Attac - eine Bewegung im Aufschwung

von Christoph Bautz
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Als die linksintellektuelle Monatszeitung Le Monde Diplomatique im September 1997 einen Leitartikel unter dem Motto "Die Märkte entwaffnen" von Ignacio Ramonet veröffentlichte, ahnte noch niemand, dass hieraus ein internationales globalisierungskritisches Netzwerk mit ungeheurer Dynamik entstehen würde - Attac. Der Artikel forderte, dass der enorme Einfluss der internationalen Finanzmärkte auf die Politik durch eine breite gesellschaftliche Bewegung zurückgedrängt werden müsse. Eine Flut von Leserbriefen erreichte die Redaktion, und so beschloss diese selber, die Initiative zur Gründung dieser Bewegung zu ergreifen. Sie versammelte WirtschaftswissenschaftlerInnen, JuristInnen, PolitologInnen, JournalistInnen und GewerkschaftsaktivistInnen an einem Tisch, und die "Association pour la Taxation des Transactions Financières pour l`Aide aux Citoyen-ne-s", kurz Attac, wurde ins Leben gerufen. Die folgende Entwicklung war rasant: Ein Jahr nach Gründung hatte Attac Frankreich bereits 10.000 Mitglieder, mittlerweile sind es über 32.000. Die globalisierungskritischen Protesten in Genua dienten Attac-Deutschland als Katalysator, und die Mitgliederzahl verzwanzigfachte sich innerhalb eines Jahres auf mittlerweile über 10.000.

Vom MAI bis zur Asienkrise - der Entstehungskontext von Attac
Doch Attac entstand nicht aus dem Nichts. Vorangegangen waren zum einen große gesellschaftliche Bewegungen in den 90er Jahren, die sogenannte "November-Bewegung" gegen den Juppé-Plan und die Kampagne gegen das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI). Durch diese Kampagne wurde das unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelte MAI-Abkommen im Rahmen der OECD zu Fall gebracht. Dieses hätte es transnationalen Konzernen erlaubt, Länder zu verklagen, die nicht bereit sind, bestimmte Investitionsbedingungen zu schaffen. Diese Kampagne hatte die politische Wirksamkeit sozialer Bewegungen eindrucksvoll demonstriert und diesen einen Motivationsschub versetzt.

Zum anderen hatte die Asienkrise 1997/98 die katastrophalen Auswirkungen der Liberalisierung der internationalen Finanzmärkte vor Augen geführt. Millionen Menschen in den "Tigerstaaten" wurden binnen weniger Monate unter die Armutsgrenze geworfen, weil viele Finanzanleger ihr häufig spekulatives Kapital Hals über Kopf außer Landes brachten. Auch ein zweites Problem wurde offenkundig: Finanzmärkte untergraben die Demokratie. Durch die Liberalisierung der internationalen Finanzmärkte können Finanzanleger ihr Kapital einfach abziehen, wenn eine ihnen nicht genehme Politik gemacht wird. Wenn die Leitzinsen zur Ankurbelung der Konjunktur zu sehr gesenkt, Kapitalsteuern zu sehr erhöht, aufsichtsrechtliche Bestimmungen für Finanzanleger oder auch Umwelt- und Sozialstandards zu weit verschärft werden, dann ziehen sie einfach ihr Kapital ab. Die Folge ist ein globaler oder zum Teil auch eher regionaler Unterbietungswettlauf um die besten Investitionsbedingungen. Die Interessen der Menschen drohen auf der Strecke zu bleiben.

Von der Tobin-Steuer zum GATS - die Themen von Attac
Attac fokussierte sich denn auch zuerst vor allem auf die Problematik der deregulierten internationalen Finanzmärkte. Zentrale Forderung war und ist die Einführung der Tobin-Steuer, durch die Sand ins Getriebe der internationalen Spekulation gestreut werden soll. Spekulative Geschäfte um Kursdifferenzen der dritten Nachkommastelle werden durch diese geringe Steuer unrentabel, während mit den Steuereinnahmen Gelder für Entwicklungsländer zur Verfügung stehen würden. Doch die Einführung der Tobin-Steuer wäre lediglich ein erster Schritt zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte. Weitere Schritte müssen folgen, etwa die Schließung von Steueroasen, der selektive Einsatz von Kapitalverkehrskontrollen während des Ausbruchs von Finanzkrisen, die faire Besteuerung von Kapital und die Stabilisierung der Wechselkurse zwischen den Leitwährungen.

Innerhalb der letzten Jahre dehnte sich Attac thematisch immer weiter aus und deckt mittlerweile die gesamte Themenpalette der neoliberalen Globalisierung ab. Neben einer breiten Analyse und der Bearbeitung vieler Themen in speziellen Arbeitsgruppen, konzentriert sich Attac-Deutschland derzeit auf zwei Schwerpunkte:

Zum einen auf das Dienstleistungsabkommen GATS, das derzeit im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf verhandelt wird. Attac befürchtet durch dieses Abkommen weltweit einen verstärkten Privatisierungsdruck auf die öffentliche Daseinsvorsorge (Gesundheit, Bildung, Wasser). Das Ergebnis lässt sich bereits in vielen Entwicklungsländern studieren: Eine angemessene Versorgung steht nur noch denen zur Verfügung, die es sich leisten können. Zentraler Adressat der GATS-Kampagne von Attac und anderen zivilgesellschaftlich relevanten AkteurInnen ist die Bundesregierung. Sie muss den hehren Absichtserklärungen, nicht mehr auf die uneingeschränkte Deregulierung der globalen Märkte zu setzen, endlich Taten folgen lassen und für ein Moratorium der GATS-Verhandlungen eintreten.

Zweiter Schwerpunkt von Attac ist das Thema "Globalisierung und Krieg" und hier insbesondere die drohende Intervention des Irak. Attac will hier nicht die Friedensbewegung beerben, sondern vielmehr eine globalisierungskritische Sicht in diese Bewegung einbringen. Die sozioökonomischen Ursachen von Terrorismus und kriegerischen Auseinandersetzungen müssen herausgestellt werden. Auch wenn die Terroristen zumeist nicht den unteren Gesellschaftsschichten entstammen, so brauchen sie doch einen großen Rückhalt in der Bevölkerung. Unter den katastrophalen Lebensbedingungen und den ökonomischen Zerwürfnissen in vielen Entwicklungsländern erscheint die Hinwendung zu extremistischen Ideologien vielen Menschen besonders verlockend. So hat beispielsweise die Asienkrise zur Ausbreitung des Islamismus in der Region maßgeblich beigetragen und ethnische Konflikte hervorbrechen lassen. Beispiele sind der Osttimor-Konflikt, die Verfolgung christlicher Minderheiten in Indonesien und die Abu Sayaf-Rebellenbewegung auf den Philippinen. Terrorismus lässt sich nicht mit kriegerischen Mitteln bekämpfen. Eine konsequente weltweite Umverteilungspolitik muss dem Terrorismus und Fundamentalismus den Nährboden entziehen. Gleichzeitig müssen die massiven ökonomischen Interessen der USA und auch vieler europäischer Verbündeter in der Region thematisiert werden.

Attac aktiv - die Arbeitsweise von Attac
Attac-Deutschland wird zum einen von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis verschiedener Organisationen getragen, das von ver.di über Pax Christi und den BUND bis zu kapitalismuskritischen Gruppen reicht. Dieses Netzwerk verleiht Attac eine große politische Schlagkraft. Zum zweiten werden immer mehr Menschen bei Attac aktiv, die sich in mittlerweile 130 Gruppen vor Ort zusammengeschlossen haben. Sie bilden mittlerweile neben den Organisationen die zweite große Säule von Attac, die Attac einen immer stärkeren Bewegungscharakter verleiht. Klare Entscheidungsstrukturen und die Möglichkeit der Mitgliedschaft geben Attac aber auch Züge einer Organisation. Entstanden ist eine interessante Mischung aus Netzwerk, Bewegung und Organisation.

Mindestens ebenso vielfältig ist die Arbeitsweise von Attac. Die Bezeichnung "Bildungsbewegung mit Aktionscharakter und Expertise" umschreibt recht treffend die Methoden, mit denen Attac politische Veränderungen erzielen will. Durch Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit werden viele Menschen über die komplexen Zusammenhänge neoliberaler Globalisierung informiert und Alternativen aufgezeigt. Dies geschieht durch Vorträge, Publikationen, eine intensive Pressearbeit und ein umfangreiches Web-Angebot. Fundierte Alternativen werden von bundesweiten Arbeitsgruppen zu den einzelnen Attac-Themen und vom wissenschaftlichen Beirat von Attac erarbeitet. Doch das Aufzeigen von Alternativen reicht nicht. Für deren Umsetzung entfaltet Attac Druck durch vielfältige Aktionen und Demonstrationen.

Eine starke Dynamik erhält Attac durch die Aktivitäten vor Ort. In den Attac-Gruppen kommen Menschen unterschiedlichsten Alters und Weltanschauung an einem Tisch zusammen. Häufig bilden sie verschiedene Arbeitsgruppen, um sich jeweils in ein Attac-Thema einzuarbeiten und im Anschluss Veranstaltungen und Aktionen hierzu zu entwickeln. Sie brechen die komplexen Globalisierungsthemen auf die Auswirkungen auf lokaler Ebene und für jeden einzelnen herunter. Durch Aktionen vor Ort vermitteln die Attac-Gruppen einer breiten Öffentlichkeit diese Zusammenhänge und entfalten politischen Druck.

Entscheidend für den Erfolg von Attac sind also vor allem die vielen Menschen, die vor Ort und bundesweit aktiv werden oder auch Attac einfach durch ihre Mitgliedschaft und Spenden unterstützen. Für viele wird Attac zum Hoffnungsträger, dass grundlegende politische Veränderungen doch zu erwirken sind - dass eine andere Welt möglich ist.

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Christoph Bautz ist Attac-Öffentlichkeitsreferent