Kurt Scharf und die Friedensbewegung

Auf Gewalt ruht kein Segen

von Volkmar Deile

Am 21. Oktober wäre Bischof D. Kurt Scharf 100 Jahre alt geworden. Im Rahmen einer Gedenkwoche aus diesem Anlass hielt Volkmar Deile am 22. Oktober einen Vortrag in Berlin, aus dem wir Auszüge veröffentlichen.

"Zwar berichtet Kurt Scharf, dass bereits das Erlebnis des 1. Weltkrieges, dessen Beginn er als Jugendlicher noch begeistert bejubelt habe, bei ihm eine Tendenz prinzipieller Kriegsablehnung gefördert hat. Er verschweigt aber nicht, dass er in der Weimarer Republik an einem Aufmarsch seiner studentischen Vereinigung für Erich Ludendorff, der Hitlers Putschversuch 1923 mittrug, teilgenommen hat. Seine wichtige Rolle in der Bekennenden Kirche und das Erlebnis des 2. Weltkrieges haben sicherlich zu der Einsicht beigetragen, die er 1982 so formulierte: "Erst nach 1945 bin ich zu der Einsicht gelangt, dass,auf Gewalt kein Segen ruht`. Wir können zum Frieden in der Welt nur durch unbedingte Gewaltlosigkeit kommen. Kriegerische Auseinandersetzungen ... helfen nicht zum Frieden. Ich möchte mich nicht als Pazifisten bezeichnen, weil ein "-ismus" immer eine Art Ideologie kennzeichnet. Und es gibt eine Ausnahme - so für den Tyrannenmord - wie Bonhoeffer es charakterisiert hat. ... Aber dies ist die Ausnahme, wirklich die absolute Ausnahme." Und 1986 sagt er: "Heute, im Rückblick, muss ich sagen, dass es die Schuld der Bekennenden Kirche, ihr entscheidendes Versagen war, dass wir im Jahre 1939 nicht gewagt haben, zur Kriegsdienstverweigerung aufzurufen."

Doch bleiben wir noch einen Moment bei Scharfs Nein zur Gewaltanwendung in anderen als kriegerischen Zusammenhängen, denn auch sie sind konkreter Friedensdienst. In der Nacht zum Ostermontag 1968, als er nach dem Mordversuch an Rudi Dutschke in das vom Aufruhr brodelnde Auditorium Maximum der Technischen Universität kam, riet er den Studenten: "Ich kann Ihnen nicht raten zu einer Organisierung von Gegengewalt, aber ich rate Ihnen dazu, dass sie in Aktion bleiben ohne Gewaltanwendung." Auf Zwischenrufe reagiert er fast schon distanziert: "Meine Waffe ist allein das Wort, die Waffe der Kirche ist allein das Wort. Wir können nicht über polizeiliche Gewalt verfügen, ich kann auch keine Kirchen-SA organisieren, um eine Gegengewalt aufzubieten". Und: "Aus der Gewalt kommt nie Gutes ...".

1981 war seine Vermittlung wieder einmal gefragt. Gruppen der Friedensbewegung hatten angekündigt, eine Veranstaltung des Hamburger Kirchentages mit dem sozialdemokratischen Verteidigungsminister Hans Apel zu sprengen. Aktion Sühnezeichen und die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, die schon die Verkehrung des offiziellen Kirchentagsmotto "Fürchte Dich nicht" in sein Gegenteil "Fürchtet Euch - der Atomtod bedroht uns alle" ablehnten und sich gegen die Verhinderung der Veranstaltung wandten, hatten eine Reihe von Fragen formuliert, die Kurt Scharf vortragen sollte. Dies tat er und ergänzte: "Wir sollen klar einstehen für das Erkannte, aber wir sollen dabei auf die Anwendung von Gewalt, von Gegengewalt verzichten! Praktische Liebe zum Gegner ist die intelligente und wirksamste Form, die Sache des Friedens zu vertreten". Das überzeugte nicht alle, es kam zu Obst- und Eierwürfen, aber der gegen alle Vereinbarungen mit der Kirchentagsleitung daraufhin einsetzende Polizeieinsatz wurde vom Diskussionsleiter Helmut Simon sofort und strikt unterbunden.

Hier zeigte sich etwas, was in Kurt Scharfs Leben öfter passiert ist. Polarisierungen sind manchmal so stark, dass auch der inhaltlich engagierte Versuch der Herstellung von Kommunikation zwischen Kontrahenten nicht angenommen, sondern als Parteinahme für den jeweiligen Gegner abgelehnt wird. Was Kurt Scharf nicht daran hinderte, diese Form der "intelligenten Feindesliebe" wieder und wieder zu praktizieren. Scharf 1987: "Geraten wir durch die Hilfe an den zu uns geflüchteten Fremd-lingen in Widerspruch zu vom Staat erlassenen Gesetzen, dürfen wir die Verletzung staatlicher Ordnung nicht scheuen". So was polarisierte. Dies durchzustehen, dabei mag ihm auch die tiefe Freundschaft der drei Ehepaare Scharf, Gollwitzer und Albertz geholfen haben. Als Heinrich Albertz 70 Jahre alt wurde und Heinrich Böll ihn in einem Gedicht aufforderte "Heinrich, Du Friedensbandit, lass Dich nicht abschrecken" finden sich darin auch die Zeilen: "Erbarme Dich, Deutschland, der Dreierbande Kurt-Helmut-Heinrich".

Dass Kurt Scharf kein billiger Versöhnler war, ist mir noch einmal deutlich geworden, als ich die Vorstandsprotokolle der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste von 1980 bis 1984 durchgeschaut habe. In dieser Zeit also, in der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste eine wichtige Rolle in der Friedensbewegung spielte, war Kurt Scharf unser Vorsitzender. Ich kann hier jetzt nicht die Fülle seiner verschiedenen Initiativen und Stellungnahmen referieren, die er als "Fürsprecher" - so überschreibt Wolf-Dieter Zimmermann in seiner wichtigen Biografie den Lebensabschnitt Scharfs von 1977 bis 1990 - wahrgenommen hat.

Vom 22. bis 26. Juni 1982 veranstalteten die Vereinten Nationen in New York ihre 2. Sondersitzung über Abrüstung. Zu Beginn demonstrierten eine halbe Million Amerikaner vor dem UNO-Gebäude für Abrüstung. Zur Vollversammlung waren auch nichtstaatliche Organisationen eingeladen, aus der Bundesrepublik Aktion Sühnezeichen. Am 24. Juni sprach Kurt Scharf als erster Vertreter der Nichtstaatlichen. Er begann mit den Worten: "Ich rede zu Ihnen als Christ. Ich spreche zu Ihnen als Deutscher". Er stellte die Aktion Sühnezeichen als Versuch, die "Lektion von Auschwitz zu lernen" vor und ging über zu den "Lektionen, die wir aus Hiroshima und Nagasaki lernen wollen", kritisierte den Welthunger als "unerträglichen Skandal" und die atomare Abschreckung mit den Worten: "Im Gehorsam gegenüber Gott und im Hören auf sein Wort wage ich zu sagen: Die atomaren Waffen sind kein Mittel der Politik. Auch ihr Gebrauch allein zur Drohung ist Lästerung Gottes".

Zum Weiterlesen:

Aus Anlass des 100. Geburtstags von Kurt Scharf bietet der Verlag Vandenhoeck & Ruprecht das Buch "Kurt Scharf - Ein Leben zwischen Vision und Wirklichkeit" von Wolf-Dieter Zimmermann zum reduzierten Preis von Euro 7,90 an.

Aus: junge Kirche 6/02
 

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