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Archaische Kämpfer
vonDer Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Wilfried Penner, legte seinen Jahresbericht 2003 am 09.März 2004 vor. Laut seinem Bericht gab es 93 Fälle von angezeigtem Mobbing, 83 besondere Vorkommnisse mit Verdacht auf Verstoß gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, 139 besondere Vorkommnisse mit Verdacht auf rechtsextremistischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund und 39 Todesfälle mit Verdacht auf Selbsttötung. Die Aufgabe des Wehrbeauftragten ist es, als parlamentarische Kontrollinstanz die Grundrechte der Soldaten zu schützen und die Einhaltung der Grundsätze der Inneren Führung zu achten. Er soll eingeschaltet werden oder von selbst tätig werden, wenn sich SoldatenInnen benachteiligt und ungerecht behandelt fühlen oder in ihren Grund- und Menschenrechten verletzt werden.
Die jährlichen Berichte stellen unserer Ansicht nach aber nur die Spitze des Eisbergs dar und sind zudem oft verharmlosend und verfälscht. Im diesjährigen Bericht werden beispielsweise gewalttätige Angriffe auf Kameraden und Untergebene unter dem Kapitel "Umgang mit Alkohol und Drogen" versteckt. Der Wehrbeauftragte tritt vielmehr als Fürsprecher der Aufrüstung und des Umbaus der Bundeswehr für Auslandseinsätze auf und beklagt beispielsweise Ausrüstungsdefizite und soziale Härten für Soldaten in Zusammenhang mit den Einsätzen. Deutlich wird auch, dass eine tatsächlich zivile unabhängige Kontrolle der Streitkräfte nicht erwünscht ist. Viele Wehrpflichtige, die aus der Kaserne zu uns in die Beratung kommen, wissen nichts von den Möglichkeiten, wie sie sich gegen Übergriffe von Vorgesetzten oder so genannten Kameraden schützen können. Vieles wird verschwiegen, vieles unter den Teppich gekehrt.
An dieser Stelle möchten wir einige Beispiele vorstellen, die uns im letzten Jahr berichtet wurden. Der Wehrbeauftragte erlangte keine Kenntnis davon, weil die Betroffenen in der Kaserne Repressionen befürchteten:
1. Soldaten erhielten keinen Zugang zum Arzt oder nur erschwerten Zugang. So durften Grundwehrdienstleistende, die sich am Dienstag oder Mittwoch krank gemeldet haben, erst an einem dienstfreien Freitag zum Truppenarzt.
2. Soldaten, die vom Truppenarzt dienstkrank bzw. vom Marsch-, Sport- und Geländedienst (MSG) befreit geschrieben waren, wurden auf dem Flur ihres Kompaniegebäudes zur Ausbildung auf dem Steinfußboden gezwungen. Dort mussten sie Alarmposten, Bewegen und Verhalten im Gelände unter Tarnung und in voller Kampfmontur üben.
3. Ein Grundwehrdienstleistender (einberufen zum 1. April 2003) stellte nach einem Monat Dienst einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Diesen gab er nach Rücksprache mit höheren Vorgesetzten bei seiner Einheit ab. Ihm wurde Unterstützung von der Einheit zugesichert. Die Truppe leitete diesen Antrag aber nicht an das für die Kriegsdienstverweigerung zuständige Kreiswehrersatzamt weiter. Vier Monate verschleppte sie diesen Antrag. Insgesamt musste der Kriegsdienstverweigerer bis zu seiner Anerkennung über 6 Monate auf der Stube sitzen, musste für die Vorgesetzten das Zimmer putzen, Toiletten reinigen und den persönlichen Laufburschen spielen.
4. Ein Unteroffizier mit Portopee weist bei der Sanitäts-Ausbildung darauf hin, dass es auf Grund der Genfer Konvention verboten ist, entsprechend gekennzeichnete Verwundeteneinrichtungen zu bekämpfen. Gleichzeitig erklärt er, dass im Krieg darauf keine Rücksicht genommen wird: "Machen wir uns mal nichts vor. Ich würde auch auf ein Verletztenlager schießen."
5. Eine Stube, die den Zeit- und Berufssoldaten als privater Geselligkeitsraum (Tankstelle) dient, wird "Adlerhorst" genannt. So bezeichnete Hitler sein Führerhauptquartier bei Ziegenberg.
6. Innerhalb einer Kompanie tragen die freiwilligen Soldaten ihre Namensschilder in altdeutscher Schrift.
- Einzelne Äußerungen von Vorgesetzten, die Schulen als "Zeckenschule" bezeichnen, zeigen deren Gesinnung.
- Verherrlichung von Wehrmachtssoldaten durch ständigen Vergleich von Grundwehrdienstleistenden mit den Soldaten des 2. Weltkrieges (damals gab es die besseren Soldaten)
- Die ABC-Schutz-Ausbildung wird als "Eichmann-Übung" bezeichnet.
Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Wir gehen davon aus, dass im Rahmen der weiteren und ausschließlichen Umstrukturierung der Bundeswehr zu Auslandseinsätzen der Ton und die Ausbildung rauer und grundrechtsverletzender sein wird.
Der neue Inspekteur des Heeres, Hans-Otto Budde: "... Wir brauchen den archaischen Kämpfer und den, der den Hightech-Krieg führen kann ... Um archaisch zu kämpfen, muss auf die niederen Instinkte gesetzt werden."
All diesen Tendenzen treten wir entgegen und bitten alle LeserInnen um Unterstützung und Mithilfe! Als Initiative für ein Bundeswehr-Monitoring möchten wir alle KDV-Beratungs- und Friedensgruppen, BI`s und antirassistische Gruppen darum bitten, Informationen sowohl über die Behandlung als auch über das Auftreten von Soldaten, über das sogenannte Traditionsverständnis und alles was euch auffällt, zu sammeln. Wir möchten diese Informationen dokumentieren, auswerten und - wenn möglich - in Zukunft antimilitaristische Jahresberichte herausgeben. Nach dem Vorbild "Bürger beobachten die Polizei" ist eine Beobachtung der Bundeswehr überfällig.
Kontakt: Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär, Kopenhagener Str. 71, 10437 Berlin, Ansprechperson: Michael Behrendt