Die vergessene Gefahr

Biologische Waffen

von Jo Angerer

Eine Szene wie aus einem Agentenfilm: Zwei britische Geheimdienstler betreten eine enge Stahlkammer. Es ist dunkel. Ein Feuerzeug flammt auf, die beiden Männer betrachten die Stahlwände, die Ausrüstungsge­genstände. Machen Sie das aus und geben sie es mir, herrscht der Be­gleiter, ein Beamter des russischen Außenministeriums, die beiden Männer an. Sie haben zugestimmt: Keinerlei elektronische Gerätschaf­ten!

 

Kein Filmdrehbuch, die Recherche, die die Zeitschrift NEWSWEEK veröffent­licht hat, ist nachprüfbar. Der Besuch in einem geheimen B-Waffen-Forschungs­zentrum 60 Meilen südlich von Moskau bestätigte, was britische und US-ameri­kanische Geheimdienste schon seit lan­gem vermutet hatten: Die ehemalige Sowjetunion arbeitete im Geheimen an der Herstellung biologischer Waffen. Die Stahlkammer, die die beiden Briten im Januar 1991 besuchten, diente als Testkammer für Viren und Bakterien.

Die Recherchen der NEWSWEEK-Reporter werfen wieder einmal Schlag­lichter auf die fast »vergessenen« biolo­gischen Massenvernichtungsmittel, de­ren Einsatz, Lagerung, Herstellung und Entwicklung eigentlich bereits seit 1972 international geächtet ist. Die Gefahr der Proliferation dieser Waffen ist an­ders als bei Atom- oder Chemiewaffen kaum in der öffentlichen Diskussion. Und doch sind die B-Waffenprogramme nicht nur der Supermächte im vollen Gange; freilich vielfach als »Schutzforschung« getarnt.

Biologische Waffen sind Krankheitser­reger, also Bakterien oder Viren sowie von speziellen Pilzen ausgeschiedene Giftstoffe, sogenannte Toxine. Andere Gifte, die nicht lebendig sind oder von Lebewesen hergestellt werden, bezeich­net man als chemische Waffen. Die Grenzen zwischen chemischen und biologischen Waffen sind fließend. Seit Mitte der 80er Jahre wird das Spektrum dieser Waffen zusammengefaßt als CBW-Spektrum bezeichnet. Auf der einen Seite dieses Spektrums stehen die herkömmlichen Chemiewaffen, also etwa Nervengase oder LOST; in der Mitte die Toxine, also Giftstoffe, produ­ziert von lebenden Organismen; auf der anderen Seite im CBW-Spektrum stehen Bakterien und Viren, also die klassi­schen B-Waffen.

Der entscheidende Unterschied für die Militärs: Chemiewaffen müssen indu­striell hergestellt und in Munition abge­füllt werden. Geheimhalten  läßt sich diese Produktion nicht. Biologische Waffen, Lebewesen, die sich selbst vermehren, kann man dagegen in gerin­gen Mengen aufbewahren. Bei Bedarf lassen sich die Viren oder Bakterien ohne großen Aufwand im Labor belie­big vermehren und verdeckt durch ins gegnerische Hinterland infiltrierte Sa­botage-Trupps ausbringen.

 

New York, irgendwann im Jahr 1966

Aus einem fahrenden U-Bahnzug im Süden von Manhattan wirft ein Mann eine Glühbirne aus dem Fenster. Auf den Schienen zerspringt das Glas. Nicht etwa Vandalismus sondern ein offiziel­les Experiment des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Weder die New Yorker Stadtverwaltung noch die Polizei weiß von diesem Versuch. Die Glühbirne ist mit angeblich harmlosen Bakterien gefüllt, die vom Luftzug des fahrenden Zuges im U-Bahnschacht verwirbelt werden. Später nehmen Meßtrupps Luftproben. Fast überall in Manhattan kann man die Bakterien nachweisen.

Der New Yorker Versuch ist ein Bei­spiel für die Möglichkeit der biologischen Kriegführung. Er beweist: B-Waf­fen können unbemerkt verbreitet wer­den. Vor allem in den USA hat die Er­forschung neuartiger B-Waffen durch gentechnologische Methoden seit den 80er-Jahren an Bedeutung gewonnen.

Diese neuartigen Waffen sind schreck­lich. Herkömmliche Krankheitserreger werden in militärischen Gentechnik-La­bors in ihre Bestandteile zerlegt und neu kombiniert. Biogifte, also tödliche Pilz-, Schlangen- oder Skorpiongifte, werden mit harmlosen Viren verbunden. Bei­spiele aus der B-Waffen-Forschung: Sogenannte »ethischen Waffen« sind gentechnologisch so konstruiert, daß nur gewisse Bevölkerungsgruppen davon betroffen werden. So kann man bei­spielsweise mikroskopisch kleine Pilze entwickeln, die sich nur auf ganz be­stimmten Hirsesorten ansiedeln und dort ein tödliches Gift ausscheiden. Beim Einsatz dieser B-Waffe etwa in der Dritten Welt würden diejenigen Men­schen sterben, die sich überwiegend von dieser Hirseart ernähren. Andere Bevöl­kerungsgruppen würden überleben. Es gab Versuche, Schnupfenviren mit Ge­nen von Kobraschlangen-Gift zu kom­binieren, die bislang nur unangenehme Krankheit verliefe dann tödlich. Selbst Waffen, die bei Nacht töten und bei Tag ungefährlich sind, lassen sich gentech­nologisch herstellen: Kombiniert wird ein Virus mit dem Gen eines hochgifti­gen Toxins. Die Eiweiß-Hülle des Virus wird dann gentechnologisch gleichsam durchlöchert, so daß der Krankheitser­reger für UV-Strahlung extrem empfindlich wird, Nachts ist das eine tödli­che Waffe, wenn die Sonne aufgeht, wird das Virus zerstört, die Waffe ist verschwunden, nicht mehr nachweisbar. Das Stück Erbsubstanz, das dies be­wirkt, hat in Wissenschaftskreisen einen Namen. Es heißt »Selbstmordgen«.

B-Waffenforschung in den USA

Das Budget der B-Waffenforschung in den USA stieg seit 1980 um etwa 550 Prozent auf 90 Millionen Dollar für das Jahr 1986. 1988 wurden immerhin noch 60 Millionen Dollar für B-Waffenfor­schung ausgegeben. Bereits 1986 finan­zierte das US-Verteidigungsministerium über 70 gentechnologische Forschungs­projekte.

B-Waffenforschung so die offizielle Begründung des Pentagon diene aus­schließlich defensiven Zwecken. Zitat aus einer 1988 vom Pentagon in Auftrag gegebenen Umweltverträglichkeitsstu­die: Der Zweck des B-Waffen-Schutz­programmes ist es, eine starke nationale Verteidigungsposition bezüglich mögli­cher B-Waffen-Bedrohungen aufrecht­zuerhalten und weiterzuentwickeln. Drei Einrichtungen der US-Army sind zu­ständig für B-Waffenforschung:

  • das US Army Medical Research Institute of Infectious Diseases (USAMRIID) in Fort Detrick, Mary­land (Fort Detrick ist vor dem offi­ziellen Herstellungsstop für B-Waf­fen 1969 das wichtigste Forschungs­zentrum für B-Waffen in den USA gewesen),
  • das US Army Chemical Research, Development and Engineering Center (DRDEC) auf dem US Army Aber­deen Proving Ground, gleichfalls in Maryland, und
  • der Baker Laboratoriumskomplex auf dem US Army Dugway Proving Ground bei Salt Lake City. Hier be­findet sich die Erprobungsstelle des US B-Waffen»schutz«programmes.

B-Waffenforschung ist hochgefährlich. Immer wieder kam und kommt es zu Laborunfällen. Das Virus hat den exoti­schen Namen »Chikungunya«. Im Sep­tember 1981 verschwanden aus einem US-Militärlabor 2,352 Milliliter einer Lösung, die die Viren in hoher Konzentration enthält. Eine an sich kleine Menge, doch sie reicht theoretisch aus, die ganze Menschheit mehrfach mit tro­pischem Fieber anzustecken. Bis heute ist das Verschwinden des Krankheitser­regers nicht aufgeklärt

Jüngstes Beispiel des  amerikanischen Engagements in Sachen biologischer Waffen: Die Zusammenarbeit zwischen den USA und Ägypten »im Randbereich der B-Waffenforschung«, so ein Bericht des russischen Auslandsnachrichten­dienstes SWR. Ägyptische Wissenschaftszentren arbeiten, so der Bericht, gemeinsam mit zivilen und militäri­schen US-Labors an der Erforschung hochpathogener Mikroorganismen. Die US-Marine unterhält in Ägypten ein wehrmedizinisches Labor, in dem Ex­perten an der Perfektionierung von Schutzmitteln gegen Infektionskrank­heiten arbeiten. Dieses Institut gilt als eines der führenden medizinisch-biolo­gischen Zentren im Nahen Osten, so der SWR.

B-Waffenforschung in der ehemaligen UdSSR

Nicht nur die USA waren und sind es vermutlich noch führend in Sachen biologischer Waffen. Auch in der UdSSR gab es ausgedehnte Forschungs­- und Herstellungsprogramme.

Swerdlowsk, der »Militärposten Num­mer 19«, das heutige Jekaterinburg im Ural. 1979 ereignete sich hier eine Milzbrandepidemie, die in westlichen Tageszeitungen Schlagzeilen machte. Mindestens 66 Menschen starben. Aus­gelöst wird  Milzbrand von Anthrax­-Sporen. Anthrax zählt zu den »klassischen« B-Waffen. Die kleine schottische Insel Gruinard beispiels­weise war damit verseucht. Zweieinhalb Kilometer lang, eineinhalb Kilometer breit, mit Heidekraut bewachsen wurde sie 1942 zum militärischen Testgebiet. Englische Wissenschaftler füllten 11 Kilogramm-Bomben mit Milzbrand­-Sporen und ließen diese explodieren. Als »Versuchsobjekte« für den B-­Waffentest dienten Schafe. Jahrzehnte­lang galt die die Insel als  verseuchtes Gelände, konnte sie nur in Schutzausrü­stung betreten werden.

Daß es sich bei der Epidemie von Swerdlowsk um einen Unfall einer B­-Waffenforschungseinrichtung gehandelt hatte, das dementierte die UdSSR jah­relang. Erst jetzt, nach dem Zerfall der Sowjetunion, kommt die Wahrheit bruchstückhaft ans Tageslicht. Aufboh­rende Fragen russischer Abgeordneter hin beauftragte Präsident Jelzin seinen  späteren Umweltminister Alexej Jablo­kow mit der Klärung des Falles. Dieser verkündete im März 1992 auf einer IPPNW-Tagung in Moskau, eine Explo­sion sei die Ursache der Epidemie ge­wesen, also ein Unfalli m B-Waffenfor­schungszentrum..

Die genaue Struktur der ehemals sowjetischen B-Waffenforschung veröffent­lichte schließlich die Zeitschrift NE­WSWEEK. Biopreparat, so nannte sich nach den Recherchen der NEWS­WEEK-Reporter das Netzwerk, durch das die wichtigsten Forschungseinrich­tungen in der ehemalige UdSSR ver­knüpft waren. Biopreparat, 1973 (also ein Jahr nach dem B-Waffen-Vertrag) gegründet, diente als Tarnorganisation der nunmehr vertragswidrigen B-Waf­fenforschung. Biopreparat war eines der bestgehütetsten Geheimnisse in der al­ten Sowjetunion, so Grigory Berdenni­kov vom russischen Außenministerium, In mindestens 18 Forschungseinrichtun­gen, 6 Produktionsanlagen und einer Hauptlagerstätte in Sibirien arbeiteten über 25.000 Menschen. 30 bis 40 Pro­zent des Budgets kam vom Militär. Seit Mitte der 80er-Jahre wußten die US­-Geheimdienste von der Existenz von Biopreparat. Beweisen konnte man nichts bis schließlich 1989 der Mikro­biologe Wladimir Pasechnik in den We­sten geflohen war: Pasechnik, der als Direktor eines Biopreparat-Institutes in Leningrad die genaue Struktur des Netzwerkes kannte, offenbarte, daß man in der Sowjetunion ab 1984, also in der Ära von Präsident Gorbatschow, eine neue Generation supertoxischer B-Waffen erforschte und gentechnologisch herstellte. Erst im April 1992 ordnete Präsident Jelzin per Dekret das Ende dieses Forschungsprogrammes an. Ein Informant von NEWSWEEK behauptet allerdings, daß auch nach dem Jelzin-­Dekret noch weiter an der Entwicklung der neuen B-Waffen gearbeitet wurde. Selbst wenn dies nicht der Wahrheit entspräche: Durch die Abwanderung ehemals hochprivilegierter Sowjetwis­senschaftler, etwa in Staaten der Dritten Welt, bleibt die Proliferationsgefahr be­stehen.

Die-»Atombombe des kleinen Man­nes«

B-Waffen, ohne allzu großen Aufwand vermehr- und einsatzbar, gelten neben den Chemiewaffen als »Atombomben des kleinen Mannes«. Bekannt ist, daß etwa der Irak ein eigenes B-Waffenpro­gramm hatte zumindest bis zum zweiten Golfkrieg. 1987 wurde aus Deutschland die Mykotoxine HAT-2 und T-2 nach Bagdhad geliefert, nach einem BND­Bericht wurden im Irak Forschungstä­tigkeiten auf dem Gebiet der B-Waffen durchgeführt. Auch war der Rabta­-Drahtzieher Ishan Barbouti an der Liefe­rung von Mikroorganismen in den Irak beteiligt, so ein Fernsehfilm, den der WDR im Mai 1992 ausstrahlte,

In der Zwischenzeit hat das US-Han­delsministerium neue, verschärfte Regularien für den Export von Handels­gütern erlassen, die auch zur Er­forschung und Herstellung von B-Waffen dienen könnten. »Dual Use«-Güter, bestimmt für den Export nach Bulgarien, China, Kuba, den Mittleren Osten, Burma, Nordkorea, Rumänien, Süd­afrika, GUS, Taiwan und Vietnam so­wie Afghanistan, Indien, Iran und Paki­stan, benötigen seit April dieses Jahres eine spezielle Ausfuhrlizenz.

Doch wirksam verhindern läßt sich die Proliferation von B-Waffen nur durch den vollständigen Verzicht auch auf B-­Waffen»schutz«forschung. Doch dage­gen wehren sich die Militärs. In einem B-Waffenschutzprogramm, so ein US-­Offizier, zitiert von Barbara Rosenberg, B-Waffen-Expertin des US-amerikani­schen Committee on Responsible Gene­tics, bekommt man eine Menge Infor­mationen, und wie andere Erkenntnisse kann man auch diese zu unterschiedli­chen Zwecken einsetzen.

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