Geschäftsnummer: 950 Cs 6140 Js 223748/03 - 1008

Beschluss

Die "resist"-Blockaden führen auch zur Fortsetzung der juristischen Diskussion um den Nötigungsparaphen 240 - vielleicht bis zur Aufhebung des umstrittenen "Zweite Reihe"-Urteils des BGH demnächst in Karlsruhe? Amtsrichter Rupp (AG Ffm) gibt mit dem hier dokumentierten Beschluss vom 4.9.2003 die Vorlage für ein neues Kapitel in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte (d.Red.)

In der Strafsache gegen: XXX geboren: XXX wohnhaft: XXX wegen: Verdachts der Nötigung, wird der Erlaß des von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt am Main beantragten Strafbefehls abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten trägt die Staatskasse.

Gründe:

Mit Strafbefehlsantrag vom 04.07.2003 legt die Staatsanwaltschaft der Angeschuldigten zur Last, sie habe - gemeinschaftlich handelnd - eine Nötigung begangen, Vergehen nach §§ 240 Absatz 1 und 2, 25 Absatz 2 StGB.

Die Angeschuldigte habe sich am 29.03.2003 in Frankfurt am Main aus Protest ù gegen die militärische Intervention alliierter Streitkräfte im Irak, ù gegen die Abschiebung ausländischer Personen auf dem Luftwege Ober den Flughafen Frankfurt/Main, ù gegen die Erweiterung des Flughafens Frankfurt/Main durch Bau einerweiteren Landebahn zusammen mit 33 Gleichgesinnten um 15.11 Uhr abseits vom Ort der vor der Haupteinfahrt zur Rhein Main Air Base angemeldeten und zu diesem Zeitpunkt vom Versammlungsleiter bereits beendeten Protestkundgebung über die gesamte Fahrbahn-breite des Airportrings im Bereich zwischen der Tunneleinfahrt der Okrifteler Straße und Flughafen-Tor 31 niedergelassen, wodurch die Fahrer(innen) der auf dem Airportring verkehrenden Fahrzeuge, die sich in mehreren Reihen hintereinander aufstauten, an der Weiterfahrt gehindert wurden, was mit der versammlungsrechtlich nicht angemeldeten Aktion auch beabsichtigt worden sei. Die Angeschuldigte habe insgesamt drei in der Zeit von 15.22 Uhr ü15.37 Uhr über Lautsprecher bekannt gegebene Auflösungsverfügungen und die damit verbundenen Aufforderungen sich zu entferner, nicht befolgt. Sie habe deshalb durch Polizei beamte zwangsweise weggetragen werden müssen.

Der für den Erlaß des beantragten Strafbefehls erforderliche hinreichende Tatverdacht ist nicht gegeben.

Die Angeschuldigte hat keine Gewalt im Sinne des § 240 Absatz 1 und 2 StGB ausgeübt. Sie hat durch das gemeinsame Sitzen auf der Fahrbahn mit anderen Personen kein physisches. sondern lediglich ein psychisches Hindernis für die Kraftfahrer, welche wegen der Sitzblockade ihre Fahrt nicht fortsetzten, errichtet.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit der sogenannten "Sitzblockadeentscheitlung" durch Beschluß vom 10.01.1995 (NJW 1995, 1141 = NStZ 1995,275) die von Teilen der Rechtsprechung vorgenommene Ausweitung des Gewaltbegriffs auf psychische Gewalt im Rahmen der Nötigung als Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Absatz 2 Grundgesetz gewertet. Dieser Grundsatz bezweckt eine umfassende Rechtssicherheit. Jeder Bürger soll erkennen können, welche Rechtsfolgen sich aus einem von ihm gezeigten Verhalten ergeben werden.

Mit der sogenannten "Zweitereiheentscheidung" vom 20.07.1995 (BGHSt 41, 182 ff) hat der Bundesgerichtshof die Auffassung,vertreten, daß nur auf die Kraftfahrer in der ersten Reibe lediglich psychische Gewalt, die sie an der Weiterfahrt hindere, ausgeübt werde. Auf die Fahrer der nachfolgenden Fahrzeuge wirke aber physischer Zwang, weil diesen durch die in der ersten Reihe stehenden Fahrzeuge - was den Sitzblockadeteilnehmern klar sei - die Weiterfahrt unmöglich gemacht werde. Diese Argumentation des Bundesgerichtshofs überzeugt nicht. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.1.1995 läßt sich die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Differenzierung nicht ableiten. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, daß das Nötigungsmittel Gewalt nur dann seiner tatbestandsbegrenzenden Funktion genüge, wenn die Gewalt nicht bereits mit dem der Nötigung immanenten Zwang zusammenfalle, sondern über diesen hinausgehe. Bei der Abgrenzung zwischen dem Begriff Gewalt und dem allgemeinen Begriff des Zwangs müsse das mit dem Begriff der Gewalt verbundene Element der körperlichen Kraftentfaltung stärker in den Vordergrund treten. Bei einem Verzicht auf dieses Element genüge sonst die bloße körperliche Anwesenheit an einer Stelle, die eine andere Person passieren wolle, zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals "Gewalt", soweit diese Person hierdurch psychisch gehemmt werde. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet also die starke Zurückdrängung des Moments der Kraftentfaltung auf der Täterseite und stellt nicht auf das psychische oder physische Zwangsempfinden auf der Opferseite ab.

Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Unterscheidung zwischen der ersten und der zweiten Reihe zur Differenzierung zwischen einem straflosen bzw. einem strafbaren Verhalten überzeugt aber auch deshalb nicht, weil ein in hinterer Reihe stehender Kraftfahrer mit seinem Fahrzeug ausscheren und an den vor ihm haltenden Vorderleuten vorbeifahren könnte und so bis zu den auf der Fahrbahn sitzenden Personen gelangen könnte. Auf dieses Fahrtmanöver verzichten diese Fahrer jedoch schon deshalb, weil sie spätestens dann ebenfalls psychisch an der Weiterfahrt gehindert werden würden.

Darüber hinaus hat die Angeschuldigte - unterstellt, sie hätte entgegen der vorstehend aufgezeigten Auffassung Gewalt angewendet - nicht rechtswidrig gehandelt. Die Anwendbarkeit des § 240 StGB setzt neben dem Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des Absatzes 1 die Feststellung der Verwerflichkeit des Handelns nach Absatz 2 dieses Vorschrift voraus. Eine solche wird durch die bloße Tatbestandserfüllung nicht indiziert. Ob eine Handlung als verwerfliche Nötigung zu bewerten ist, kann ohne Blick auf die mit ihr verfolgten Zwecke nicht festgestellt werden. Die Angeschuldigte und die Personen, die sich auf der Fahrbahn niederließen, wollten mit ihrer Blockade Aufmerksamkeit für ihren Standpunkt zu in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten politischen Themen erzeugen. Für die Blockadeteilnehmer war klar und beabsichtigt. daß sie in Ausübung des ihnen zustehenden Rechts der Versammlungsfreiheit zur Erreichung des angestrebten Ziels in Rechtspositionen Dritter, nämlich in die der behinderten Verkehrsteilnehmer. eingriffen.

Bei Betrachtung der näheren Umstände der Blockadedemonstration, die für die Verwerflichkeitsprüfung von Bedeutung ist, wobei auch Art und Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu bewerten sind, sind insbesondere auch nachfolgende Umstände zu berücksichtigen.

Die Blockadeteilnehmer setzten sich in der Zeit von 15.11 Uhr bis 15.37 Uhr auf die Fahrbahn und befolgten die polizeiliche Aufforderung sich zu entfernen nicht. Sie wurden sodann von den anwesenden Polizeibeamten weggetragen, wobei jeweils 2 Polizeibeamten 1 Demonstranten wegtransportierten. Diese Wegtrageaktion nahm einige Zeit in Anspruch, weil die Blockierer jeweils einzeln und nacheinander von jeweils 2 Beamten von der Fahrbahn entfernt wurden . Hierbei ist einmal zu berücksichtigen, daß sich die Demonstranten friedlich verhielten und wegtragen ließen. Zum Teil wurden die Blockadeteilnehmer unmittelbar auf den neben der Fahrbahn befindlichen Grünstreifen verbracht und kehrten von dort nicht wieder auf die Fahrbahn zurück. Von Bedeutung ist auch, daß Polizeibeamte in einer Anzahl vor Ort eingesetzt waren, die es ohne weiteres ermöglicht hätte, die 33 Blockadeteilnehmer in wenigen Minuten von der Fahrbahn wegzutragen.

Die Aktion der Demonstranten war vorher angekündigt, so daß sich Polizei und Verkehrsteilnehmer auf zu erwartende Behinderungen einrichten konnten.

Der Ort der Blockade und die davon betroffenen Verkehrsteilnehmer, die behindert wurden, hatten einen Bezug zu den Versammlungsthemen. Die Teilnehmer haben den Kommunikationszweck und Informationszweck in den Vordergrund ihrer Aktion gestellt und waren bei ihrem örtlich begrenzten Vorgehen darauf bedacht, Konfrontation mit den Polizeibeamten und Gewalttätigkeiten und weitere Eskalationen zu vermeiden.

Bei Abwägung aller zu verzeichnender Umstände meint das Gericht, dass die von den Demonstranten bewirkten relativ folgenarmen Behinderungen als nicht sozialwidrig einzustufen und mithin nicht als verwerflich zu bewerten sind.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
 

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