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Rückkehr der Zwangsarbeit?
Arbeit statt Sozialhilfe: eine Bestandsaufnahme
vonZwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig (Grundgesetz, Artikel 12 Absatz 3).
Wer Sozialhilfe. bekommen will, ist gesetzlich verpflichtet, "seine Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts einzusetzen" (Bundessozialhilfegesetz, BSHG). Geht das nicht über den Arbeitsmarkt, "sollen nach Möglichkeit Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden"; das BSHG sieht die Heranziehung zu gemeinnütziger Arbeit vor.
Um "einen arbeitsentwöhnten Hilfesuchenden an Arbeit zu gewöhnen oder die Bereitschaft eines Arbeitssuchenden zur Arbeit zu prüfen, soll ihm hierfür eine geeignete Tätigkeit angeboten werden". Als geeignet werden "Arbeitskolonien, halboffene Einrichtungen sowie besonders ausgewählte und überwachte Arbeitsstellen" empfohlen. "Wer sich weigert, zumutbare Arbeit zu leisten, hat keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt", heißt es schließlich klipp und klar im BSHG. Zumutbar ist alles, wozu jemand "körperlich und geistig" in der Lage ist.
Anfang der 80er Jahe versuchten viele Städte und Gemeinden, Sozialhilfeempfängerlnnen auf dieser Grundlage zur Zwangsarbeit heranzuziehen. Das hieß in der Regel Schneeschippen im Winter, Laubfegen und Unkrautjäten auf Friedhöfen und in Parkanlagen, Windelnbügeln in Großwäschereien und ähnliches. Statt Lohn gab's eine "Mehraufwandsentschädigung" von einer bis drei Mark pro Stunde zusätzlich zur Sozialhilfe. Diese Praxis geriet in die Kritik und wurde deshalb von den meisten Kommunen wieder aufgegeben und durch diskretere Instrumente zur Durchsetzung des Arbeitszwangs ersetzt. In Bielefeld beispielsweise wurde die "Zwangsarbeit" 1984 auf Initiative des SPD-Grüne-Stadtrats durch das Programm "Arbeit statt Sozialhilfe" abgelöst.
Zwar hat sich dieses Konzept durchaus im Sinne seiner Befürworter bewährt, doch wird es offensichtlich den neuen Anforderungen nicht mehr gerecht, Sozialausgaben zu senken und zu diesem Zweck eine größere Zahl von Leuten auf den Billiglohn-Arbeitsmarkt abzudrängen. Deshalb hat die bürgerliche Ratsmehrheit beschlossen, daß ''junge arbeitslose Obdachlose verstärkt zu gemeinnützigen Arbeiten herangezogen werden" sollen. Motto: Erst die Punks, dann die Sozialhilfeempfänger und zuletzt alle Arbeitslosen sollen von der Straße geholt werden. Zuerst wird an einer kleinen Gruppe die Durchsetzbarkeit der Maßnahmen getestet, um sie dann, wenn sich kein Widerstand regt, auf andere Gruppen auszudehnen. Nach demselben Muster ist Anfang 1982 der West-Berliner Sozialsenator Ulf Fink verfahren, als er in einem "Modellversuch" pakistanische Flüchtlinge zwangs-verpflichtete, Winterstreu-Granulat von Berlins Straßen zu fegen. Anschließend wurden auch deutsche Sozialhilfeempfänger zur Verrichtung "gemeinnütziger und zusätzlicher" Arbeit gezwungen; was dann für andere Städte Signal-wirkung hatte. In Berlin wurden von Juli 83 bis März 84 12.000 Personen zur Aufnahme solcher Arbeit aufgefordert, wodurch es auch gelang, die Zahl der Sozialhilfeempfänger zu drücken. Seinerzeit ließ Ulf Fink ausrechnen, daß das Land Berlin jährlich 4,5 Millionen Mark sparen würde, wenn 500 Sozialhilfeempfänger auf weitere Hilfe verzichten würden.
Fazit: Die Sozialhilfe soll so abschreckend wie möglich gestaltet werden, um -möglichst viele Leute dazu zu bewegen, "freiwillig" aus dem Sozi-Bezug auszusteigen und "richtig" zu arbeiten - in mies bezahlten, sozial nicht abgesicherten Teilzeit- oder Gelegenheitsjobs. Und obendrein sollen sie durch ein Überangebot von Arbeitskräften die Löhne niedrig halten. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen und damit auch die der Sozialhilfeempfänger steigt stetig. Statt auf Arbeitsplatzsicherung setzt die Bundesregierung auf soziale Kürzungen und verpflichtet die Kommunen, die Sozialhilfeempfänger zur Zwangsarbeit zu erpressen. Die auf Sozialhilfe Angewiesenen haben keine Wahl. Wenn sie dem Programm "Arbeit statt Sozialhilfe“ nicht folgen, wird ihnen mit Kürzung der dürftigen Sozialhilfe gedroht. Und das kann man eigentlich nur als Erpressung bezeichnen.
Eine "Kampagne gegen Zwangsarbeit und Pflichtdienste" wollen die Teilnehmer einer Konferenz des Neuen Forums in Gang bringen. Kontakt: Neues Forum, Demmeringstraße 40, 04177 Leipzig, Tel. Di/Do (03 41) 47 55 03.
(aus tilt 1/94)
Gerold Hildebrand arbeitet bei der Kampagne gegen Zwangsarbeit und Pflichtdienste.