Can I Pay This Bratwurst With Card?

Bezahlkarten als Kontrollinstrument

von Franziska SchmidCarolin Wabra
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Seit dem Frühjahr 2024 wird die Bezahlkarte sukzessiv in Bayern eingeführt und mit einer besonders restriktiven Umsetzung wird ein Kontrollinstrument geschaffen, dass geflüchtete Personen immer weiter einschränkt und diskriminiert.

Blicken wir zurück in das Jahr 2012. Das Bundesverfassungsgericht kam zu einer wegweisenden Entscheidung.: Jeder Mensch hat ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum – auch Asylbewerber*innen. Demnach ist auch die Einschränkung von Sozialleistungen zur Abschreckung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Doch was sind schon Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, wenn es um Symbolpolitik auf Stammtisch-Niveau geht, und so wurde mit der Bezahlkarte ein weiteres Instrument eingeführt, um das Leben von Geflüchteten so schwer wie möglich zu machen.

Wie unterscheiden sich Sozialleistungen und Asylbewerberleistungen?
Derzeit ist viel von Asylbewerberleistungen (AsylB-Leistungen) und Sozialleistungen zu hören. Doch um welche Leistungen geht es hier? Mit dem Sozialgesetzbuch (SGB) ist in Deutschland geregelt, dass allen Personen die Führung eines Lebens zu ermöglichen ist, welches „der Würde des Menschen entspricht“. Darunter fallen ankommende Asylsuchende und Menschen mit abgelehntem Asylgesuch allerdings nicht. Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) wurde 1993 stattdessen ein Sondergesetz geschaffen, dessen Leistungen weit unter dem Niveau des SGB liegen. Bei der höchsten Bedarfsstufe gibt es im Jahr 2024 höchstens 460 Euro im Monat. Wer in einem ANKER-Zentrum untergebracht ist, erhält zudem einen Teil des Betrages nur als Sachleistung, wie beispielsweise Essen und Hygieneartikel. Oft bleiben so am Ende weniger als 150 Euro übrig, die den Menschen monatlich zur Verfügung stehen.

Doch was genau ist die Bezahlkarte?
Wurden bisher Leistungen in bar, als Gutscheine oder Sachleistungen ausgegeben, sollen diese nun als digitales Guthaben auf der Bezahlkarte zur Verfügung stehen. Gute Idee, könnte man meinen, wäre da nicht die Ausführung. Grundsätzlich handelt es sich bei der Bezahlkarte um eine Debitkarte auf Guthaben-Basis, die allerdings nicht mit einem Girokonto, dafür aber mit vielen Einschränkungen verknüpft ist.

Obwohl im November 2023 auf dem Bund-Länder-Gipfel eine bundesweit einheitliche Lösung im Gespräch war, wird es nun je nach Standort unterschiedliche Ausgestaltungen geben. Während 14 der 16 Bundesländer gemeinsam einen Dienstleister für die technische Betreuung beauftragen wollen, gehen Mecklenburg-Vorpommern und Bayern bei der Vergabe eigene Wege. Der bayerische Sonderweg wird dabei seit Frühjahr 2024 beschritten und binnen weniger Monate wurde die Bezahlkarte in allen 96 Landkreisen und kreisfreien Städten im Freistaat eingeführt. Dabei machte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder vor allem eines deutlich: „Uns ist es wichtig, dass wir das verfügbare Bargeld, das es noch gibt, geringer ansetzen als in anderen Bundesländern.“

In Bayern sind Barabhebungen demnach nur noch bis zu 50 Euro pro Monat möglich, darüber hinaus soll die Bezahlung räumlich nur in bestimmten PLZ-Bereichen möglich sein, nämlich dort, wo die Person untergebracht ist. Auch einzelne Branchen und Händler können von der Kartenfunktion ausgeschlossen werden. Transaktionen sind im Inland nur bedingt, ins Ausland gar nicht möglich. Überweisungen oder Lastschriften funktionieren nur bei Empfängern, die auf einer staatlichen, sogenannten „White List“ vermerkt werden oder die man sich vom zuständigen Sozialamt hat freigeben lassen.

Was ist problematisch an der Einführung?
Sowohl die Beschränkung auf räumliche Bereiche und der Ausschluss bestimmter Läden und Branchen machen deutlich, dass man es Asylbewerber*innen so schwer wie möglich machen will. Wer versucht Kleidung oder Möbel gebraucht auf dem Flohmarkt oder über Internetportale zukaufen, hat in Zukunft Pech gehabt – Zahlungen sind dort oft nur bar möglich. Auch Geld für den Schulausflug, eine Bratwurst am Imbisswagen oder Supermärkte mit kaputtem Kartenlesegerät – unzählige Szenarien, in denen man selbst lieber noch ein paar Münzen in der Tasche hätte. Von dem wenigen Geld, welches zur Verfügung bleibt, wird es schwer, etwas zurückzulegen, denn was am Ende des Monats über 200€ auf der Karte übrig ist, verfällt. Eine schwierige Situation, wenn man sich bewusst ist, dass gerade im Asylverfahren hohe Kosten für Passbeschaffung oder rechtliche Unterstützung anfallen können.

Doch nicht nur die Geflüchteten selbst klagen, auch in den Sozialämtern wird die Einführung erstmal zur Mehrbelastung. Müssen viele Transaktionen doch individuell für die Personen freigeschaltet, technische Probleme behoben und sich mit rechtlichen Fragen herumgeschlagen werden.

Es lässt sich wohl kaum abstreiten, dass die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland immer weiter nach rechts kippt. Die Einführung der Bezahlkarte ist ein weiterer Schritt in diese Richtung, fußt sie doch in keiner Weise auf belegbaren Fakten. Die Mär über „Pull-Faktoren“ ist wissenschaftlich nicht belegt. Schlepperkosten müssen bereits vor der Flucht bezahlt werden und auch zu den immer wieder thematisierten Zahlungen ins Herkunftsland liegen keine belastbaren Zahlen vor. So gibt es lediglich Schätzungen der Bundesbank, wie viel Geld alle Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit jährlich rücküberweisen. Darunter fallen auch Personen mit gesichertem Aufenthaltsstatus und festem Einkommen, die ihre Angehörige zu Hause unterstützen.

All das wissen auch die Söders und Herrmanns hierzulande. Ihre Argumente sind eine nach innen gerichtete Botschaft, die ganz unverhohlen auf Rassismus und Ausgrenzung setzt, um von den tatsächlichen Problemen abzulenken: Bei einer katastrophalen Sozial- und Gesundheitspolitik und immer mehr armutsgefährdeten Menschen hat eine Bayerische Staatsregierung offensichtlich mehr Interesse daran, dass alle weiter nach unten treten und Geflüchtete für ihre politisches Versagen verantwortlich machen.

Sand ins Getriebe streuen!
So schwierig die gegenwärtige Situation ist, umso wichtiger ist ein solidarisches Miteinander und der individuelle Einsatz gegen die menschenverachtende Politik.

Bündnisse in Hamburg und München gehen hier voran. So riefen diese einen Tauschhandel ins Leben, bei dem Geflüchtete mit ihrer Bezahlkarte in Lebensmittel- oder Drogeriemärkten Gutscheine erwerben können. Diese werden dann an „Wechselstuben" in Bargeld umgetauscht. Damit haben schutzsuchende Personen zusätzlich zu den staatlich ermöglichten 50 Euro etwas mehr Bargeld zur Verfügung. Unterstützer*innen der Aktion wiederum ertauschen sich die Gutscheine und können diese im jeweiligen Geschäft einlösen. Das Konzept ist simpel und legal – und vor allem hilft es den Betroffenen.

Positive Nachrichten kamen im Sommer auch von den Sozialgerichten in Nürnberg und Hamburg. So klagten dort Geflüchtete erfolgreich gegen die Einschränkungen durch die Bezahlkarte. Zwar ist damit keine Aussage über die grundsätzliche Zulässigkeit der Einführung getroffen, jedoch machen die Urteile deutlich, dass sich bei bestimmten Fallkonstellationen Klagen lohnen. Die „Gesellschaft für Freiheitsrechte“, ProAsyl und die Landesflüchtlingsräte unterstützen dabei und geben hilfreiche Informationen.

Dass sich Menschen gegen diese Maßnahmen auch juristisch zur Wehr setzen, ist wichtig. Denn die Bezahlkarte ist nur ein Schritt in einer ganzen Reihe von Grundrechtseinschränkungen, die wir in den vergangenen Monaten beobachten konnten und, die sich vermutlich auch fortsetzen wird: Doch die aufkeimende Debatte um das Thema Bürgergeld lässt bereits erahnen, wohin die deutsche Sozialpolitik steuert. So gibt es bereits erste Überlegungen von Politiker*innen, die Bezahlkarte auch für Sozialhilfe-und Bürgergeldempfänger*innen einzuführen. „Nichts spricht dagegen, eine Ausweitung der Bezahlkarte auf Bürgergeld-Empfänger zu diskutieren", fordert beispielsweise der CDU-Bundestagsabgeordnete Maximilian Mörseburg.

Ob man Menschenwürde wohl mit Karte zahlen kann?

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Franziska Schmid arbeitet beim Bayerischen Flüchtlingsrat und investiert ihr Bargeld künftig in den solidarischen Gutschein-Tausch.
Carolin Wabra arbeitet beim Bayerischen Flüchtlingsrat und investiert ihr Bargeld künftig in den solidarischen Gutschein-Tausch.