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Geplatzter Traum
Aus für eine deutsche Wunderwaffe
vonBRD und USA wollten gemeinsam mit Großbritannien, Italien und Spanien eine neue Rakete für Tornado und "Jäger 90" bauen. Sie wäre das wichtigste Projekt der bundesdeutschen Rüstungsindustrie gewesen.
Holger Pfahls, den CSU-Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, trieb eine böse Vorahnung. Am 11. September schrieb er seinem US-amerikanischen Amtskollegen Donald Atwood einen Brandbrief: Das gemeinsame Rüstungsvorhaben sei von "allerhöchster Bedeutung" und dürfe keinesfalls den Kürzungen des amerikanischen Verteidigungshaushaltes zum Opfer fallen. Er hoffe, so Pfahls, "daß das erklärte bundesdeutsche Interesse" an dem Kooperationsprojekt "ein hilfreiches Argument sein werde."
Eine Woche später erfuhr der Staatssekretär, wie hilfreich sein bundesdeutsches Interesse gewesen war: Per Telex teilte Washington lapidar mit, man steige aus dem gemeinsamen Projekt einer "Modularen Abstandswaffe", wie das Projekt offiziell heißt, "wegen der Kosten und der angespannten Haushaltslage". Wenige Tage später vollzog Großbritannien den gleichen Schritt.
Geplatzt ist damit das für die Bundesregierung wichtigste Luft-Boden-Bewaffnungsvorhaben der Luftwaffe im Mittel- und Langfristzeitraum. Knapp 900 Millionen DM wollten sie sich ihren 22-prozentigen Anteil an der Entwicklung der drei Versionen der Waffe und ihrer Submunition kosten lassen. Erste Rate: Haushalt 1990.
In das Vorhaben aufgegangen sind die Planungen für eine Abstandswaffe großer Reichweite, deretwegen die Bundesregierung im Jahre 1984 in der Westeuropäischen Union die Aufhebung des Verbotes, in Deutschland Lenkwaffen und Raketen mit mehr als 70 km Reichweite zu produzieren, durchgesetzt hatte.
Nukleare Teilhabe
Vorrangig sollte mit dieser Waffe der Tornado ausgestattet werden, um erfolgreicher verschiedenen Typen von Zielen in der Tiefe des gegnerischen Hinterlandes (im Rahmen von FOFA) effektiv bekämpfen zu können. Im Frühjahr dieses Jahres hatte das Fernsehmagazin Report (SWF) zudem berichtet, daß die Bundesregierung die Möglichkeit offenhalte, eine doppelt, also auch mit Atomsprengkopf ausrüstbare Variante ins Gespräch über die Modernisierung der NATO-Atomwaffen in Europa zu bringen.
Eine weitere Verengung beschrieb MBB, die bundesdeutsche Leitfirma für das Waffensystem, am 23. 6. 1988 in einer "streng vertraulichen" Vorlage für ihren Aufsichtsrat. Der Jäger 90 wird zum Jagdbomber: Die Abstandswaffe "wird von der Bundesrepublik als Bewaffnung für Tornado und JF 90 benötigt." MBB witterte das ganz große Geschäft: "Der NATO-Bedarf beträgt voraussichtlich 10.000 bis 20.000 Stück, der nationale Anteil der Bundesrepublik beträgt 2.000 - 3.000 Geräte. Der mittlere Preis beträgt ca 2 bis 5 Millionen DM"
Um nun also das abrupte "Aus" für die Wunderwaffe der wiedererstarkenden bundesdeutschen Rüstungsindustrie? Es ist kaum anzunehmen, daß die verbleibenden Partnerländer Italien, Spanien und die Bundesrepublik das nötige Kleingeld aufbringen können, um die entfallenden britischen und amerikanischen Beiträge zu den Entwicklungskosten aufzubringen.
Die Hintergründe sind gravierender und von grundsätzlicher Natur: Auf beiden Seiten des Atlantiks findet zur Zeit, wie ein Pentagon-Mitarbeiter richtig feststellte, "ein Frontalangriff" auf die transatlantische Rüstungskooperation statt.
Angesichts knapper werdender finanzieller Mittel und verbesserter konventioneller Abrüstungschancen werden die Schützengräben eines verschärften Konkurrenzkampfes ausgehoben: Westeuropa droht mit der Schaffung eines Binnenmarktes für Rüstungsgüter und die zersplitterte Rüstungsindustrie gebiert per Fusion immer neue Giganten. In den USA besinnt man sich nationaler Traditionen, feiert der Ruf "buy american" wieder fröhliche Urständ. Über dieser verschärften Konkurrenz scheitern Kooperationsvorhaben mit Milliardenwert, so allein seit Juli unter anderem die modulare Abstandswaffe, die NATO-Fregatte 90 und die Luftkampfrakete ASRAAM.