Bemerkungen über die Begegnung von Deutschen und SerbInnen in Aktionen der Friedensbewegung

Apartheid für den Frieden?

von Wilfried Kerntke
Schwerpunkt
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25. März 1999 (Tag 1 nach Beginn der Bombardierung): Demonstration auf dem Frankfurter Paulsplatz gegen die Bombardierung Jugoslawiens. Der DGB hat aufgerufen, gekommen sind viele JugoslawInnen und wenige Deutsche. Die Organisatoren beim DGB zeigen sich anschließend pikiert über die lautstarke Präsenz der Jugoslawen. 18.April (Woche 4 nach Beginn der Bombardierung): Gewaltfreie Blockade des britischen Lufwaffenstützpunktes Brüggen bei Mönchengladbach, von dem aus täglich Tornados in Jugoslawien Einsätze fliegen. Aufgerufen habe ich selbst gemeinsam mit Anderen. Auf dem Sammelplatz finden sich vor Beginn der Aktion etwa 100 deutsche Friedensbewegte ein sowie etwa 100 jugoslawische DemonstrantInnen. Fast alle JugoslawInnen tragen an ihrer Kleidung das "Target"-Zeichen, die Zielscheibe. Eine deutsche Teilnehmerin verlangt erregt, das Target-Zeichen dürfe nicht getragen werden, es sei ein menschenverachtendes Symbol staatlicher serbischer Volksverhetzung und außerdem mit seiner Aufforderung zum Schießen dem Ziel der Friedensbewegung genau entgegengesetzt. Ich als Organisator solle dafür sorgen, dass die Zeichen verschwinden.

Was ist los? Es handelt sich nicht um Einzelfälle - die Frankfurter Rundschau berichtete nach den Ostermärschen in großer Aufmachung (Titelseite, gesamtes unteres Drittel) darüber, dass viele Gruppen der Friedensbewegung sehr verstimmt sind über das Auftreten serbischer DemonstrantInnen. Was geschieht hier? Ich denke, es sind mehrere eng verwandte Ströme, die sich in solchen Vorfällen vereinen. Natürlich haben auch Menschen in der Friedensbewegung das Bild von "den Serben" verinnerlicht, das von den westlichen Medien propagandistisch verbreitet wurde und wird; Teil dieser Propaganda ist die Behauptung, Proteste gegen den Krieg seien in Serbien staatlich gelenkt und ausschließlich staatlich gelenkt - jeder Demonstrant ein Regierungstreuer. Die Absicht dieser Propaganda ist natürlich durchschaubar (dann könnte man nämlich meinen, die nicht Regierungstreuen freuten sich etwa über die Bomben..), dennoch leuchtet sie hierzulande offenbar vielen Menschen ein, und zwar auch in der Friedensbewegung. Welche Form des Umgangs hat die Friedensbewegung denn gefunden mit Angehörigen des Landes, das von deutschem Militär nun zum dritten Mal überfallen wird? Bislang keine? Oder eine schlechte? Wenn man die Serben schlicht und einfach nur als die Opfer sehen könnte, wäre die Sache (vielleicht) anders. Wir alle haben jedoch ein "ja, aber" im Kopf mit dem Gedanken an die Menschen im Kosovo und ihr Leiden unter staatlicher Repression und untereinander. Niemand von uns möchte sich in dieser Situation Einseitigkeit vorwerfen lassen. Und genau dieses Bedürfnis nach abwägenden Aussagen bietet den Punkt, an dem die westliche Propaganda auch bei uns greifen kann: Wir meiden alle Menschen, die nicht die gleiche wohlerwogene Ausgewogenheit vortragen und damit ist die Wahrscheinlichkeit bei Null, dass wir Kontakt zu Serben aufnehmen. Ich halte das für falsch, für unmenschlich. Wir Deutschen leben seit langem in der Komfort-Zone, ökonomisch und gesellschaftlich. Da gedeihen Differenzierungen, mehrperspektivische Sichten und Ansätze zu einer Kultur der Gewaltfreiheit - bei einem winzigen Prozentsatz der Bevölkerung. Viele SerbInnen in Deutschland, bislang von uns nicht eingeladen in diesen kleinen Kreis, haben diese Entwicklung nicht mitvollzogen, sondern sind, was Differenzierungen anbelangt, vielleicht eher auf dem Stand des maßvollen Mittelfeldes der deutschen Bevölkerung (und wo sie darüber hinausgehen, bemerken wir es nicht, weil wir keinen Kontakt haben...) Sie sind keine zertifizierten fundamentaloppositionellen Pazifisten, sondern größerenteils wohl ganz normale Menschen. Aber sie unterscheiden sich von der ganz normalen deutschen Bevölkerung dadurch, dass ihr Land von Deutschland militärisch überfallen wird. Finden deutsche Friedensbewegte einen Zugang zu den hier lebenden Angehörigen des überfallenen Landes? Unser Anliegen, den Krieg zu stoppen, ist ehrlich. Können wir dabei eine Gemeinsamkeit finden mit den Angegriffenen? Oder stellen wir tausend Bedingungen, die eine Serbin erfüllen muss, damit wir uns in der Öffentlichkeit mit ihr sehen lassen? Ich bin in den letzten Jahren (nicht erst in den letzten Wochen) bitter geworden über diesen Punkt. Mein Eindruck ist: Das Bedürfnis nach der friedenspolitischen Korrektheit, der Wunsch, unangreifbare Ausgewogenheit darzustellen, ist eine unheilvolle (und unreflektierte, dabei desto wirksamere) Beziehung eingegangen mit der Propaganda der hiesigen Kriegstreiber, und das läuft ganz schlicht und platt darauf hinaus: "Lass` Dich nicht mit Serben blicken, sonst giltst Du nicht mehr als politisch korrekt." (einzige Ausnahme bilden dann Angehörige derjenigen serbischen Oppositions-Initiativen, die diese Bedürfnis-Landschaft bedienen). Das wäre wirklich elend, zeigte es doch, dass wir mit unserem jahrzehntelangem Streben nach grundsätzlich anderen Standards uns letztlich kaum einen Finger breit vom mainstream dumpfdeutschen Sinnes entfernt hätten. Das will ich so nicht wahrhaben. Ich rufe mir zu: wer in widersprüchlichen Verhältnissen für die Opfer von Angriffen eintritt, macht sich angreifbar. Und: wer sich durch Ausgewogenheit unangreifbar machen will und dadurch mehr dem Zentimetermaß als seinem Herzen folgt, bedient letztlich, wenngleich wider Willen, die Kriegslogik, die auf Distanz und Verhinderung von Kontakt zwischen den Völkern angewiesen ist. Also: ertrage es, angreifbar zu werden! Wie können wir uns verhalten? Etwa eine halbe Million SerbInnen leben in Deutschland (Schätzungen sind schwierig, aber das ist etwa die Größenordnung). Durch neun lange Jahre sind sie immer weiter verstummt unter dem gemeinsamen Angriff durch deutsche Regierungs-Rethorik und friedensbewegte political correctnes. Jetzt machen viele dieser SerbInnen den Mund erstmals wieder auf, artikulieren sich gegen den Krieg. Das stellt für mich einen Wert dar. Hier bietet sich nun die Gelegenheit für konstruktive Auseinandersetzung und auch für gemeinsames Handeln (beides nutze ich in Jugoslawien seit 1993). Ich halte es für fatal, diese ersten Äußerungen zu zensieren, abzustrafen ("so dürft ihr aber nicht, das entspricht nicht unserer gewaltfreien Etikette") und an den Rand zu drängen. Was muss noch alles passieren, bevor wir mit Serben reden ohne ihnen hundert Vorbedingungen zu stellen? Und anders: welche Kraft könnte es entfalten, wenn wir in Deutschland zu gemeinsamem Reden und Handeln kommen! Welche Chancen, die Bilder voneinander zu überprüfen und zu revidieren! Das könnte der Schritt sein, der die deutsche Friedensbewegung auch in ihrem Verhalten zu Serbien emanzipiert aus der Prägung durch die westliche Kriegspropaganda - und damit umgekehrt den Anderen eine ähnliche Chance gibt, sich von ihren Stereotypen zu lösen. Der Ruf nach ziviler Konfliktbearbeitung und nach Kooperation an Stelle von Krieg, nach Verhandeln statt Kämpfen - dieser Ruf klingt hohl, wenn solche naheliegenden Chancen zu Dialog und Kooperation nicht jetzt genutzt werden. Meine Erfahrung bei den Demonstrationen und Aktionen in den vergangenen Wochen war immer wieder: wenn ich auf die beteiligten SerbInnen zugehe und ihnen signalisiere, dass sie willkommen sind, ernte ich Gesprächsbereitschaft und auch Neugier auf die Formen, die wir anzubieten haben für ihre Beteiligung. Jugoslawische Verbände, Vereine, serbische Gemeinden, sind nach meiner Erfahrung offen und herzlich interessiert am Gespräch mit deutschen Gästen (mit denen längst niemand mehr rechnet - das Erstaunen ist jedesmal groß). Es geht dabei für mich nicht darum, unkritisch und unterschiedlslos gemeinsame politische Sache zu machen - das wird mir gerne unterstellt - sondern vielmehr darum, durch Einfühlung in die Situation von SerbInnen in Deutschland überhaupt Zugänge zu finden, die eine sinnvolle Auseinandersetzung ermöglichen. Nach der Blockadeaktion in Brüggen am 18.4. schlug einer der Teilnehmer vor, bei der Planung der nächsten Aktionen runde Tische einzurichten für die gleichberechtigte und verständigungsorientierte Kommunikation mit jugoslawischen Teilnahme-InteressentInnen. Das halte ich für einen Schritt in die richtige Richtung, und ich rege an, in Verbindung mit solchen Schritten unsere eigene friedensbewegte Haltung zu überprüfen zu den Angehörigen des Volkes, das gerade von unserem Militär überfallen und bombardiert wird.
 

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Dr. Wilfried Kerntke, Mediator und Organisationsberater, lebt in Offenbach am Main.