Armeeabschaffung und Volkabstimmung

von Gerald Häfner

Ohne eine angemessene Strategie, die das Instrument der Volkabstimmung miteinbezieht, bringt sich die BoA von vornherein um einen großen Teil ihere Wirksamkeit.
Die Demokratiefrage
Immer mehr Menschen reicht es nicht aus, alle vier Jahre wählen zu gehen. Sie lassen sich nicht damit zufriedenstellen, in vier-jährigen Abständen ihre Stimme im wahrsten Wortsinn abzugeben und dann wieder zuzuschauen, wie die Bonner Politiker ihre Ängste mißachten, ihre Interessen übergehen und ihre Zukunft verplanen. Sie wollen an wichtigen sie betreffenden Fragen selbst teilhaben: Mitreden und mitentscheiden.
So haben nach Tschernobyl 600 000 Menschen in der Bundesrepublik die Forderung nach genereller Einführung eines Volksentscheides und nach einer Volksabstimmung über den Ausstieg aus der Atomenergie unterschrieben. Mehr und mehr Initiativen kämpfen, landauf, landab, für die generelle Forderung nach Einführung des Volksentscheides. Diese Forderung wird vom Grundgesetz gestützt. Dort nämlich heißt es: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volk in Wahl und Abstimmung ... ausgeübt." (Artikel 20, 2 GG). Ein Bundeswahlgesetz, für sein Zustandekommen unerläßlich, hat der Bundestag schon sehr früh beschlossen. Ein Bundesabstimmungsgesetz, das die Machtfülle der politischen Parteien wiederum etwas begrenzen und der Bevölkerung ein Initiativ- und Kontrollinstrument in die Hände gäbe, hat er bislang, trotz des klaren Verfassungsauftrages, der eigenen Bevölkerung vorenthalten. Die Forderung nach Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid war immer von Initiativen vertreten, wird bei allen diesbezüglichen Umfragen von etwa zwei Drittel der Bundesbürger unterstützt.
Das Vorbild: Die Initiative "Schweiz ohne Armee"
Die Initiative "Schweiz ohne Armee" wäre ohne das Instrument der Volksabstimmung nicht denkbar und niemals so erfolgreich gewesen. Sie wäre in dieser Form ohne Volksabstimmung gar nicht denkbar. Und auch für die Bundesrepublik gilt, daß bloße Appelle ebenso wie Proteste, Demonstrationen, Petitionen und Kampagnen immer wirkungsloser werden, wenn sie sich nicht auf neue Instrumentarien besinnen.
Die Volksabstimmung war das Instrunent, durch das jede/r Schweizer/in mit der Armeeabschaffungsforderung konfrontiert werden konnte. Sie hat jede/r gezwungen, sich dazu eine Meinung zu bilden und diese in der abschließenden Volksabstimmung öffentlich zu dokumentieren. Gerade die Chance, daß es nicht bei einer unverbindlichen Meinungsäußerung bleiben würde, sondern daß das Ergebnis dieser Abstimmung bindende Rechtskraft für alle staatlichen Organe haben würde, schuf die Brisanz des Vorganges. Als ich als Vorstandsmitglied der "Europäischen Initiative für direkte Demokratie" vor etwa fünf Jahren mit den Initiatoren der BoA über ihr Projekt sprach, fand ich es zwar inhaltlich ganz hervorragend, gab ihm aber kaum Chancen. Sicher hat die Armee in der Schweiz noch einen ganz anderen Stellenwert als bei uns. Dies hat auch Gründe in der Geschichte: Die Schweiz hat an den großen Weltkriegen nicht teilgenommen, nicht die dramatischen Zerstörungen und die vielen Millionen Toten erlebt, wie es in der Bundesrepublik und anderen mitteleuropäischen Ländern der Fall war. Sie hat auch nicht die gleiche Schulden in der Geschichte. Das Militär wird dort eher mit Wilhelm Tell und der schweizer Unabhängigkeit verbunden, als mit dem Holocaust und den dramatischen Vernichtungskriegen dieses Jahrhunderts. Uniformen, Waffen, Wehrübungen und Militär ganz allgemein sind in der Schweiz sehr viel stärker in das alltägliche Leben integriert und weitaus weniger umstritten als bei uns. Meine Skepsis wurde von den Initiatoren geteilt. "Trotzdem", sagen sie: "Die Abstimmungsinitive "Schweiz ohne Armee" bietet uns die Möglichkeit, über mehrere Jahre permanent in der Schweizer Öffentlichkeit über Sinn und Zweck der Schweizer Armee zu diskutieren. Auf diese Weise muß sich jeder dieser Frage stellen und niedermand kann ihr ausweichen. Wenn wir am Ende 5% bekommen, ist es schon ein guter Erfolg. In fünf oder zehn Jahren machen wir dasselbe wieder, und dann bekommen wir schon das Doppelte."
Und genauso lief es. Niemand konnte sich in der Schweiz der Debatte über den Sinn der Armee mehr entziehen. Sie wurde in jede Wohnstube, in jeden Betrieb, an jeden Stammtisch getragen. Auch ich konnte das bei meinen wenigen Besuchen in der Schweiz erleben. Und am Ende bekam die Initiative nicht fünf, sondern mehr als 36% - eine Sensation! Hierzu trug - neben der Kampagne selbst - sicher auch die veränderte politische Lage bei: Niemand konnte nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes den Sinn der aberwitzigen Rüstung, des endlosen Wehrdienstes, der zahllosen Wehrübungen und der Vergeudung und Zerstörung schon im Frieden noch begründen. Die Kampagne war also gerade zur rechten Zeit gekommen.

Wenn wir jetzt die Armee nicht abschaffen - wann dann?
Das gilt aber auch - und zwar noch sehr verstärkt - für die Bundesrepublik. Dieses Land, das zwei entsetzlichene Kriege heraufbeschworen und unsägliches Lied in ganz Europa und darüber hinaus verursacht hat, hat keinen Grund mehr, eine Armee zu unterhalten. Es gibt objektiv keine Bedrohung mehr, mit der eine bundesdeutsche Armee - oder die Truppen von Besatzungsmächten auf bundesdeutschem Terretorium - gerechtfertigt werden könnte. Es gibt nichts, worauf eine Armee eine Antwort sein könnte. Im Gegenteil: Gerade wenn, wie abzusehen - durch die Vereinigung der beiden deutschen Staaten ein sehr viel größerer Staat im Herzen Europas entstehen sollte, hat dieser nur ohne Waffen eine Daseinsberechtigung. Ein neues, waffenstarrendes Großdeutschland darf es nicht geben, es kann und darf auch von seinen Nachbarn nicht zugelassen werden. Niemals also war die Initiative zur Abschaffung der Armee gleichermaßen nötig wie möglich und chancenreich, wie heute. Wenn es heute nicht gelingt, dieses Ziel durchzusetzen - wann dann? Und vor allem: Was bedeutet es für unsere Nachbarn und für ganz Europa, wenn nicht ein friedlicher, auf Verständigung und Toleranz setzender, sondern ein mächtiger und waffenstarrender Staat entsteht sollte?

Nicht zu niedrig hängen!
Umso wichtiger ist eine gute, den Erfolg suchende Strategie. Wenn die Initiative "Schweiz ohne Armee" so erfolgreich war, so auch deshalb, weil sie sich so stark wie möglich auf das sachlich, gemeinsame Ziel konzentriert und auf ideologisches Beiwerk unterschiedlichster Herkunft und Intention fast vollständig verzichtet hat. So konnten Unterstützer/Innen bis weit in bürgerliche Kreise hinein gefunden werden. Auch für die BoA wird entscheidend und lebenswichtig sein, ob es ihr gelingt, die Forderung so zuzuspitzen, daß alle Reste alter Ideologien und Eierschalen von ihr abfallen und nur das von allen in ihr zusammengeschlossenen Gruppen beschlossene Ziel im Vordergrund steht.
Dazu gehört aber auch die Frage der Strategie. Eine Kampagne, die sich von vornherein auf einen Appell beschränkt, halte ich für aussichtslos und dem historischen Punkt, an dem wir stehen, nicht angemessen. Eine BoA-Kampagne kann nicht nur eine Bitte an die Herrschenden sein, sie mögen doch bitte die Armee einmal abschaffen. Sie wissen genau, daß sie dies nicht tun werden. Die BoA wird nur Erfolg haben, wenn sie ihre Forderung und ihren Anspruch verschärft. Wir wollen es nicht mehr den Politikern und Militärs alleine überlassen, ob es ein Militär in der Bundesrepublik gibt oder nicht. Wir wollen - gerade weil wir verantwortlich sind für alles, was in diesem Land und im Namen dieses Landes geschieht, über diese wichtigsten gegenwärtigen Fragen selbst entscheiden.
Unsere Adressaten sollten daher auch nicht nur die Politiker sein. Unsere Adressaten sind alle Menschen. Sie alle, jede/r von Ihnen muß die Entscheidung treffen: Sind wir bereit, ohne eine Armee zu leben oder nicht. Wenn es uns nicht gelingt, die Menschen selbst zu erreichen und von der Richtigkeit unserer Forderung zu überzugen, werden wir im politischen Raum niemals Erfolg haben. Auch dann nicht, wenn wir auf die Forderung nach Volksabstimmung verzichtet.
Es gibt aber keinen Grund, dies zu tun. Im Gegenteil: Die Kampagne kann durch die Forderung nach Volksabstimmung nur an Brisanz und Wirkung gewinnen. Es hat eben einen völlig anderen Charakter, wenn etwas mit dem Anspruch auftritt, demokratisch und von allen entschieden zu werden oder wenn es bloß ein Appell, eine unverbindlich Kampagne mit Unterschriftensammlung bleibt. Ich möchte deshalb alle InitiatorInnen, MitarbeiterInnen und UnterstützerInnen der Kampagne BoA auffordern, die Forderung nach einer Volksabstimmung über die Armeeabschaffung in unsere Kampagne mit aufnehmen. Es war und ist mir bis heute ohnehin unverständlich, warum dies, nach den großartigen Erfahrungen der Schweitzer, unterblieben ist. So hat unsere Kampagne bis heute nicht die Bedeutung, den Ernst und die Brisanz, die sie haben könnte und müßte.
Das läßt sich - hoffentlich - noch korrigieren.
 

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