Verzerrte Berichterstattung und Meinungsbildung

Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine

von Christoph Marischka
Schwerpunkt
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Meine These ist, dass die meisten Menschen in Deutschland relativ schlecht über den Verlauf des Krieges in der Ukraine informiert sind, obwohl sie nahezu täglich Berichterstattung über den Krieg verfolgen oder aufgetischt bekommen. Das Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender wurde nach dem russischen Einmarsch sehr schnell massiv ausgeweitet: „Liveblogs“ im Internet, eigene, ganz oben gelistete Sonderrubriken in den Mediatheken, kaum eine Sendung in den ersten Monaten im Deutschlandfunk, die nicht irgendwie Russland und die Ukraine zum Thema hatte und dabei unterschwellig Freund-Feind-Schemata reproduzierte. Offenbar tut man sich angesichts des Krieges auch im Bereich von Wissenschaft, Kultur oder Religion schwer, irgendetwas Gutes über Russland oder irgendetwas Schlechtes über die Ukraine zu sagen oder zu schreiben.

Dabei lässt sich seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine ein Ausmaß an Selbstzensur der Leitmedien beobachten, das in einer demokratischen Gesellschaft mit freien Medien schwer nachzuvollziehen ist. Besonders drastisch ist dies etwa im Hinblick auf die Opferzahlen, v.a. im ukrainischen Militär. Die ukrainische Regierung hat die Veröffentlichung entsprechender Schätzungen untersagt – und die hiesigen Medien verzichten freiwillig darauf. Wie aber sollen Verlauf und Aussichten eines Krieges – eines Abnutzungskrieges insbesondere – eingeschätzt werden, wenn es kaum valide Einschätzungen über die Verluste auf beiden Seiten gibt?

Etwas subtiler zeigt sich die Selbstzensur an ausbleibenden Berichten über Vorteile oder „Erfolge“ der russischen Truppen. Sofern es diese überhaupt gibt, werden sie stets relativiert. Einer der Momente im Kriegsverlauf, der hierzulande am meisten Aufmerksamkeit erhalten hat, war die monatelange und verlustreiche Schlacht um Bachmut. Diese hat letztlich das russische Militär mit umfangreicher Unterstützung der Wagner-Gruppe – wie hierzulande jede*r weiß – für sich entschieden.

Vergleichbar intensiv wie die Rolle von Wagner wurde in Deutschland jedoch kommuniziert, dass Bachmut strategisch weitgehend unbedeutend sei und die Verluste auf russischer Seite in keinem Verhältnis zur Eroberung der Stadt standen. Während der monatelang angekündigten und mit absurden Erwartungen aufgeladenen Frühjahrsoffensive – die dann eher eine gescheiterte Sommeroffensive war – wurde über jede einzelne von ukrainischen Truppen eingenommene oder befreite Siedlung berichtet, ohne dass deren strategische Lage oder die damit verbundenen Verluste in Frage gestellt wurden. Über das Ende – vielleicht gar Scheitern – dieser Offensive und seine Folgen wurde lange nicht diskutiert; stattdessen wurden gleich wieder Erwartungen an die nächste ukrainische Großoffensive aufgebaut.

Die freiwillige Selbstverpflichtung führender Medien, keine Informationen zu veröffentlichen, die „Putins Propaganda in die Hände spielen“, führt zu einem verzerrten Bild des Kriegsverlaufs und erschwert es der Öffentlichkeit, sich ein Bild über die Sinnhaftigkeit und Ziele der westlichen Unterstützung zu machen. Sie umfasst allerdings bemerkenswerterweise nicht alle Themen. Ein Bereich, in dem sie deutlich weniger stattfand, war die Rekrutierung ukrainischer Männer und deren Versuche, sich zu entziehen. So wurde bei tagesschau.de unter anderem über einen Telegram-Kanal berichtet, mit dem sich Wehrpflichtige über die Präsenz von Soldaten informierten, die im öffentlichen Raum Männer kontrollieren und einziehen. Später wurde dort u.a. auch berichtet, dass die Ukraine Drohnen einsetze, um die Grenzen zu überwachen und dass auch Menschen bei dem Versuch ums Leben kamen, heimlich vor dem Militärdienst ins Ausland zu fliehen.

Einseitiges Hinterfragen
Während russische Angaben – ganz zurecht – und vermeintliche „pro-russische Narrative“ nicht nur hinterfragt, sondern häufig penibel überprüft und oft bemüht widerlegt werden, fand dies für Darstellungen und Narrative der ukrainischen Regierung oder deutscher Politiker*innen sehr selten statt. Schwer erklärbar ist etwa, wie z.B. Marie-Agnes Strack-Zimmermann in ihrer Rolle als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und „Verteidigungsexpertin“ der FDP politisch überleben konnte, nachdem sie über Monate wiederholt davor warnte, dass die russische Armee bald „vor Berlin“ stehe, wenn man ihr nicht in der Ukraine Paroli biete. Beflügelt vom ausbleibenden Widerspruch zu hanebüchenen Aussagen zur besten Sendezeit ließ sie sich später sogar dazu hinreißen, zu behaupten, es sei kein Zufall, dass das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 ausgerechnet an Putins Geburtstag stattgefunden habe. Wer solche Leute interviewt und zu Talkshows einlädt, ohne sie vorzuführen, muss wissen, dass er oder sie sich damit an der Verbreitung von Fake-News und Verschwörungserzählungen beteiligt.

Die Frage aber nach Plausibilität wird in den Medien wenig gestellt und durch die Verknüpfung zweier Annahmen ausgehebelt: Dass einerseits Putin persönlich und von der Spitze alles anordne und Putin persönlich schlicht irrational handle. Das gilt auch für Großereignisse wie die Sprengung der Nord Stream Pipelines und die Zerstörung des Staudamms bei Cherson. In vielen Fällen stand die Intensität der Berichterstattung und die Bestimmtheit der frühen Schuldzuweisungen in keinem Verhältnis zum anschließenden Interesse an einer Aufklärung. Auch beim einseitigen Hinterfragen gab es einige Bereiche, die nicht oder weniger betroffen waren. Dies gilt u.a. für die Relevanz extrem rechter und faschistischer Kräfte in der ukrainischen Politik und dem Militär. Obwohl der „Nazismus“ der Ukraine ein zentrales Element der russischen Propaganda darstellt, schafften es entsprechende Berichte und vereinzelt auch eigene Recherchen teilweise in die Schlagzeilen und Nachrichtensendungen. Wenn sie auch insgesamt relativierend ausfielen und nicht verhinderten, dass der Bandera-Anhänger Melnyk zum Medienliebling wurde, so ist das doch eine bemerkenswerte Ausnahme angesichts der ansonsten fast vollständigen Zurückhaltung mit Kritik an der ukrainischen Führung und ihrem Militär.

Eigene Agenda bei Waffenlieferungen
Während in einigen Bereichen die funktionelle Ausdifferenzierung zwischen Politik und Medien ausblieb, ließ sie sich in anderen Bereichen durchaus beobachten, wenn auch vielleicht anders, als erwartet. Bei der Frage der eskalierenden Waffenlieferungen, welche ebenfalls über Monate nahezu täglich Thema der Berichterstattung war und die Anfang Oktober 2023 unerklärlich abrupt endete, schienen die Medien weniger als unkritischer Vermittler der Bundesregierung, denn als aktiver Verstärker der ukrainischen Forderungen nach immer mehr und immer schwereren Waffen zu fungieren. Entsprechende Forderungen aus der Ukraine, von Vertreter*innen der Opposition und auch der Regierung wurden in den Berichterstattungen und Talkshows massiv verstärkt und vorangetrieben. Politiker*innen auch aus der dritten Reihe konnten sich sicher sein, es in die Nachrichten zu schaffen, wenn sie mit ihren Forderungen noch einen Schritt weiter gingen oder besonders vehement die vermeintliche Zurückhaltung der Bundesregierung, insbesondere des Bundeskanzlers, kritisierten.

Diese Forderungen, die oft von dezidiert fachfremdem Personal erhoben wurden, waren mitunter, insbesondere im Hinblick auf Verfügbarkeit und Geschwindigkeit in der Umsetzung, völlig unrealistisch. Jedes Zögern und Prüfen, jede Erwägung möglicher Konsequenzen wurde in den Leitartikeln und Talkshows in großen Worten als Hinhalten und Unentschlossenheit verurteilt, als Verrat an der „Solidarität mit der Ukraine“, oft unwidersprochen als Infragestellung des „Selbstverteidigungsrechtes der Ukraine“ – eine völlig bodenlose Verdrehung eines völkerrechtlichen Begriffs, hieraus eine Verpflichtung zu Waffenlieferungen ableiten zu wollen.

Erstaunlich war die Gleichzeitigkeit dieses Diskurses mit der ebenfalls vehementen Verstärkung der Behauptung, dass die Bundeswehr angeblich „blank“ dastehe und nur „bedingt verteidigungsfähig“ sei. In Kombination mit der anhaltenden Kritik daran, dass die Waffenkäufe aus dem Sondervermögen zu langsam umgesetzt würden, lassen sie sich zusammengenommen allerdings mit einem sehr grundlegenden Unverständnis für Rüstungs- und Militärfragen begründen. Das zeigt sich auch in der weitgehenden Ignoranz gegenüber Fragen der Planung, Ausbildung und Betriebssicherheit bezüglich der Waffenlieferungen. Aber Sachkenntnis ist im Aufrüstungswahn offensichtlich weniger gefragt als laute Töne und harsche Worte.

Differenzierung in der Kritik
Natürlich gibt es zu fast allem hier beschriebenen Ausnahmen in einer nun seit über anderthalb Jahren lebhaft, aber nicht besonders vielseitig geführten Debatte. Nach meinem persönlichen Eindruck jedoch finden sich Ausnahmen vor allem in den Randzonen der Leitmedien, der lokalen Berichterstattung und klassischen Medien mit geringerer Reichweite, den sogenannten „Käseblättern“. So waren die Mantelteile der Zeitungen während der Ostermärsche 2022 von den Diffamierungen der Spitzenpolitiker*innen auf Bundesund Landesebene und entsprechenden Leitartikeln und Kommentaren geprägt, während im Lokalteil oft sachlich und teilweise fast euphorisch über die konkreten Ostermärsche berichtet wurde. Jenseits der Redaktionen für Außenpolitik erschienen im Lokalteil auch ansonsten oft wohlwollende Berichte über Veranstaltungen der Friedensbewegung mit ganz anderen Inhalten und Sichtweisen oder aber Berichte über Geflüchtete aus der Ukraine, die einfach nur hofften, dass der Krieg bald zu Ende ist. Da konnte auch mal gesagt werden, dass die Krim wahrscheinlich für die Ukraine verloren ist und da durfte auch mal jemand seine Angst vor einem Atomkrieg äußern. Das Problem ist also ganz offensichtlich nicht im Berufsstand der Journalist*innen zu suchen, sondern irgendwo anders im Gesamtsystem der (Leit-)Medien. Dieses Gesamtsystem allerdings hat einen Krieg befeuert, in dem zehntausende Menschen schon gestorben sind. Denn Waffen töten Menschen – das ging in den vergangenen Monaten oft unter.

Dieser Beitrag wurde dem „AUSDRUCK – Das IMI-Magazin vom Dezember 2023 entnommen und gekürzt. Der vollständige Beitrag kann hier nachgelesen werden: https://www.imi-online.de/download/Ausdruck115-CM-Berichterstattung.pdf

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Christoph Marischka ist Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen.