Auf den Spuren Olof Palmes

von Christine Schweitzer

Um Erfahrungen und Perspektiven des "Olof-Palme-Friedensprozesses" ging es in einem internationalen Treffen Mitte März in der evangelischen Akademie Loccum.

Vierundzwanzig Teilnehmerlnnen aus sechs Ländern (Belgien, den Niederlanden, Polen, der Tschechoslowakei, der DDR und der BRD) hatten sich auf Einladung von Pax Christi und der DFG-VK versammelt, um über den Stand der Forderung nach der Schaffung eines atomwaffenfreien Korridors in Mitteleuropa zu beraten. Ein solcher Korridor, 150 km breit beiderseits der Blockgrenze, war 1982 von der (nach ihrem Vorsitzenden so benannten) Palme-Kommission vorgeschlagen worden. Ziel des Treffens in Loccum war, unterschiedliche friedenspolitische Konzepte für Europa anhand des Korridor-Vorschlags zu diskutieren und über praktische blockübergreifende Kooperationsmöglichkeiten der europäischen Friedensbewegungen nachzudenken.

Inwieweit ist die Idee eines atomwaffenfreien Korridors noch aktuell?
Der Korridor-Vorschlag hatte nie die ungeteilte Zustimmung aller Kräfte in den westlichen Friedensbewegungen gefunden. Einige Hauptkritikpunkte waren fehlende Ansatzmöglichkeiten für Aktionen, Dominierung durch die großen Parteien SPD und SED und fehlende perspektivische Reichweite. Auch die Versuche, diesen Bedenken zu begegnen (etwa im Olof-Palme-Friedensmarsch als einem Versuch, den Korridor-Vorschlag in Bewegungshandeln umzusetzen oder die Ausweitung von der Forderung nach einer atomwaffenfreien zu einer atomfreien Zone) konnten diese Vorbehalte nicht vollständig ausräumen. In Loccum entstand der Eindruck, daß die westliche Protagonistin des atom(waffen)freien Korridors, die SPD, von ihrem eigenen Vorschlag abrücken könnte. Ein SPD-Vertreter sprach es in seinem Vortrag deutlich aus: Seiner persönlichen Ansicht nach ginge es heute nicht mehr um den Korridor, sondern um die Abschaffung von Atomwaffen "kategorienweise". Der Grundgedanke des Palme-Berichts sei gewesen, die Doktrin der Abschreckung wechselseitigen zu überwinden und durch ein Konzept der gemeinsamen Sicherheit zu ersetzen. Dies könne heute auf anderen Wegen als durch den Korridor erreicht werden.

Vom atomfreien zum waffenfreien Korridor?
Die Teilnehmerinnen aus den sozialistischen Ländern schienen demgegenüber den Korridorvorschlag weiterhin für sinnvoll als Maßnahme zur Vertrauensbildung zwischen den Militärbündnissen zu halten. Die Vertreter des polnischen und des tschechischen Friedenskomitees meinten, sie könnten sich eine Ausweitung in Richtung einer Zone ohne alle Massenvernichtungsmittel vorstellen. Wenngleich die politische Funktion eines waffenfreien Korridors die gleiche bliebe, so wurde die Realisierung dieses Vorschlags viel weiterreichende Konsequenzen für das Militär der betreffenden Länder haben. Statt des Abzugs einer Waffengattung könnten einschneidende Veränderungen in Struktur und Umfang des Militärs vorgenommen und die Rüstungshaushalte drastisch gesenkt werden.
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach dem abrüstungspolitischen Ziel der Friedensbewegung neu: politische Friedensicherung - bei struktureller Nichtangriffsfähigkeit oder vollständige Entmilitarisierung? Vertreterlnnen beider Konzeptionen saßen an einem Tisch. Leider wurde die Frage nur selten direkt angesprochen, doch wurde deutlich, daß die Diskussion über diese Frage auch in Polen, der CSSR und wohl auch der DDR in Fluß gekommen ist.

Verknüpfungen
In dem Beratungstreffen wurden verschiedene Ideen und Projekte angesprochen oder konkret vorgestellt. Sie können nicht alle erwähnt werden. Auf viel Interesse stieß die - Einrichtung von Olof-Palme-Komitees in allen Ländern - jeweils mit internationaler Besetzung. Verschiedene Treffen und Konferenzen wurden angekündigt. Einen zweiten Olof-Palme-Friedensmarsch wird es allerdings in absehbarer Zeit nicht geben.
Über die Einzelprojekte hinaus wurde eine deutlich: Es gibt weiterhin - vielleicht wachsende - Vorbehalte gegen den Korridorvorschlag als isolierte Maßnahme. Aber er wird dafür in verstärktem Maße in Zusammenhang ge-sehen mit anderen Konzepten und Diskussionen, wie dem KSZE-Prozeß oder der, evtl. vom Weltfriedensrat demnächst internationalisierten, Kampagne "Stoppt den Rüstungsexport".

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.