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Initiativen für eine demokratische Republik - Gedankensplitter
Ausbruch aus dem Wahlkrampf?
vonViele Verbände und Initiativen wollen sich mit ihren Forderungen und Themen in die Wahlauseinandersetzungen des Jahres einmischen - Wahlprüfsteine zuhauf. Aber auch jeweils die Aufforderung an die Menschen, sich engagiert einzumischen und die Gestaltung von Politik und Gesellschaft nicht den Politikern zu überlassen: dies ist auch unser Land! Die Haltung zum Parteienk(r)ampf ist unterschiedlich. Werbung für eine (rot-grüne) "Reformalternative" oder Aufbau eines BürgerInnenengagements für von populistischen Parteien nicht formulierbare "Alternativen von unten"?
Ob die Funktionäre ganz und gar verrosten -
is ja janz ejal!
Ob der schöne Rudi den Ministerposten
endlich kriegt - (das wird nicht billig kosten):
is ja janz ejal!
Dein Geschick, Deutschland, machen Industrien,
Banken und die Schiffahrtskompagnien -
welch ein Bumstheater ist die Wahl!
Reg dich auf und reg dich ab im Grimme!
Wähle, wähle! Doch des Volkes Stimme
is ja janz ejal!
is ja janz ejal!
is ja janz ejal -!
Kurt Tucholsky 1929
In den bevorstehenden Wahlschlachten werden die Parteien Themen hochkochen, die an den wirklichen Problemen vorbeigehen und von den notwendigen radikalen, an der Wurzel ansetzenden, Änderungen der Politik und des Wirtschaftens ablenken. Viele Initiativen wollen sich "von unten" einmischen, planen Aktionen und Kampagnen und geben Wahlprüfsteine zu "ihren" Themen heraus. Gleichzeitig steigt das Bewußtsein darüber, daß "unsere" Themen eng miteinander verknüpft sind und sich eine engere Zusammenarbeit der Basisinitiativen lohnt: Gemeinsam sind wir unausstehlich, besonders, wenn wir unser Engagement weniger als kurzfristige Wahlkampfeinmischung, sondern als Perspektive begreifen, von unten formulierte Alternativen quer zu aller Parteipolitik in der Gesellschaft mehrheitsfähig zu machen. Es gibt viele Menschen in der Republik, die, politiker- aber nicht politikverdrossen, zu einschneidenderen Veränderungen bereit sind als die auf vermeintlich populistische Wege orientierten und am Gängelband von Lobbyinteressen hängenden Parteien. Es muß nur Sinn machen.
Eine Reihe von Diskussionen zur stärkeren Vernetzung außerparlamentarischer Gruppen finden unter dem Arbeitstitel "Initiative für eine demokratische Republik" statt - ein durchaus mühsamer Prozess, der ganz bescheiden beginnt.
Inhaltlich geht es nicht um ein alternatives Parteiprogramm und organisatorisch nicht um die Gründung eines gemeinsamen (Dach-)Verbandes oder einer "APO 94". Aber wir wollen diskutieren, ob und wie sich die Mosaiksteine alternativer Ansätze in der Menschen- und Bürgerrechts-, Flüchtlings-, Sozial-, Frauen- und Friedens-, Eine-Welt- und Umweltpolitik zusammenfügen lassen und als "Initiative der Initiativen" durch Informationsservice und Vernetzung dazu beitragen, daß sich die Basisaktivitäten der verschiedenen Bewegungen stärker aufeinander beziehen und die Wahrnehmung allgemein wächst, daß unser Engagement über die Themenfelder hinweg eng miteinander verbunden ist.
Organisationen und Initiativen sind allerdings de facto schon mehr als überlastet mit den Aktivitäten zu ihren jeweiligen Themenbereichen. Flüchtlingsbetreuung und -beratung z.B. ist äußerst arbeitsintensiv. Die in Flüchtlingsräten oder Menschenrechtsorganisationen engagierten Menschen haben sich ein großes juristisches, soziales und die Situation in den Herkunftsländern betreffendes Fachwissen aneignen müssen, sind mit vielen Einzelschicksalen konfrontiert, leisten Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungen, Aufklärung und bereiten Aktionen zum 1. Oktober (Tag des Flüchtlings) und dem Tag der Menschenrechte im Dezember vor. Mit den umfangreichen Aktivitäten zum "Streiktag" 8. März haben die Frauengruppen eine ganz ermutigende Vorlage für gemeinsames Engagement über viele Gruppengrenzen hinweg gegeben.
Gruppen aus der Friedensbewegung und Solidaritätsbewegung sind stark gebunden durch die vielfältigen politischen und humanitären Aktivitäten zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien, zu Rüstungsexporten, zu Kurdistan, zu Landminen, zum Nichtverbreitungsvertrag (NPT), zum Jäger 2000, zu "out-of-area" und nichtmilitärischen Konfliktregelungen, zu Zivilem Friedensdienst, zur Kriegsdientverweigerung usw.. Für alle diese Themen gibt es Aktivitäten und Kampagnen für 1994. Besonders gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Neofaschismus arbeiten gerade auf lokaler Ebene oft Menschen aus politisch unterschiedlichen Lagern eng zusammen und treten u.a. für das Wahlrecht für AusländerInnen, grundlegende Veränderungen des Ausländerrechts, die doppelte Staatsbürgerschaft und Maßnahmen gegen Diskriminierung ein. Rechtsanwälte und kritische Polizisten warnen wie Bürgerrechtler vor weiterem Abbau von Bürger- und Freiheitsrechten, der Verquickung von Polizei und Geheimdiensten, dem Missbrauch der aufgeheizten Kriminalitätsdebatte zum weiteren Rechtsruck in der Innenpolitik. Es gibt verschiedenste Initiativen gegen soziale Demontage mit Stichworten wie bedarfsorientierte Mindestsicherung, Umschichtung, Steuerreform, solidarische Abgabenpolitik, etc.. Umweltverbände forcieren eine "ökologische Doppelstrategie für Umwelt und Arbeitsplätze", die Ausstiegspläne aus der Kernkraft, ökologische Umorientierung der Verkehrspolitik, Steuern und Wirtschaft verbindet. Mit dem Siemens-Boykott wird dazu versucht, sich die Macht der KonsumentInnen hierzulande als politisches Instrument anzueignen. Wahlprüfsteine liegen zu verschiedenen Themenbereichen vor (Rüstungsexporte, Schwulenpolitik/Antidiskriminierung, Friedenskonzepte (Pax Christi), Ökologie, ...). Umwelt- und Nord-Süd-Verbände haben mit der "Wahlcharta 94" schon die Themen Entwicklung und Ökologie (Rio), Frieden, Abrüstung, Gerechtigkeit und Demokratisierung in Beziehung gebracht.
Gemeinsam ist die Einsicht, daß diese Themen eng miteinander verflochten sind. Alle Initiativen gemeinsam wollen viele Menschen in der Gesellschaft dazu anstiften, die Gestaltung unserer Zukunft nicht den Politikern zu überlassen, sondern einen "demokratischen Aufbruch von unten" zu wagen und mehr Mitgestaltungs- und Mitentscheidungsrechte der Bürgerinnen und Bürger einzufordern. Die reale Politik in der Bundesrepublik ist nicht (nur) davon abhängig, welche Koalition gerade regiert, sondern wesentlich davon, welche Einsichten in der Gesellschaft getragen werden und ob sich die Bürgerinnen und Bürger in einer lebendigen, demokratischen Gesellschaft selbst engagieren.
Vernetzung - Informationsfluss - Zusammenarbeit
Wir wollen einerseits alle über unseren jeweiligen Tellerrand hinaussehen, aber können uns bei endlicher zur Verfügung stehender Energie und Zeit nur weniger Schwerpunkte wirklich annehmen. Gleichzeitig soll durch kontinuierlichen Informationsfluss und punktuelle gegenseitige Unterstützung das Bewußtsein gestärkt werden, daß wir bei unseren Aktivitäten an einem Strang ziehen. Sicherlich läßt sich der gewünschte Informationsfluss nicht dadurch bewerkstelligen, daß wir alle gegenseitig alle unsere Veröffentlichungen abonnieren. Idealiter sollten die wichtigen Dinge durch eine Redaktionsgruppe exzerpiert und regelmäßig in einem leicht verdaulichen Infodienst zusammengefasst werden, der z.B. Kampagnen, Materiallisten und Aktionstermine enthält und per Post, Fax und Mailbox abrufbar ist. Die Service-Büros sollten darüberhinaus entsprechende InteressentInnen-Verteiler aufbauen und für aktuelle Infos, evtl. auch für ReferentInnen-Vermittlung u.ä. ansprechbar sein. Viele Aktivitäten sind von regionaler Bedeutung, andere dürften im ganzen Bundesgebiet interessieren, so daß wir auch Strukturen regionaler Zusammenarbeit aufbauen müssten.
Wer macht welche Arbeit? Wir können keine neuen gemeinsamen Strukturen und Büros schaffen, sondern müssen vorhandene für die bessere Vernetzung nutzen. Für bundesweit interessierende Dinge können wir uns zunächst im Bonner Büro des "Netzwerk Friedenskooperative" (das schon seit langem für die Kooperation von Initiativen weit über den Friedensbereich hinaus steht) bemühen, ein verbessertes Infonetz aufzubauen, haben aber durchaus Schwierigkeiten mit den vorhandenen Arbeitskapazitäten. Im Aufbau ist (bei WIR e.V. in Köln) auch eine alternative, antirassistische Nachrichtenagentur. Wichtig sind jedenfalls regionale Netzwerk-Zusammenschlüsse. Inwieweit leisten Organisationen aus Bürgerrechts-, Frauen-, Nord/Süd-, Umwelt, Sozial, Flüchtlings- und Menschenrechtsbewegung für ihren Themenbereich dafür zusammenfassende nutzbare Vorarbeit? Seid Ihr, sind Basisinitiativen daran interessiert, den informationsverarbeitenden Servicebüros regelmäßig inhaltliche und aktionsbezogene Infos zuzuleiten?
Gemeinsame übergreifende Initiativen?
Die Diskussion um ein "Manifest für eine demokratische Republik" hat bei den bisherigen Treffen eine große Rolle gespielt. Einige versprechen sich von einer solchen gemeinsamen Plattform einen ähnlich mobilisierenden Effekt wie weiland vom "Krefelder Appell". Bisher hat allerdings noch niemand einen ansteckend-begeisternden Entwurf vorgelegt. Wir stellen uns das Ganze z.Zt. als offenen Diskussionsprozess vor. Fast unabhängig davon, wie weit dieser Diskussionsprozess gediehen ist, könnten wir gemeinsame Materialien und Veröffentlichungen planen - wenn der Grundgedanke akzeptiert ist: Verknüpfung der Themen, Mitwirkungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten in einer lebendigen demokratischen Gesellschaft. Mit einer Zeitung könnten wir die Grundgedanken und den Diskussionsprozess um Veränderungen an der Wurzel verbreiten, Broschüre kann vertiefen, ein Aktionsleitfaden Tipps und Mut zum Einmischen geben, ein Buch zum Standardwerk für Politikansätze von unten werden, Aufkleber, Postkarten etc. das übergreifende Motto, Symbol oder Label transportieren .... Auch dies "Label" muß allerdings noch gefunden werden.
Einige Aktionstage zu bestimmten Themen werden bereits geplant z.B. zum 1. September (Antikriegstag), zum 1. Oktober (Tag des Flüchtlings), voraussichtlich zum Jahrestag der Pogromnacht 9. November und dem 10. Dezember (Tag der Menschenrechte) .... Wenn solche Aktionstage gemeinsam propagiert werden, können sie sich gegenseitig stärken, besonders wenn sie sich jeweils bewusst auf den übergreifenden Rahmen der Politik von unten beziehen und sich darin einordnen.
Eine größere Herbstaktion kann Sinn machen, wenn in den nächsten Monaten eine Dynamik sozialer Bewegung entsteht. M.E. täten wir alle gut daran, dazu beizutragen, daß Engagement mit alternativen Politikentwürfen verbunden ist und sich nicht "nur" auf den Protest gegen einen Rechtsruck beschränkt. Bei einem hohen Stimmenanteil für Reps und neonazistische Parteien in der Landtagswahl Niedersachsen oder der Europawahl könnte durchaus eine Abwehr-Bewegung entstehen, die sich bis zur Bundestagswahl auf die Formel "Keine Rechtsradikalen in die Parlamente" verengt.
Manche unter uns träumen von einer Großkundgebung auf der Bonner Hofgartenwiese am 8. Oktober. Sollte so etwas möglich werden, müsste der Veranstalterkreis einer Kundgebung 1 Woche vor der Bundestagswahl extrem unabhängig von allen parteipolitischen Interessen handeln, die Kundgebung anhand der Inhalte alternativer Politik vorbereiten und gerade nicht als Wahlkampfeinmischung für irgendein Reform-Regierungsbündnis ů la rot-grün gestalten. Die "Botschaft" müsste darin bestehen, daß wir "Politikerverdrossenen" die Politik gerade nicht den Parteien überlassen wollen, daß "von unten" Vorschläge für tiefgreifende Veränderungen getragen werden, und daß gesellschaftliche Mehrheiten für Politikinhalte und das Engagement der Bürgerinnen und Bürger dafür wichtiger für tatsächliche Veränderungen sind als die Zusammensetzung der Regierung und eigenes Engagement sich lohnt. Die Diskussion um eine solche Veranstaltung brauchen wir aber im Moment noch nicht zu führen.
Es kann auch sinnvoll sein, Wahltermine für inhaltlich Einmischung zu nutzen. So könnten in einer nicht-flächendeckenden Aktion Infostände von Initiativen bei Wahllokalen Befragungen und Unterschriftensammlungen durchführen, jeweils zu einem Thema, also hier zu AusländerInnen-Wahlrecht / doppelte Staatsbürgerschaft, dort zu Bundeswehr / Rüstungsexport / Rüstungshaushalt, dort zu Ausstieg aus der Kernkraft, dort zu Volksbegehren / Volksentscheid .... Fest geplant ist bereits die Befragung zum "Eurofighter 2000".
Sicher gibt es noch viele gute Ideen für übergreifende Aktivitäten, wir müßten bald entscheiden, was wir in diesem Sinn gemeinsam angehen und was Gruppen selbständig, aber aufeinander bezogen durchführen werden.
Das nächste Beratungstreffen "für eine demokratische Republik" im "Westen" findet am Samstag, 18. Juni 94 von 11 - 16 Uhr in Frankfurt statt. Nach Möglichkeit vorher soll ein ähnliches Treffen in Berlin stattfinden.