zumeist 2. oder 3. Klasse in Deutschland und anderen westeuropäi­schen Ländern den Lebensunterhalt für ihre in Polen zurückgelassenen Familien sichern konnten. Auch in den Touri­stenhochburgen im Land erfahren ange­sichts des eng bemessenen Reisebudgets viele polnische Urlauber gegenüber deutschen Touristen eine Deklassierung. Inzwischen ist bei einigen ein Minder­wertigkeitsgefühl gegenüber den mate­riell viel reicheren Deutschen entstan­den, das als Kompensation neue Feind­bilder gegenüber den Deutschen produ­zieren kann.

Gerade in der jüngeren und mittleren Generation ist jedoch die Bereitschaft, offen und unbefangen auf die Deutschen zuzugehen, vorhanden. Noch nie in der Nachkriegsgeschichte war z.B. das In­teresse, deutsch zu lernen, so groß, wie es zur Zeit ist. In den Schulen wird ab dem Schuljahr 1991/92 die bisherige Pflichtsprache Russisch durch eine westliche Fremdsprache ersetzt. Neben Englisch wählen die meisten Schüler Deutsch. Die junge, neugierige Genera­tion sucht in der Regel den Kontakt auch zu den Deutschen, ohne die Ver­gangenheit ver­gessen zu wollen.

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Thomas Handrich ist pädagogoischer Mitarbeiter der Internationalen Begegnungsstätte Jagdschloß Glienicke (IBJG).