Aufgaben der Friedensbewegung

von Ulrich Frey

Die öffentliche Meinung wird in den nächsten Monaten mit den Verhandlungen der USA und der Sowjetunion beschäftigt sein. Die Friedensbewegung hat Anlaß, mißtrauisch zu sein. Sie muß sich öffentlich einmischen durch Kampagnen zur Durchsetzung positiver Tendenzen und durch Diskussion der kritischen Fragen. Dabei wird die Friedensbewegung in Rechnung stellen müssen, daß die NATO nicht noch einmal einen Doppelbeschluß a la 1979 faßt, dessen Verhandlungsteil tatsächlich nicht ernst gemeint war, sondern erst dadurch konkrete Politik wurde, daß die Sowjetunion ihn wider Erwarten aufgriff.

Es empfiehlt sich der Friedensbewegung auch, nicht mehr nur bestimmte Waffensysteme zu bekämpfen, sondern Waffen und ihre Systeme im Zusammenhang mit den zugrundeliegenden Strategien und Politiken zu diskutieren. Dann werden Fragen überflüssig, die nach dem 8.12.1987 gestellt wurden: Die Cruise und die Pershing sind nach acht Jahren Kampf wegverhandelt. Was machen wir jetzt? Die Friedensbewegung erfüllt ihre öffentliche Aufgabe nur, wenn sie die Bevölkerung und die verfaßte Politik mit den Kernfragen konfrontiert, die das Abkommen vom 8. Dezember 1987 und künftige Verhandlungen nicht beantwortet haben bzw. nicht so schnell beantworten werden. Wesentliche Forderungen sind u.a.:

  1. Überwindung der "Abschreckung" im Westen und der "gegenseitigen Abhaltung" im Osten. Beide entsprechen sich spiegelbildlich. Sie geben vor, der "Verteidigung" zu dienen, reproduzieren aber immer aufs Neue Mißtrauen und Überlegungen für Möglichkeiten, Kriege führen zu können, um politische Ziele durchzusetzen. Sie verführen zu offensiven Strategien, Bewaffnung und Taktiken. Sie blockieren eine bedrohungsarme oder gar bedrohungsfreie Politik.
  2. Elemente einer bedrohungsarmen Politik für ganz Europa sind zu entwickeln und zu unterstützen. Dazu gehören u.a. Minimierung von Rüstungen, Einrichtung von. atomwaffenfreien und offensivwaffenfreien Korridoren, Austausch von Menschen in beiden Richtungen zum Arbeiten und Leben miteinander, Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen, Schaffung von zivilen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Einrichtungen und Institutionen für ganz Europa unter gleichzeitiger Zurückdrängung der Militärapparate, Verringerung des Einflusses militärischer "Sachzwänge" auf die Außenpolitik, Schaffung von Freiraum der europäischen Länder im Vergleich zu den jeweiligen Großmächten.
  3. Insbesondere in Westeuropa ist zu verhindern, daß die vorhandenen atomaren und andere Waffen "modernisiert" und neue militärische Sub-Allianzen entstehen, die die vorhandenen Allianzen entwickeln und stärken.
  4. Durchsetzung eines Abkommens zur Verhinderung von Atomtests.
  5. Angesichts der wachsenden Haushalts- und Wirtschaftsprobleme ist auf die Verringerung und das Einfrieren der Militärhaushalte zu drängen.
  6. Die Zusammenhänge von Rüstung und Militarismus bei uns mit der zunehmenden Verarmung der sogenannten Dritten Welt und Kriegen dort sind in ihren Kreisläufen zu beschreiben. Die Symptome, die wir bei uns entdecken und für die wir Mitverantwortung tragen, sind aufzugreifen, z.B. Rüstung und Schuldenkrise, Kriege und Flüchtlinge/Asylbewerber, Kriege und Rohstoffe.

Wenn sich die Arbeit der Friedensbewegung nicht mehr nur auf bestimmte Waffensysteme konzentriert, wird sie differenzierter. Das erfordert bei den Gruppen im Lande Konzentration und Arbeitsteilung sowie systematischen Austausch. In Zukunft wird auch notwendiger, mit den französischen Freundinnen und Freunden und denen in Großbritannien zu kooperieren. Der Austausch mit Organisationen und Gruppen in der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern muß intensiviert werden.

Jede/jeder suche sich ein Feld und beackere es. Die Früchte wachsen, auch wenn wir wünschen, sie sollten schneller reif werden. Jede Frucht braucht seine Zeit.

(Der Beitrag ist um den Teil der Analyse der politischen Lage gekürzt. Der ganze Text ist bei Ulrich Frey, AGDF, Blücherstr. 14, 5300 Bonn 1 erhältlich.)

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Ulrich Frey ist Mitglied im SprecherInnenrat der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.