Lampedusa

Bootsflüchtlinge besser schützen

von Ska Keller
Im Blickpunkt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

An den südlichen Grenzen Europas spielt sich seit Jahren eine der größten menschlichen Tragödien in Europa ab. Jährlich sterben Tausende von Flüchtlingen beim Versuch, die europäischen Grenzen über das Mittelmeer zu erreichen und in der Europäischen Union Schutz zu finden. (1) Doch anstatt Bootsflüchtlinge besser zu schützen will eine Mehrheit in der EU das Gegenteil. Die europäischen Außengrenzen sollen noch stärker gegen Flüchtlinge abgedichtet werden.

Dazu liegen zwei neue Gesetzesvorschläge auf dem Tisch:

  • Das Europäische Überwachungssystem EUROSUR, mit dem die Überwachung des Mittelmeerraums gegen Flüchtlinge verstärkt wird. Das Europaparlament stimmte der Verordnung in seiner Plenarsitzung am 10. Oktober 2013 zu (2)
  • Eine Neuregelung für Einsätze der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX auf See mit neuen Vorschriften sowohl für das Abfangen und Zurückweisen von Flüchtlingsbooten als auch für die Rettung von Flüchtlingen in Seenot. Der Verordnungsvorschlag (3) wird derzeit im Europaparlament und im Rat beraten und soll noch vor den Neuwahlen zum Europaparlament im Mai nächsten Jahres verabschiedet werden.

Wir Grünen sind entschieden gegen EUROSUR. Bei der Neuregelung von FRONTEX-Einsätzen auf See setzen wir uns dafür ein, dass der Flüchtlingsschutz deutlich gestärkt wird. Die EU darf Flüchtlinge weder ertrinken lassen noch darf sie Menschen, die Schutz in Europa suchen, daran hindern, Europa überhaupt zu erreichen.

Unsere Forderungen:

  • Rettung von Flüchtlingen in Seenot verbessern
  • Effektiven Zugang zum europäischen Asylsystem gewährleisten
  • Flüchtlingsboote nicht zur Umkehr zwingen
  • Kooperation mit nordafrikanischen Ländern: den Flüchtlingsschutz nicht unterlaufen
  • Humanitäres Visum für Flüchtlinge

Rettung von Flüchtlingen in Seenot verbessern
Es ist eine der vordringlichsten Aufgaben der EU, den menschlichen Tragödien von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer endlich ein Ende zu setzen. Wir Grünen haben dafür gekämpft, dass die Seenotrettung von Flüchtlingen ein Kernziel von EUROSUR und der damit verstärkten Überwachung der europäischen Außengrenzen wird. Im Europaparlament hatten wir damit auch Erfolg. Aber die Mitgliedsstaaten, allen voran die Mittelmeeranrainerländer, haben abgeblockt. Ihre Begründung: Seenotrettung sei keine EU-Kompetenz. Deshalb kann die verstärkte Grenzüberwachung künftig zwar zur „Bekämpfung illegaler Einwanderung“ und zur Abwehr von Flüchtlingen eingesetzt werden, aber nicht zu ihrer Lebensrettung.

Wir Grünen haben zwar durchgesetzt, dass die Mitgliedsstaaten FRONTEX künftig darüber informieren müssen, wenn Flüchtlinge in Seenot geraten. Aber unsere Forderung, dass sie auch mehr zur Lebensrettung von Bootsflüchtlingen unternehmen müssen, haben sie abgeschmettert. Was die EUROSUR-Verordnung im Detail dazu regelt, haben wir in einer Tabelle im Anhang zusammengefasst.

Bei den neuen Regeln für FRONTEX-Einsätze auf See wiederholt sich die Situation. Auch hier drängen die Mitgliedsstaaten auf weniger Seenotrettung. Insbesondere die südlichen EU-Länder sperren sich dagegen, dass die Vorschriften zur Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge zumindest bei gemeinsamen Einsätzen mit FRONTEX künftig verbindlich sein sollen. Offenbar befürchten sie, dass sie ihrer internationalen Verpflichtung, alle Schiffbrüchigen, auch Flüchtlinge, zu retten, dann konsequent nachkommen müssten. Für uns Grüne ist das unhaltbar. Wir werden alles dafür tun, dass sich die Mitgliedsstaaten damit nicht durchsetzen.

Effektiven Zugang zum europäischen Asylsystem gewährleisten: Flüchtlingsboote nicht zur Umkehr zwingen
Neben der Rettung von schiffbrüchigen Flüchtlingen geht es bei den neuen Regeln für FRONTEX-Einsätze auf See auch um das Abfangen und Zurückweisen von Flüchtlingsbooten. Ziel solcher Pushbacks ist es, dass Flüchtlinge die europäischen Küsten gar nicht erst erreichen, sondern direkt auf See zur Umkehr genötigt werden. FRONTEX ist wegen solcher Aktionen zu Recht in die Kritik geraten. Sie verletzen internationales Flüchtlingsrecht. Flüchtlinge dürfen nicht pauschal zur Umkehr genötigt werden. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 2012 in seinem wegweisenden Urteil im Fall Hirsi klargestellt. Seitdem führt FRONTEX nach eigenen Angaben keine Pushbacks mehr durch.

Mit dem von der EU-Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Neuregelung von FRONTEX-Einsätzen soll sich das jetzt ändern. Der Vorschlag zielt darauf ab, Pushbacks mit der Rechtsprechung des EGMR in Einklang zu bringen. Er bleibt allerdings in zentralen Punkten hinter den Vorgaben der Richter zurück. Denn Bootsflüchtlinge haben auch in Zukunft faktisch keine Möglichkeit, einer erzwungenen Rückkehr in das Ablege-Land zu widersprechen. Entgegen der klaren Vorgaben des Menschenrechtsgerichtshofs sollen sie weder Zugang zu Übersetzern noch zu einer Rechtsberatung bekommen.

Wir Grünen bezweifeln, dass Pushbacks überhaupt mit internationalem Flüchtlingsrecht in Einklang zu bringen sind. Deshalb wollen wir Grüne Pushbacks generell verbieten. Wir wollen, dass Flüchtlinge, die versuchen, die EU über das Meer zu erreichen, die gleichen Rechte haben wie Flüchtlinge, die über Land kommen. Das ist die Messlatte, die der EGMR mit dem Hirsi-Urteil gesetzt hat. Flüchtlinge haben ein Recht darauf, dass ihre persönlichen Umstände vor einer möglichen Zurückweisung geprüft werden, dass sie Rechtsmittel einlegen können und dass ihre Abweisung damit vorläufig ausgesetzt wird. Wir teilen die Ansicht namhafter Menschenrechtsorganisationen, dass dies auf hoher See praktisch nicht möglich ist. (4)

Kooperation mit nordafrikanischen Ländern: den Flüchtlingsschutz nicht unterlaufen
Anstelle der in die Kritik geratenen Pushbacks setzt die EU zunehmend auf sogenannte Pullbacks. Dabei übernehmen Drittstaaten anstelle von FRONTEX das Abfangen von Flüchtlingsbooten. Mit EUROSUR ebnet die EU den Weg dafür. Geplant ist, dass FRONTEX das Mittelmeer sowie die nordafrikanischen Küsten künftig per Satelliten und anderer Überwachungstechnologie gegen irreguläre Migration überwacht. Im Rahmen von Kooperationsabkommen sollen Drittstaaten über so entdeckte Flüchtlingsboote vor ihren Küsten und auf dem Mittelmeer informiert werden, um die Boote frühzeitig abzufangen.

Das erste Kooperationsabkommen im Rahmen von EUROSUR wird derzeit ausgerechnet mit Libyen ausgearbeitet. Libyen hat weder die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet noch bietet es Flüchtlingen Schutz. Im Gegenteil, nach einem aktuellen Amnesty International-Bericht werden Flüchtlinge inhaftiert, „grausam, menschenunwürdig und erniedrigend“ behandelt und selbst in Länder wie Mali deportiert, in denen ihr Leben offensichtlich bedroht ist. Weitere Kooperationsabkommen im Rahmen von EUROSUR sind vorgesehen mit Algerien und Tunesien.

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten unterlaufen den Flüchtlingsschutz damit auf eine perfide Weise. Sie machen fragwürdige Drittstaaten zu Handlangern einer Politik, die darauf ausgerichtet ist, dass Flüchtlinge abgefangen werden, ehe sie sich überhaupt auf den Weg nach Europa machen. Es ist offensichtlich, dass die EU damit gegen internationales Flüchtlingsrecht verstößt.

Wir Grünen sind entschieden gegen diese Art der Auslagerung von Grenzkontrollen in Drittstaaten. Wir fordern stattdessen die Einführung von humanitären Visa für Flüchtlinge, wie sie auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen fordert. Menschen, die darlegen können, dass ihr Leben bedroht ist, könnten damit in den Auslandsvertretungen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten ein Visum für die Einreise in die EU beantragen. Damit würden sie sicher und legal nach Europa gelangen, statt in seeuntüchtigen Booten die gefährliche Reise über das Mittelmeer antreten zu müssen. Das schmutzige Geschäft der Schlepper würde damit ausgetrocknet und die menschlichen Tragödien vor den Küsten Europas würden endlich ein Ende finden, ohne dass die EU internationales Flüchtlingsrecht verletzt.

 

Lesenswerte Berichte zum Umgang der EU mit Bootsflüchtlingen:

 

EUROSUR: Lebensrettung von Flüchtlingen nur als Nebeneffekt

 

 

 

Irreguläre Migration / grenzüberschreitende Kriminalität

Lebensrettung von Flüchtlingen

Konsequenzen

Zweck von EUROSUR (Art 1 und 2)

EUROSUR wird eingerichtet „zum Zweck der Aufspürung, der Verhinderung und Verfolgung illegaler Einwanderung und renzüberschreitender Kriminalität“

EUROSUR „trägt dazu bei, den Schutz und die Lebensrettung von Migranten zu gewährleisten“  

EUROSUR ist nicht auf Lebensrettung, sondern auf die Bekämpfung irregulärer Migration ausgerichtet. Lebensrettung ist nur ein Nebeneffekt.

Informationspflicht der Mitgliedsstaaten (MS)

MS müssen FRONTEX und die anderen MS sowohl über Fälle von irregulärer Migration und grenzüberschreitender Kriminalität ...

… als auch über Flüchtlinge in Seenot informieren.

Das bringt vor allem mehr Transparenz. Bisher weiß keineR, wie viele Fälle von Flüchtlingen in Seenot es tatsächlich gibt.

Kooperation

Nationale Behörden im Bereich Grenzschutz müssen untereinander sowie mit den Grenzschutzbehörden angrenzender MS verstärkt zusammenarbeiten

Grenzschützer müssen ihre nationalen Seenotrettungszentren  lediglich informieren, es gibt aber keine Verpflichtung zur verstärkten Zusammenarbeit

EUROSUR wird nichts an dem europäischen Verantwortungsvakuum bei der Seenotrettung von Flüchtlingen ändern. Nach einem Bericht des Europarats ist mangelnde Kooperation ein Hauptgrund dafür, dass so viele Menschen vor den europäischen Küsten sterben.

Reaktionskapazitäten

MS sind verpflichtet, Grenzbereiche und Küstenabschnitte, die häufig von Flüchtlingen oder Kriminellen genutzt werden, verstärkt zu patrouillieren.

 

Verstärkte Patrouillen von Gewässerabschnitten, die für Bootsflüchtlinge besonders gefährlich sind, sind nicht vorgesehen.

 

MS haben nach internationalem Recht zwar die Pflicht, Menschen in Seenot zu retten. Die EUROSUR-Verordnung trägt aber nichts dazu bei, dass sie dieser Pflicht auch effektiv nachkommen.

Überwachung des Mittelmeers durch Frontex

FRONTEX soll das Mittelmeer sowie die nordafrikanischen Küsten künftig per Satelliten und anderer Überwachungstechnologien gegen irreguläre Migration und grenzüberschreitende Kriminalität überwachen.

Eine Überwachung zur Rettung von Leben ist nicht vorgesehen.

Auch FRONTEX muss nicht mehr zur Lebensrettung von Flüchtlingen tun.

 

Anmerkungen
1 Einer Auswertung von Presseberichten zufolge sind von 1988 bis 2012 18.673 Flüchtlinge im Mittelmeer und vor den Kanarischen Inseln gestorben: http://fortresseurope.blogspot.it/2012/11/spagna-recuperato-un-cadavere-...

2 http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+... 0232+0+DOC+XML+V0//DE. Entscheidung am 10.10.13 ergänzt von FF-Redaktion: http://www.euractiv.de/soziales-europa/artikel/parlament-sagt-ja-zu-uebe...

3 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2013:0197:FIN:...

4 Gemeinsames Statement von Amnesty International, European Council on Refugees and Exiles (ECRE) und der International Commission of Jurists zur Neuregelung von FRONTEX-Einsätzen auf See: www.ecre.org/index.php?option=com_downloads&id=778;

Meijers Committee: http://www.commissiemeijers/nl/assets/commissiemeijers/CM1308%20Note%20M...

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