Atomwaffen abschaffen - in Büchel anfangen!

von Regina Hagen
Initiativen
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Fast ein Gefühl von Familientreffen kam auf bei der Jahrestagung des Trägerkreises "Atomwaffen abschaffen" Mitte Oktober in Cochem. Das goldene Oktoberwetter und der weinselige Tourismus des Moselstädtchens boten einen seltsamen Kontrast zu den Vorträgen und Diskussionen im nüchternen Bürgerhaus. Aber irgendwie passte es dann doch.

Wenige Kilometer von Cochem entfernt "beheimatet Rheinland-Pfalz die letzten taktischen Atomwaffen" auf deutschem Boden, bestätigte Dietmar Rieth die Ortswahl für die Jahrestagung. Der Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/Grüne in Rheinland-Pfalz, Mitglied auch im Parteirat von B90/G, versprach, dass seine Partei weiterhin am Ziel der Abschaffung sämtlicher Massenvernichtungswaffen festhalte, das im Koalitionsvertrag mit der SPD vor einem Jahr festgeschrieben wurde.

Freimütig bekannte er, er habe vor der Tagung erst einmal "die Sprachregelung der Partei zu Atomwaffen abgefragt". Das Gespräch mit den wenigen (aber sehr engagierten und offenen) VertreterInnen von B90/G in Cochem war nicht einfach. Die Lust zur Konfrontation überwog angesichts der Zustimmung der Partei zum Kosovo-Krieg stellenweise die Bereitschaft zur Kooperation.

Abrüstung in der Sackgasse
Die Genfer Abrüstungsverhandlungen in einer Sackgasse, der ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen zur Disposition gestellt, der CTBT vorläufig geplatzt - die Erosion sämtlicher Rüstungskontrollbemühungen und damit eine neue Rüstungsspirale werden immer wahrscheinlicher. Dem setzten in Cochem manche die Hoffnung entgegen, dass durch die Senatsentscheidung der Druck aus der Bevölkerung wie auch von NATO-Bündnispartnern auf die USA wächst und daraus letztlich Positives erwächst. (Dass bei der Mitte November erfolgten Probeabstimmung im Ersten Komitee der UNO von 19 NATO-Staaten kein einziger der Resolution für eine atomwaffenfreie Welt zustimmte, bestätigt diese These allerdings nicht.) Eine "Stunde der Wahrheit" schlägt sicherlich bei der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag (NPT Review), die im April und Mai 2000 in New York abgehalten wird. Bei einem Scheitern der Verhandlungen ist nicht auszuschließen, dass erste Länder ihre Mitgliedschaft im Nichtverbreitungsregime aufkündigen. Andererseits könnten die USA auch so in die Defensive geraten, dass sie dort zustimmen, Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention aufzunehmen.
 

Dieses Grundthema, das Schwanken zwischen Bangen und Hoffen, zog sich durch alle Referate und Diskussionen der zwei Tage in Cochem. Eher düster malte Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg die Rolle der Nuklearwaffen am Ende des Jahrhunderts aus. Die nukleare Abrüstung sei bislang ausschließlich auf Trägersysteme beschränkt, Nuklearmaterialien seien nach wie vor nicht in die Abkommen einbezogen. Der ABM-Vertrag würde als "Schild der Unverwundbarkeit" angesehen, das in der Realität zwar nicht funktionieren aber trotzdem ein neues Wettrüsten einleiten würde. Er plädierte dafür, dass die USA den Verzicht auf einen Ersteinsatz erklären und so ein positives Signal für die "positive Utopie" der atomwaffenfreien Welt geben sollten. Ulrich Albrecht von der FU Berlin kam in seiner Betrachtung "Zur neuen NATO-Strategie/was war zu erhoffen, was ist eingetreten?" zum Schluss, dass "uns die neue Regierung 25 Jahre zurückversetzt" habe. 1969 hätten Friedensforscher ein Anti-Weißbuch geschrieben, weil die damalige Koalition eine Fortsetzung der geltenden Verteidigungspolitik angekündigt habe. Heute seien noch nicht mal solche Initiativen erkennbar. Gefahren durch Kernwaffen, durch nuklearen Winter bei einem Atomwaffeneinsatz, durch Proliferation und Weiterentwicklung von Atomwaffen sowie durch den Weiterbestand und -besitz derselben zeigte Wolfgang Liebert von der Wissenschaftlergruppe IANUS an der TU Darmstadt auf. Er stellte die Frage, "wie die Weltfriedensordnung des 21. Jahrhunderts aussehen soll, wenn Atomwaffen weiterhin Bestand haben", und bezeichnete die Kernwaffenstaaten als "Störenfriede des Friedens im 21. Jahrhundert".

Nuklearwaffenkonvention statt kleiner Schritte
Die Politik der "kleinen Schritte" durch bi- und trilaterale Vereinbarungen hätte bislang durchaus zu gewissen Erfolgen geführt, erinnerte Jürgen Scheffran von IANUS in seinem Workshop über Schritte in eine atomwaffenfreie Welt. Sie müssten aber möglichst rasch zugunsten ernsthafter und multilateraler Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention abgelöst werden, die einen festen zeitlichen Rahmen und Maßnahmenkatalog zur weltweiten Abschaffung sämtlicher Atomwaffen vorgibt. Diesen Schritt zu gehen, ist Sache von Regierungen. Den Regierungen die Dringlichkeit des Themas klarzumachen, Lobbyarbeit, Aufklärung und Forschung zu betreiben, läge aber durchaus in der Kompetenz von Bürgergruppen, betonte Xanthe Hall von den IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs). Sie stellte das neu erschienene Buch "Per Express zur atomwaffenfreien Welt" vor, das von der Middle Powers Initiative verfasst wurde, die aktuelle Situation schildert und verständlich aufzeigt, welche Schritte zur Verringerung der unmittelbaren Gefahr beitragen und eine atomwaffenfreie Welt ermöglichen könnten.
 

Beim Abschlussplenum wurden denn auch einige Schwerpunkte für die nächsten Monate vereinbart: Druck auf die Bundesregierung, die Resolution der UN-Generalversammlung zur atomwaffenfreien Welt zu unterstützen; Lobbyarbeit für die Nuklearwaffenkonvention (es soll möglichst rasch eine deutsche Ausgabe des Buches Security and Survival herausgegeben werden, in dem die Konvention vorgestellt und erläutert wird); Aufklärung über die anstehende Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag in New York; Verbreitung und Propagierung des auf der Tagung verabschiedeten Cochemer Appells, der die Aufkündigung der nuklearen Teilhabe in Büchel und die Abschaffung aller Atomwaffen einfordert.

Erfreulicherweise ließ das Tagungsprogramm ausreichend Zeit für die Fortsetzung der Diskussionen im kleineren Kreise während der Pausen und abends bei einem Glas Wein. Außerdem statteten die TagungsteilnehmerInnen natürlich dem Stein des Anstoßes - dem Atomwaffenstandort "Fliegerhorst Büchel" - einen Besuch ab. Dort sind im Rahmen der nuklearen Teilhabe seit 1965 "Sonderwaffen" stationiert. Elke Koller, Kreismitglied von B90/G in Cochem, gab ausführliche Hintergrundinformationen zum Stationierungsort und seiner wirtschaftlichen Bedeutung für die Region. Nach dem Motto "bisher ist doch nichts passiert" und unter Verweis auf 4.000 Personen, die beruflich vom Fliegerhorst abhängen, seien die Atomwaffen lange Zeit vollkommen verschwiegen, ja den meisten BürgerInnen nicht einmal bekannt gewesen. Erst seit die "Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen" vor drei Jahren mit "zivilen Inspektionen" des Atomwaffenlagers Büchel begann, hätten sich Öffentlichkeit und Parteien zaghaft mit diesem Thema beschäftigt. Und selbst heute würde die Existenz der Atomwaffen nicht offiziell zugegeben. Bürgermeister, Presse und Amtsgericht versehen die Atomwaffen bis heute mit dem Zusatz "mutmaßlich", "angeblich" und "vermutet".

Doch die hartnäckige Aufklärungsarbeit der Bürgergruppen trug auch Früchte: Die Landesdelegiertenkonferenz der rheinland-pfälzischen Grünen in Trier nahm am 24./25.10. einstimmig einen u.a. von Dietmar Rieth eingebrachten Initiativantrag an, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, sich nachhaltig für eine atomwaffenfreie Welt einzusetzen. Ähnliche Initiativen in anderen Parteien und Bundesländern sind dringend erwünscht.
Das Buch "Per Express zur atomwaffenfreien Welt" hat 178 Seiten und kostet DM 19,80. Zu beziehen ist es ebenso wie der Cochemer Appell über IPPNW, Körtestraße 10, 10967 Berlin, Tel. 030/693 02 44. Security and Survival mit dem vollständigen Entwurf der Nuklearwaffenkonvention gibt es für DM 25,- bei INESAP c/o IANUS, Hochschulstraße 10, 64289 Darmstadt, Tel. 06151/16 43 68.

Cochemer Appell
Nicht länger Atomwaffen auf deutschem Boden

Zehn Jahre nach Ende des Kalten Krieges lagern noch immer Atomwaffen auf deutschem Boden. Gegen wen sind sie gerichtet?

Atomare Massenvernichtungswaffen bedrohen die Menschheit. Sie müssen unverzüglich abgeschafft werden. Die Bundesrepublik Deutschland soll mit gutem Beispiel vorangehen. Wir fordern die Bundesregierung auf, von den Verbündeten zu verlangen, die Lagerung von Atomwaffen auf deutschem Boden zu beenden, die nukleare Teilhabe in Büchel aufzukündigen und sich international für die Abschaffung aller Atomwaffen einzusetzen. Eine Welt ohne Atomwaffen ist ein visionäres aber politisch erreichbares Ziel.

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Sprecherin der Kampagne "Büchel ist überall – atomwaffenfrei.jetzt“ und ehemals verantwortliche Redakteurin der Quartalszeitschrift "Wissenschaft & Frieden".