Auf dem Weg in den Überwachungsstaat

von Elke Steven
Schwerpunkt
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Staatlicherseits wird der 11. September 2001 als willkommener Anlass genommen, bürgerliche Freiheitsrechte abzubauen und den Weg in einen sberwachungsstaat auszubauen. Innerhalb von drei Wochen sind allein 37 Änderungen von Gesetzen und Verordnungen angekündigt oder umgesetzt worden. Von Sicherheitspaket zu Sicherheitspaket sollen die Möglichkeiten der Überwachung, der Sammlung von Daten und der erleichterten Zugriffsmöglichkeiten darauf durch Polizeien und Geheimdienste ausgebaut werden. Alle grundrechtlichen Schranken scheinen gefallen zu sein. Selbst das Justizministerium mahnt angesichts des ersten Entwurfs zum zweiten Sicherheitspaket an, die Maßnahmen auf ihr vorgebliches Ziel der Terrorismusbekämpfung zu begrenzen. Um die Eignung für das vorgebliche Ziel scheint es aber nicht zu gehen. Kontrolle und Abschreckung vor jeder Abweichung und allem Eigensinn scheint das Ziel zu sein.

Über einen Mangel an Sicherheitsgesetzen und -maßnahmen konnten wir uns auch bisher nicht beklagen. Seit der Verabschiedung der Anti-Terror-Gesetze in den 70er Jahren sind diese nicht - wie es notwendig gewesen wäre - überprüft und abgeschafft worden. Statt dessen sind weitere Eingriffe in die freiheitlich-demokratischen Grundrechte hinzugekommen. Bedrohungsszenarien wurden und werden immer neu konstruiert - nach RAF und Revolutionären Zellen der schwarze Block und die Punks, in anderen Bereichen die Organisierte Kriminalität. Diese mehr als weniger erfundenen Bedrohungsszenarien schafften den Hintergrund für immer weitergehende Eingriffsrechte des Staates. Geheimdienstliche Datensammlungen wurden legitimiert, die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten wurde möglich. Polizeigesetze und Gefahrenabwehrverordnungen der Länder wurden immer erneut novelliert - und fast immer zu Ungunsten der Bürgerrechte. Die Polizei ist längst im Vorfeld vor einem konkreten Verdacht tätig. Die vorbeugende Gefahrenabwehr, die tief in die Bürgerrechte lange vor einem Verdacht oder einer Beschuldigung eingreift, ist zu einem wichtigen Bestandteil der Polizeiarbeit gemacht worden. Mit der Konstruktion der Datei "Gewalttäter Links" und "Gewalttäter Rechts" beim Bundeskriminalamt ist noch im November 2000 ein systematisch durch Bürger unkontrollierbares Instrumentarium geschaffen worden. In der "Errichtungsanordnung" zur Datei, die noch nicht verabschiedet ist, heißt es, sie sei für "Verdächtige" angelegt, bei denen "die Persönlichkeit oder sonstige Erkenntnisse Grund zu der Annahme geben, dass Strafverfahren gegen sie zu führen sind" (Zitiert nach: Der Spiegel, 35/2001). Aufnahme in die Datei sollen nicht nur Verurteilte, sondern auch Beschuldigte aus Ermittlungsverfahren finden, aber auch Personen, gegen die Personalienfeststellungen, Platzverweise oder Ingewahrsamnahmen angeordnet wurden (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 14/6990 vom 27.9.20001) Der Willkür sind Tür und Tor geöffnet. Die Daten sollen fünf Jahre gespeichert werden, eine Löschung - etwa wegen Freispruch oder Verfahrenseinstellung - ist nicht vorgesehen. (Vgl. Burkhard Hirsch: Fast wie in der guten, alten DDR, in: Die Zeit, 13.9.01) Die Auswirkungen dieser Datei wurden dieses Jahr anlässlich des G7/G8-Gipfels deutlich: Ausreiseverbote und Meldeauflagen.

Mit den Lauschangriffen und den entsprechenden Änderungen des Grundgesetzes schien ein Höhepunkt erreicht, der nicht mehr überbietbar schien. Aber die rot-grüne Bundesregierung macht nun vor, dass es immer noch ein "mehr" geben kann.

Kriminalisierung von Ausländern
Ausländer und die, die als solche angesehen werden, sind die ersten, die die Folgen zu spüren bekommen. In allen Bundesländern wurde schnell mit der Rasterfahndung begonnen. Das Täterprofil der "Schläfer" ist jedoch so pauschal, dass jeder in die Fahndung hineingeraten kann. Verdächtigt werden letztlich gerade diejenigen, die ordentlich und eher angepasst in der bundesdeutschen Gesellschaft leben. Diejenigen also, die den bisherigen Aufforderungen nach Integration und Anpassung an das Gastland nachgekommen sind. So geriet beispielsweise ein malaysischer Student in die Fahndung, da er zufällig am selben Tag geboren wurde wie einer der mutmaßlichen Terroristen. Sein Konto wurde zwei Wochen lang gesperrt, Stromrechnung und Miete konnten nicht überwiesen werden. Anderen ergeht es noch schlimmer. In den USA sind nach dem 11. September 2001 1.100 Personen, zumeist Ausländer arabischer Herkunft oder moslemischen Glaubens, festgenommen worden. Viele befanden sich über Wochen unschuldig im Gefängnis. Kaum einem ist etwas nachzuweisen, und die schlimmste nachweisbare Straftat scheint das überzogene Besuchervisum zu sein. (Vgl. FR, 10.11.01)

Auch die Aufhebung des Religionsprivilegs - so überflüssig eine Privilegierung von religiösen Vereinen auch sein mag - trägt zum jetzigen Zeitpunkt zur Diskriminierung von Angehörigen des islamischen Glaubens bei. Verdächtig wird jeder gemacht, der in einer islamischen Gemeinschaft aktiv ist. Und Verbote werden nur dazu führen, dass Ersatzorganisationen aufgebaut oder Mitglieder in die Klandestinität gezwungen werden. Verbote erschweren nicht nur die politische Auseinandersetzung mit den betroffenen Gruppierungen, sondern erschweren im Zweifelsfall sogar die Ermittlungen bei Straftaten. Und auch bezüglich dieser Änderung gilt: Diejenigen, die der Öffentlichkeit bisher als mögliche Täter präsentiert wurden, sind gerade nicht dadurch aufgefallen, dass sie in islamistischen Organisationen tätig waren oder einen besonderen religiösen Fanatismus zum Ausdruck brachten. Geht man davon aus, müssten gerade die Mitglieder solcher Organisationen, über deren Verbot jetzt gesprochen wird, als unverdächtig gelten - und umgekehrt?
All dieses soll jedoch noch nicht ausreichen. Nun wurde in einem weiteren Schritt den Sicherheitsbehörden ein umfassender Zugriff auf alle ausländerrechtlichen Dateien gewährt. So wird der Datenschutz ausgehebelt und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung abgeschafft. Abschreckung von Asylbewerbern und erleichterte Ausweise- und Abschiebemöglichkeiten sind erneut die Konsequenzen, obwohl die des Terrorismus Verdächtigten nie Asyl beantragt hatten.

Auch der deutsche Staatsbürger wird zum Sicherheitsrisiko
Die Maßnahmen des zweiten Sicherheitspaketes betreffen auch den deutschen Staatsbürger direkt, der ebenfalls auf Vorrat überprüft und überwacht werden soll. Die Unschuldsvermutung soll nicht mehr gelten. Den weitestgehenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte stellt die geplante Änderung des Passgesetzes dar. Drei biometrische Daten sollen im Pass erfasst werden können. Auch wenn keine zentrale Referenzdatei erstellt werden darf, bleibt das Ziel, jeden Bürger und jede Bürgerin jederzeit unumstößlich identifizieren zu können. Irgendwann wird man dann diese Daten mit Daten, die anderweitig gewonnen wurden, abgleichen und für ganz andere Zwecke nutzen können.

Auch die Kommunikation soll noch weitergehend überwacht werden können. Weltweit stehen wir bereits jetzt mit dieser Form der Überwachung an vorderster Stelle. Innerhalb weniger Jahre ist die Anzahl der Telefonüberwachungsmaßnahmen rapide gestiegen. Man kann von zur Zeit ca. 13.000 überwachten Telefonanschlüssen im Jahr ausgehen, in die ca. 600.000 Bürger hineingeraten. (Vgl. B. Hirsch in Grundrechte Report 2001) Der große Lauschangriff ermöglicht bereits das Verwanzen von Wohnungen. Und inzwischen kann auch die Computergestützte Kommunikation besser überwacht werden. Geheimdienste können in Zukunft jederzeit "im Einzelfall" Daten bei Kreditinstituten, Luftverkehrsunternehmen, Post- und Kommunikations-Dienstleistern einholen.

"Dieses Geschenkpaket an die Sicherheitsbehörden ist so umfangreich, dass es nur insgesamt als verfehlt bezeichnet werden kann. Wir haben ein Recht darauf, von unwirksamen, undurchdachten und rechtsstaatlich nicht hinnehmbaren Vorschlägen verschont zu bleiben. Was vor dem 11. September falsch oder unwirksam war, wird danach nicht richtig oder effektiv. (...) Der Gesetzentwurf hat keinen Respekt vor der Rechtstradition unseres Landes, vor Würde und Privatheit seiner Bürger. Er verrät totalitären Geist." - so Burkhard Hirsch, FDP-Politiker und Bundestagsvizepräsident a.D. über das zweite innenministerielle Sicherheitspaket.

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Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.