6x jährlich informiert unsere Zeitschrift, das FriedensForum, über Aktionen und Kampagnen der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeexemplar zu.
Bedeutung des Militärs in Südkorea
vonEs wäre unmöglich, die ganze Geschichte des Militarismus in Südkorea in diesem kurzen Artikel unterzubringen - 35 Jahre unter der japanischen Kolonialmacht, geteilte Besatzung der USA und der Sowjetunion kurz nach der Befreiung von Japan, die Teilung der koreanischen Halbinsel, der Koreakrieg, Militärdiktatur, der „rote Komplex“ gegen den Kommunismus und die kürzlich wieder in den Vordergrund gerückte Möglichkeit eines militärischen Konflikts mit Nordkorea nach den tödlichen Schüssen auf einen südkoreanischen Touristen beim Berg Geumgang sowie die Infragestellung der Vereinbarungen zum Abbau der militärischen Spannungen zwischen den beiden Staaten.
Die Geschichte des modernen Südkorea ist kurz, aber die prägenden Ereignisse bleiben in vielen Teilen der Gesellschaft virulent. Es ist wahr, dass der Antikommunismus nicht mehr so dominant ist wie in der Vergangenheit, seit der Demokratisierungsprozess im Land fortschreitet und es mit dem Norden praktisch keinen Wettstreit um Legitimität mehr gibt. Aber aus der Wechselwirkung der Gegenwart mit den Überbleibseln der Vergangenheit entwickelten sich neue Formen des Militarismus. Und diese durchziehen alle Bereiche der Gesellschaft.
Wenn wir einen genaueren Blick auf die Wehrpflicht werfen, ist das kein ausreichender, aber ein notwendiger Schritt, um den Militarismus in der südkoreanischen Gesellschaft zu verstehen. Die Themen Militär und nationale Verteidigung haben einen komplizierten historischen und ideologischen Hintergrund. Die Konfrontation mit dem Norden ließ die Menschen glauben, dass Militär und Verteidigung absolut notwendig und eine Frage des unmittelbaren Überlebens seien. Die meisten Regierungen wussten das sehr gut und nutzten es, um an der Macht zu bleiben. Unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit wurde das Militär zu einer außerhalb der Gesellschaft stehenden und ihrer Kontrolle entzogenen Institution. Tode mit unbekannter Ursache, Illegalität und Korruption waren an der Tagesordnung. Inzwischen jedoch, seit das Militär als Einrichtung wahrgenommen wird, zu der nur die Armen und Machtlosen herangezogen werden, ist die Wehrpflicht zu einem Gegenstand der öffentlichen Empörung geworden. Es ist tatsächlich eines der mächtigsten Themen, die Wahlen entscheiden können.
Wenngleich es nicht mit dem Demokratisierungsprozess der Gesellschaft Schritt hält, hat das Militär bezüglich der Menschenrechte Fortschritte gemacht. Die Dienstzeit wurde verkürzt mit der Absicht, sie bis 2014 auf eineinhalb Jahre zu senken. Und derzeit kann sich praktisch kein Angehöriger der privilegierten Klassen der Einberufung entziehen. Trotzdem: Der soziale Diskurs über das Militär zeigt einen anderen Aspekt der militaristischen Kultur in Südkorea auf. So wird die Anschaffung hochmoderner Waffen vorgeschlagen, um die Zahl der Soldaten zu reduzieren; der alternative Dienst wird im Hinblick auf die menschlichen Ressourcen diskutiert, die der Regierung zur Verfügung stehen, und nicht im Hinblick auf Frieden und Abrüstung. Fürsprecher der Gleichheit argumentieren nur, dass es keine Ausnahme von der Wehrpflicht geben dürfe.
Mehr noch, solche Diskussionen werden oft mit einem Konzept der „unabhängigen Verteidigung“ verbunden. Seine Vertreter argumentieren, dass das US-Militär aus Südkorea abziehen und die Armee des Landes gestärkt werden solle. Der Rückzug der US-Einheiten wurde nach Roh Moo-hyuns Amtsantritt 2003 verstärkt thematisiert. Roh hatte versichert, sich anders als die vorherigen Präsidenten zu verhalten, die stets den USA nachgegeben hatten. In der Folge wurden die Stimmen für eine Erhöhung des Verteidigungshaushaltes und die Aufstockung der Truppen lauter. Unter der derzeitigen, stärker pro-amerikanischen Regierung dürfte diese Forderung wieder zurückgedrängt werden. Ohnehin hat sie wenig mit unserem Ziel eines echten Friedens zu tun. Denjenigen, die von einem stärkeren und mächtigen Korea träumen, hat sie jedoch starken Auftrieb gegeben.
Südkorea, so wie ich es heute sehe, ist ein Land im Rausch des Nationalismus und Patriotismus, der Grundlagen des Konzepts der „unabhängigen Verteidigung“. Es ist nicht nur die Rechte, die sich nach einem vollkommen souveränen Land sehnt, frei vom Druck der Mächte dieser Welt. Auch die Linke nutzt nationalistische Rhetorik und Argumente, die der Vielfältigkeit in der Gesellschaft entgegentreten und eine Institution der Gewalt gegen Menschen zu einem Gegenstand nationalen Stolzes umdeuten, um so viele Menschen wie möglich zu mobilisieren.
Das wird sehr deutlich in ihrem Slogan: „Wir müssen stärker werden, um unsere unschuldigen Töchter zu schützen.“ Vor diesem Hintergrund erscheint es den Menschen natürlich, zu glauben, dass die Ableistung des Militärdienstes wichtig sei, um ein „richtiger Mann“ zu werden. Oft werden prominente junge Männer bei ihrem Eintritt in die Armee von den Medien dafür gefeiert, dass sie „den Patriotismus stärken“. Und diejenigen, die sich der Einberufung entziehen, werden stigmatisiert und geradezu aus der Gesellschaft ausgestoßen. Die Prominenten selbst haben nicht mehr die Befürchtung, dass der Militärdienst ihrer Karriere schaden könnte; vielmehr fördert er ihr Image als „richtiger Mann“, der die Frauen und seine Familie schützt.
Südkorea ist beherrscht von einer Flut exzessiven Nationalismus. Der nationale Gedenktag, der 6. Juni, ist wichtiger als jeder andere Feiertag. Der Fahneneid und Ehrenbezeugungen vor der Nationalflagge sind mit der Einführung des Nationalen Flaggengesetzes im Jahr 2007 zur Pflicht geworden. Der Militärdienst wurde auf das soziale System ausgeweitet, das aber Kriegsdienstverweigerern nach wie vor nicht als Alternative angeboten wird. Sie müssen eineinhalb Jahre im Gefängnis sitzen. Zudem sind inzwischen Frauen, Menschen „gemischter Rasse“ und Waisen, denen zuvor jede Form des Staatsdienstes versagt war, zum Militär zugelassen.
Der Militarismus in Südkorea wurde durch die Teilung der koreanischen Halbinsel und die Militärdiktatur verschärft und von der US-Regierung gefördert und bestärkt. Nun hat er sich in der gesamten Gesellschaft und unserem alltäglichen Leben eingenistet, was bedeutet, dass wir alle Teil der Strukturen des Militarismus sind, als seine Akteure und als seine Opfer, auf sichtbare und auf unsichtbare Weise.
Die Kriegsdienstverweigerungsbewegung ist die erste soziale Bewegung, die Licht darauf wirft und der staatlichen Gewalt widersteht - mit grundsätzlichen Überlegungen zum Sinn des Lebens. Trotz der kleinen Zahl der Aktiven hat die Botschaft der Bewegung bei einer beträchtlichen Zahl von Menschen Widerhall gefunden, Debatten entzündet und Unterstützung aus dem ganzen Land erhalten. Nach acht Jahren Kampagne werden die Gruppen der Kriegsdienstverweigerungsbewegung als neue Kraft der Friedensbewegung in Südkorea anerkannt und mit dem Prinzip der Gewaltfreiheit verbunden. Nun wollen wir die Kampagne breiter machen, vor allem mit einer neuen Gruppe, die sich Good Weapons Project (Projekt Gute Waffen) nennt.
Jungmin Choi: The meaning oft the military in South Korea. Veröffentlicht in: War Resisters’ International und Korea Solidarity for Conscientious Objection: Conscientious Objection in South Korea, May 2010. Übersetzung: Rudi Friedrich und Heike Makowski
Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Broschüre »Kriegsdienstverweigerung in Südkorea«, Juni 2010. Ausführlich dokumentiert die Broschüre die Lage der Kriegsdienstverweigerer in Südkorea. Dort werden jedes Jahr bis zu 600 Verweigerer in der Regel zu einer Gefängnisstrafe von 18 Monaten verurteilt. Seit dem Jahre 2000 hat sich jedoch eine rege Kriegsdienstverweigerungsbewegung entwickelt, die vor allem auf internationaler Ebene versucht, eine Anerkennung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung zu erreichen. Die Broschüre kann bestellt werden über Connection e.V., Gerberstr. 5, 63065 Offenbach, 069-82375534, www.Connection-eV.de